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Lesebericht und Nachgefragt: Daniel-Pascal Zorn, Logik für Demokraten

Aufgezeichnet von Heiner Wittmann
15.3.2017

Dem Aufschwung der AfD und dem Erstarken des Front national in Frankreich haben die etablierten Parteien in der letzten Zeit nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Erst kürzlich beklagten am 28. Februar 2017 Alexandre Lemarié, Raphaëlle Besse Desmoulières, Bastien Bonnefous, Cédric Pietralunga et Matthieu Goar in LE MONDE „Le renoncement des candidats face au FN“. Und dabei fehlt es wahrlich nicht an Argumenten gegenüber den menschenrechtsfeindlichen Positionen der Rechtspopulisten. Viele ihrer Argumente beginnen mit Behauptungen, die sehr oft schlicht falsch sind. Im > Grundsatzprogramm der AfD (kurz) (Dieser Link funktioniert möglichweise nicht mehr, H.W. 2023) steht: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“ Es genügt ein Blick in die Verlagsprogramme mit ihren zahllosen historischen Titeln wie auch bei Klett-Cotta, so wird erkennbar, dass das hier nur ein Beispiel dafür ist, wie eine Behauptung in die Welt gesetzt wird, die als Sachlage für ein politisches Programm herhalten muss. Mit der Ablehnung der EU verhält sich ganz ähnlich. Es wird ein Zerrbild der EU aufgebaut, wiederum das zitierte Grundsatzprogramm der AfD: „Wir stehen für die Freiheit der europäischen Nationen von fremder Bevormundung,“ ganz so als ob die Bürger der Mitgliedsstaaten in EU unfrei wären. Daraus entsteht dann eine Fundamentalopposition gegenüber der EU. Die EU als bemerkenswertes und erfolgreiches Friedensmodell seit ihrer Gründung ist natürlich kein Thema bei der AfD. Donald Trump hat es auch mit „postfaktischen“ Behauptungen geschafft, Präsident zu werden.

Lesebericht und Nachgefragt: Daniel-Pascal Zorn, Logik für Demokraten

Nachgefragt: Danie-Pascal Zorn, Logik für Demokraten

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Im Fall der AfD, auch beim FN geht es um simple Betrachtungsweisen mit meist falschen Schlüssen und ein eingängiges Rezept, dem vermeintlichen Mangel abzuhelfen. Im > Leitantrag zum Wahlprogramm 2017 (Link funktioniert möglicherweise nicht mehr, H.W. 2023)  steht „Ein bundesweites Vollprogramm (Fernsehen / Hörfunk) ist ausreichend, um den Auftrag eines unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erfüllen.“ (S. 43) Ein solcher Vorschlag zielt auf die Zerschlagung der kulturellen Vielfalt und auf die Gleichschaltung der Landesrundfunkanstalten.

Zorn ermuntert uns, Demokratie immer wieder zu üben. Dabei richtet er unsere Aufmerksamkeit auf den demokratischen Diskurs als Grundlage politische Auseinandersetzung. Wird er monopolisiert, beansprucht eine politische Fraktion die Wahrheit für sich, in dem sie falsche Behauptungen aufstellt oder die Wirklichkeit verzerrt darstellt, sind alle Bürger aufgefordert, am politischen Diskurs teilzunehmen: „Demokratie verpflichtet. Uns alle. Offen sein, zuhören, argumentieren!“ steht auf dem Klappentext von Zorns Buch.

Es geht weniger um konkrete politische Vorgänge der letzten Zeit, hier geht es um Grundsätzliches. Der Titel dieses Buches »Logik für Demokraten. Eine Anleitung« verlangt nach einer Erläuterung, die der Autor in der Einleitung prägnant darlegt. Er nennt die politischen Auseinandersetzungen in den sozialen Netzwerken und auf den Demonstrationen, wo behauptet wird „Wir sind das Volk!“ und die „Lagerbildung“ (S. 10) in der deutschen Debattenkultur: „Die langersehnte Repolitisierung der Gesellschaft verkommt zum geistigen Schubladenkampf“, heißt es auf S. 10 f. Zorn möchte „herausfinden, wie ein Weg von den verhärtenden Fronten zurück zu einem vernünftigen Diskurs aussehen könnte.“ (S. 11) Folglich analysiert er nicht tagespolitischen Diskussionen sondern legt ein kurzgefasstes philosophisches Lehrbuch über die Bedeutung der Logik in der Gesprächskultur vor: S. 15-27. Diese Seiten machen Lust auf die Lektüre des ganzen Buches. Wir haben die dogmatische Setzung hier eingangs schon einmal anklingen lassen. Dann nennt Zorn „Das Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch“ (S. 21 f. ), das was oft mit dem Anspruch nicht widerspruchsduldend daherkommt, woraus die Agitatoren des Populismus dann ihr Programm ableiten. Zorns Einleitung enthält auch eine Aufforderung zum Mitmachen und Ausprobieren (S. 26).

Dogmatik rückt Politik in die Nähe des totalitären Denkens, das Zorn im 2. Teil seines Buchs unter die Lupe nimmt.

Im ersten Teil geht es um das Phänomen Populismus und seine Analyse. Gerüchte, Vorgänge, Ereignisse, wie entstehen politische Einstellungen, ab wann werden Urteile als wahr und als Grundlage für politische Programmatik herangezogen: cf. S. 38 f. Die Begriffe Pappkamerad, Selbst-Viktimisierung, Selbstheroisierung, die verschiedenen Formen der Fehlschlüsse vermitteln das Handwerkszeug, mit dem die Reden und die Programme der AfD und anderer Parteien dieses Spektrums geprüft werden können. Und dann kommt auch noch die Behauptung der Rechtspopulisten für das „ganze Volk“ sprechen zu wollen: „Es geht um uns“ und „Wir sprechen für sie“ > Afd – aufgerufen am 12.3.2017. S. Glossar: > Argument des Schweigens. Das Kapitel „Die Taktiken des Fallenstellers“ (S. 62-71) präzisiert die Taktik der Rechtspopulisten. Demagogen gab es unter einer anderen Bedeutung des Wortes auch schon im Zeitalter Perikles im 5. Jh. v. Chr in Griechenland (> Lesebericht: Josiah Ober, Das antike Griechenland. Eine neue Geschichte) (s. S. 72-91) Der Ausflug in die griechische Geschichte, S. 72-91) bietet wichtiges Grundlagenwissen für demokratische Prozesse, damit führt Zorn seine Argumentation weiter und erklärt, wie Populisten sich an das „Körnchen Wahrheit“ (S. 94) klammern.

Wie ist aber um die Populisten bestellt, die sich an das „Körnchen Wahrheit“ klammern und sich anmaßen an das ganze Volk, ja für das Volk zu sprechen: „Es geht um uns.“ oder „Wir sprechen für Sie,“ steht auf der Homepage der > AfD – aufgerufen am 12.3.2017. Zwar kommt das Wort Bürger auch im Programm der AfD vor, aber dort wo „Bürger“ (mit der ganzen Vielfalt ihrer Meinungen) stehen könnte, steht „das Volk“. (cf. auch S. 215, 222) Noch ein klares Wort zum Populismus: „Er sammelt die Unzufriedenen und Nicht-Repräsentierten aller Sozialen Schichten ein und verbindet sie über ihre Ablehnung miteinander.“ (S. 97) „Populäres Denken drängt stets zum Totalitären,“ ist das Stichwort für Teil 2 „Totalitäres Denken“ (S.99-165), das sich seien eigene Freiheit nimmt, losgelöst von Schwierigkeiten aller Art (cf. S. 109), ständig Unerwünschtes ablehnt (cf. S. 110).

„Demokratisches Denken“ im 3. Teil beginnt mit einer Erinnerung an >Jean-Paul Sartre und seien Beschreibung der Entdeckung des Anderen. Es ist spannend zu verfolgen, wie Zorn, philosophische Analysen, hier inspiriert durch Sartre, heranzieht, um seine Argumentation zu erläutern und noch einmal einen Ausflug in die griechische Geschichte zu machen.

Der Wunsch nach direkter Demokratie ist u.a. von dem Wunsch nach dem einen Volk inspiriert. „Wir wollen dem Volk das Recht geben, über vom Parlament beschlossene Gesetze abzustimmen,“ schreibt die AfD in ihrem Grundsatzprogramm (lang), S. 9. Dazu und der radikalen Demokratie, Zorn: 213-220, bes. S. 220).

Kein Geheimnis. Demokratie ist anstrengend. Wehrhaft gegen Anfeindungen kann sie nur sein, wenn man sich engagiert und nicht der Versuchung nachgibt des „subjektiven Dogmatismus“ (cf. S. 199) nachgibt.

Tatsächlich gelingt es dem Autor, streitbaren Demokraten an bewährte Hilfsmittel zu erinnern, mit denen die Verlautbarungen der Rechtspopulisten noch einmal nachzulesen sind. Ihre politischen Gegner müssen sich allerdings auch fragen lassen, ob man im demokratischen Dialog in den letzten Jahren in unserem Land etwas versäumt hat, was die Wähler heute in die Arme der AfD treibt? Wurde von der Bundeskanzlerin die Entscheidung, Flüchtlinge in so großer Zahl im August/September hereinzulassen, den Bürgerinnen und Bürgern hinreichend erläutert? Warum heißt es so zu Beginn der Gesetzgebungsverfahren oft die Fraktionen hätten sich (meist nachts) „geeinigt“ – und was macht der Bundestag, wo die Sitzungen oft nach Drehbuch ablaufen?

Im Anhang, S. 287 ff. steht ein sehr beachtenswertes Glossar, in dem die philosophischen Grundbegriffe der Logik nocheinmal erläutert werden.

Jetzt hat der Philosoph Daniel-Pascal Zorn eine Anleitung für Demokraten verfasst, mit dessen Titel er seinen Ansatz prägnant zusammenfasst: »Logik für Demokraten«. Es geht ihm darum, die Prozesse und Verfahren zu nennen, mit denen die Populisten Erfolge verbuchen, wie sie die freie Gesellschaft in Gefahr bringen, und dabei die vom Autor vorgeschlagene »Logik für Demokraten« beachten, so müssen alle im Bundestag vertretenen Parteien sich auch fragen, ob die von ihnen inspirierte Debattenkultur im Hohen Hause wirklich auf dem Stand der „wehrhaften Demokratie“ sich befindet, geht es doch mehr als je wieder darum, sie gegen ihre Feinde zu verteidigen.

Heiner Wittmann

Logik für Demokraten

Logik für Demokraten

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Beteiligte Personen

Daniel-Pascal Zorn

Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze...

Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze, die den Preis der Universität Eichstätt erhielt.
Daniel-Pascal Zorn schrieb die Kolumne »Na logisch!« im Philosophie-Magazin »Hohe Luft«. Dort erläutert er anschaulich und allgemeinverständlich, wie sich Sachverhalte, Argumente und deren Geltung zueinander verhalten.
Auf seiner eigenen Facebook-Seite kommentiert er aktuelle pol...

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