MERKUR, Heft 3, März 2013:
Th. E. Schmidt über Angela Merkel

Zuerst gab es den guten Vorsatz, hier endlich mal wieder über den neuen MERKUR zu schreiben, so wie früher hier schon öfters oder gar regelmäßig dem neuesten Heft des > MERKUR ein Lesebericht gewidmet wurde. Dann kam aber beim Durchblättern der > März-Ausgabe 2013 des MERKUR der Beitrag des Kulturkorrespondenten der ZEIT Thomas E. Schmidt über Angela Merkel und ihren Regierungsstil in den Blick. Dabei entstand die Idee, mal nur über einen Artikel eines Heftes zu schreiben. Schmidt unternimmt unter der Überschrift Die Platzhalterin den Versuch, das System unserer Kanzlerin zu analysieren. Er stellt so zumindest indirekt die Frage, wieso sie sich seit 2005 an der Macht halten kann: Der Untertitel seines Beitrags fasst das Ergebnis dieses Beitrags zusammen: Mit Angela Merkel im Jenseits der Demokratieskepsis.

Geradezu nüchtern analysiert Schmidt ihre Kanzlerschaft und ihre Herrschaftstechnik. Die Kanzlerin hat uns dazugebracht, in zwei Welten zu leben: „Die von der Physikerin der Macht ausgestaltete Welt“ (S. 205) beschere uns auf der einen Seite Stabilität und Ruhe. Konflikte werden in bewährter Form geschlichtet, ansonsten passiert nicht viel, man verwaltet, guckt zu, möchte man hinzufügen. Ihre und unsere andere Welt rückt die „glücklose, zerstrittene Koalition“ in den Blick, der eigentlich nichts gelingt. In bezug auf Merkel stellt Schmidt – in Erinnerung an Jacques Rancières Begriff der Postdemokratie fest: „Sie ist das ‚Post‘ der eingespielten bundesdeutschen Demokratie.“ (S. 206) Ihre Sozialpolitik „verdampfte … zu einer Strategie der Scheinreform und der Reformvermeidung.“ (S. 207)

Dann kommt ihre Herrschaftstechnik in den Blick. Der kleine vertraute Kreis um sie herum lässt nach beiden Seiten nur wenig durch: „Merkels abständiges, karges Regieren ist eine Performance.“ (S. 208) Ihrer zweiten Koalition sei die Innenpolitik abhandengekommen, so lautet Schmidts Urteil. Ihre Befürworter mögen auf ihre gekonnten Volten hinweisen, Wegfall der Wehrpflicht, Atomausstieg, Rückzug aus Afghanistan, Enthaltung im Libyen-Konflikt: „Gerade Merkels Unberechenbarkeit erzeugte den Anschein souveräner Entscheidungsmacht.“ (S. 209)

Europa. Merkels rote Linien lösten sich in Nichts auf: Die EZB gibt maroden Staaten Finanzhilfen und die europäische Wirtschaftsregierung kommt in den Blick… „Die unerklärte Räumung von Positionen … wurde als Ausweis von Handlungsfähigkeit gedeutet.“ (S. 211)

Dann geht es um ihren „Exekutivismus“, der schnelle Entscheidungen ohne die eigenen Partei, den Koalitionspartner oder gar betroffene Verfassungsorgane zu konsultieren umfasst. Eine Kritik an ihrem Exekutivismus, – und die Seite 212 ist die wichtigste Seite dieses Artikels – trifft sie nicht, weil diese Kritiker „der Seite einer Politik des systemischen Eigeninteresses zugeschlagen werden.“ (S. 212) Kritik an ihr bleibt „diesseits der neuen Leitdifferenz zwischen verfassungsmäßiger und wahrhaft legitimer Macht.“ (ib.) Der Rest steht im Untertitel dieses Beitrags. Schmidt sieht aber noch mehr. Merkel wird zur Identifikationsfigur für diejenigen, die sich nicht ausreichend politisch repräsentiert glauben.

„Legitmatorische Leere“ gibt es eigentlich nicht, wir haben dort eine „Platzhalterin im Verteidigungsmodus“ (S. 215). Die Seiten 213-215 enthalten eine kluge Analyse ihres Regierungsstils, den Schmidt mit einer Mischung aus „egoistischer Schlauheit der Selbsterhaltung … mit politischer Verantwortung“ umschreibt, die er irritierend findet.

> MERKUR, März 2013

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