Die Juli-Ausgabe des MERKUR ist genauso interessant wie das letzte Heft. Es ist wunderbar zusammengestellt. Erst wird von Bernhard Schlink die Perspektive auf die Moral und das Moralische geöffnet, dann werden wichtige Einzelaspekte untersucht, und der Leser kann selbst entdecken, wie diese zusammenhängen. Wieder eine treue Begleitung für einen ganzen Monat.
Also diesmal geht es um Tugenden, und beim Lesen merkt man hier, wie schnell auch Tugenden trügerisch werden können. Berthold Franke hat über Treue geschrieben. Hält man sie im Guten wie im Bösen oder bleibt man, Franke es glaubt, am Ende doch immer nur sich selbst treu? Bernhard Schlink denkt mit einem Zitat von Vischer über das Moralische nach: „Das Moralische versteht sich von selbst“ (Friedrich Theodor Vischer, Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. 40. Auflage. Stuttgart und Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt, 1908. S. 33.).
In diesem Aufsatz, der diesem Heft als Einleitung dient, geht es um alles, um den Anspruch einer Moral, > die Camus Ende der 50er Jahre aufgeben wollte. Er kritisierte damit eher festgefügte Moralsätze statt die Suche nach einer Moral, wie schon Sisyphos zeigte.
Harry Nutt hat ein Lob über die Lässigkeit „Starke Schwäche“ aufgeschrieben. Ist sie wirklich cool und schön?
Michael Schröter hat Freunds memorandum Soll die Psychonalyse an der Universität gelehrt werden? in der Berliner Zeitschrift Das Argument (1969) wieder aufgefunden und stellt es hier vor. (Schröter erinnert daran, dass damals einige glaubten, Freud und Marx verbinden zu können: Das glaubte einst auch Sartre – der Autor des Drehbuchs von Jean Huston über Freud! – , als er seine Mallarmé-Studie schrieb und einen marxistischen und dann eine psychoanalytischen Ansatz prüfte, um dem Werk Mallarmés auf die Spur zu kommen. Die Studie ist unvollendet, vielleicht auch deshalb, weil Sartre in diesem Text > Sartre und Mallarmé (Paris, Sorbonne, 21. Juni 2008) beide Ansätze verwarf. Traugott König erzählte mir bei einem Ttreffen, die ganze Studie läge in Paris in einer Schublade…).
Bernd Rebe bezeichnet die Reformation als ein unvollendetes Projekt und verleiht dem Wunsch Ausdruck, hofft, dass man auch die dunklen Seiten Martin Luthers und des Protestantismus bei den Jubiläumsfeierlichkeiten würdigen werde.
Und dann noch die Kolumnen: Jürgen Kocka schreibt über den deutschen Umgang mit Diktaturerfahrungen, Cord Riechelman über die Konstruktion der Rassen. Klaus Birnsteil ruft nach der Lektüre Paul Venynes dazu auf, Foucault doch noch einmal zu lesen, und Ann Marie Rasmussen referiert neueste Forschungsergebnisse über das Frauenleben im Mittelalter. Patrick Keller möchte den amerikanischen Konservatismus nicht allzu schnell abschreiben und Richard Utz warnt vor Angebern: „Taktlos demonstrativ“. Helmut Niemeyer schreibt zum Schluß über Totenköpfe.
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