Merkur – Juli 2008

Heinz Schlaffer berichtet über ein Adonisfest in Alexandrien und zitiert Theokrits fünfzehnte Idylle und er dem Titel Flüchtige Wahrnehmung von Kunst. Es geht um die Rezeption von Kunst oder wie Besucher Kunstwerke (wie lange) mit welchem Ergebnis auf sich wirken lassen. Sogar schon Theokrit gibt zu erkennen, was das Kunstwerk im Besucher anrichtet. Nebenbei kritisiert er den heutigen ungehemmten Kunst- und Literaturbetrieb, der oft seine eigenen Anlässe vergisst. Solche Veranstaltung „erleiden solchen Zuspruch, dass im Getümmel sein Anlass verschwindet.“ (S. 559) Es ist eine kleine Ästhetik der Kunstbetrachtung, die Heinz Schlaffer hier vorschlägt und sie ist ihm prächtig gelungen, und vermittelt Nachdenkenswertes über den Sinn und den Zweck von Kunst im Rahmen ihrer Rezeption von der Antike bis heute.

Gustav Seibt berichtet von den Tagen nach der Schlacht von Jean und Auerstedt, als im Oktober 1806 versprengte Soldaten sich Einlass in Goethes Haus am Frauenplan verschafften, und der Dichter sich in den oberen Räumen zurückzog in Sorge um sein Hab und Gut. Schließlich kommt es am 2. Oktober 1808 zu der Begegnung mit dem Kaiser, eine von solchen Treffen der Großen, wo man so gerne dabei gewesen wäre. Mit Goethes Interpretationen und seiner Zeitgeschichte kann hier der Leser den Einfluss der Ereignisse auf die Nationalgeschichte nachvollziehen und gleichzeitig viel über das Verhältnis von Geschichte und Literatur lernen. Seibt gelingt es mühelos, den Leser zum Wiederlesen der Werke Goethes, die sich auf diese Zeit beziehen anzuregen.

Detlev Schöttker schreibt über die „Holokaustdebatte zwischen Celan, Adorno und Hannah Arendt“. Mit Deutungskonkurrenzen ist sein Beitrag überschrieben. Er berichtet über die gegenseitige Rezeption ihrer Texte und Gedichte und schreibt so ein wichtiges Kapitel deutscher Nachkriegsliteratur.

Hansjörg Graf hat Henry James wiedergelesen: Der richtige Ort. Exkursionen mit Henry James. In den USA, in London, Paris (Occasional Paris, 1877) und Venedig (The Aspen Papers), wo er sich 1869 zum ersten Mal aufhält, lässt er Topographisches in seine Romane und Erzählungen einfließen. Graf erinnert auch an den an die 1998 veröffentlichten Briefe aus Venedig Letters from the Palazzo Barabro

Claudio Magris ist im September 2004 durch den Iran gereist: Wasser und Wüste lautet die Überschrift seines Berichts, in dem von Fremdheit und Vertrautheit zugleich erzählt. Und er gibt zu erkennen, wie das besonderes kulturelles, literarisches und poetisches Potential der iranischen Gegenwart dem Land Entwicklungslinien aufzeigt.

Jürgen Kocka fragt in der Geschichtskolumne Wann endete Preußen? und berichtet über neue Interpretationen der preußischen Geschichte. Die Ökologiekolumne enthält einen Beitrag von Cord Riechelmann „Forst ohne Wald“ und zeigt Geschichte ganz interessant aus einem anderen Blickwinkel. Johan Schloemann führt mit Im Land des verlorenen Inhalts in das Werk von A.E. Housman, einer der größten „Textkritiker aller Zeiten“ (S. 619) ein, von 1911 bis 1936 Professor für Latein in Cambridge und Fellow des Trinity College war. Das Ende des schönen Schreibens, so lautet die Überschrift, unter der Michael Rutschky über „68 und die Literatur“ berichtet. Bodo Mrozeck hat sich die „Urgeschichte der Popkultur“ Halbstark vorgenommen. Und Denis Dutton erklärt „Warum wir Hierarchien schätzen, aber nicht die da oben: Der Mensch kommt aus dem Pleistozän.

Marc Degens wohnt jetzt in Armenien. Über sein Debüt als Schriftsteller schreibt er unter der Überschrift Das Ruhrgebiet als geistige Lebensform „Über das Abweichen von der Norm“. Seine Erinnerungen an die Universitäten gefallen mir nicht so recht. Warum macht er aus den Studenten Studierende ? Diese falsche Verwendung der Verlaufsform ist wirklich nicht nötig und schon gar nicht, um aus ihnen „Angestellte“ zu machen, die studieren. Er freut sich über das eigenen Abweichen von der Norm und fragt sich, ob ein Schriftsteller es dort aushalten kann? Er klagt über seinen schweren Start als „Literaturmacher“, Literatur entsteht ja auch erst, wenn Texte gelesen werden… Das Publikum und die Literatur sei im Ruhrgebiet abwesend gewesen, klagt er. Auch wenn er jetzt in Armenien wohnt, man spürt doch, dass Degens sich auch mit ein wenig Wehmut an seine Ursprünge erinnert.

Ich freue mich auf das nächste Heft des Merkurs.