MERKUR – Juli 2011

Die Herausgeber des des Juliheftes (Nr. 746) geben an, das Leitthema dieses Heftes sei die Narratio: Karl Schlögel fragt, wie erzählt man moderne Geschichte? Narrative der Gleichzeitigkeit oder die Grenzen der Erzählbarkeit von Geschichte lautet die Überschrift seines Beitrags, derr mit einer Erinnerung an Musils Mann ohne Eigenschaften beginnt. Sind Sie bei der Lektüre dieses Romans auch mal steckengeblieben? Dann holen Sie bitte die Lektüre im nächsten Urlaub unbedingt nach. Die Nennung der offenkundigen Zusammenhänge von Literatur und Geschichte machen Schlögels Artikel zu einer sehr interessanten Lektüre. Jakob Hessing schreibt über deutsch-jüdische Literatur: Fluchtpunkte. Dann folgt der zweite Teil des Tagebuchs 1991 von Michael Rutschky Meine deutsche Frage.

Geschichte und Geschichten erzählen? Dieses Thema passt vorzüglich auch zur Architektur. Denn das machen auch Häuser, ja ganze Stadtquartiere erzählen davon, wie die Menschen dort leben. Man kann beim Anblick der Häuser, wie in einem Stadtbuch lesen, das geht überall in jeder Stadt, wo man auf diese Weise etwas über die Seele und den Charakter der jeweiligen Stadt erfährt. Es gibt Städte mit lockerer Bebauung, wo Platz für viele Gärten ist, und wo gleichzeitig die Wege zur Arbeit angenehm kurz sind. Und es gibt Städte wie Stuttgart, wo in jedem zur Verfügung stehendem Winkel ein Haus gebaut wird, in der zweiten und dritten Reihe. Der Autoverkehr dominiert hier allein schon durch die > Hauptstätter Straße, die mit ihren teilweise 14 Spuren Stadtteile voneinander trennt und dem brausenden Autoverkehr auf der Stadtautobahn freie Fahrt lässt, die jeden Fußgänger nachhaltig verschreckt. Der Wiener Professor und Architekt Georg Franck stellt mit seinem Beitrag Die urbane Allmende die „Herausforderung der Baukultur durch die nachhaltige Stadt“ vor. So gelungen! Eine Pflichtlektüre für alle, und besonders für die Stuttgarter, die bereit sind, ein wenig über die > Stadtreparatur nachzudenken. Da wird gerade ein ganzes Stadtviertel abgerissen, damit das Gerber mit einem > Einkaufszentrum gebaut werden kann. Daneben steht und wird eine > Stadtautobahnbrücke stehenbleiben, deren Sinn und Zweck sich niemandem erschließt.

Hier wird dokumentiert, dass eine Baukultur in Stuttgart zumindest in diesem Stadtviertel ein Fremdwort ist. Franck fordert mit Recht, eine Redimensionierung der Städte im Zeichen der ‚walkable city'“. (S. 567) Leider ist im Augenblick nur die Bahnhofsdebatte nachhaltig, für die Stadt selber, > die Erneuerung der Stadt auch im Sinne von Franck bleibt viel zu wenig Aufmerksamkeit und keine Zeit. Über die Räume und die Prozesse in der Stadt kann man mit dem Artikel von Franck echt viel lernen. Falsch verstanden Nachverdichtung in der Innenstadt führt dazu, dass die Gebäude sich nichts zusagen haben, allenfalls kann hier das Einkaufszentrum zum Königsbau sagen: „Du kommst auch noch weg“.

Gerwin Zohlens wettert zur Recht gegen die ubiquitäre „Angeberarchitektur“ Ein Lob der Gewöhnlichkeit„, John Buntin rezensiert neue Bücher über Stadtplanung. Im Juliheft gibt es auch Kolumnen über die die Ökologie politischer Bürgerbeteiligung, eine Rezension einer monumentalen Nietzsche-Studie, einen Aufsatz , die gelehrte Träumerei über die Vorstellungskraft in den Blick nimmt und einen amüsanter Essay über das Sammelns und die Verrücktheit des Sammlers Entgleiste Vorratshaltung von Walter Grasskamp.