MERKUR – Juni 2011

Bernhard Schlink berichtet unter der Überschrift „Die Kultur des Denunziatorischen“ über seine Lehrerfahrungen als Jurist und über die Besserwisserei mit heutiger Moral derjenigen, die aus der heutigen Zeit urteilen und sich nicht in die damals Handlenden hineinversetzen. Das macht aber auch den Reiz der Geschichtswissenschaft aus, und das war schon immer so, dass die Nachgeborenen sich ein besseres Bild als die Zeitgenossen, ja gar als der Augenzeuge mach können. Moral? Die alte Frage. Gibt es wirklich eine Moral in der Politik oder nur Macht?

Heinz Theisen sieht „Grenzen der Interkulturalität“ und denkt über die „Koexistenz der Religionen“ nach. Uwe Simson hat den „Fall Ägypten“ untersucht und findet das der Umsturz mehr mit Ökonomie als mit Demokratie zu tun hat. Nidra Poller schreibt über die „Intifada in Frankreich“ und fragt sich, ob die Integrationsbemühungen gescheitert sind.

In den Kolumnen beschreibt Wolfgang Kemp das Museum als therapeutische Anstalt, Karen Horn rezensiert Joseph Vogt, „Das Gespenst des Kapitals“ (Berlin: Diaphanes 2010). Thomas Speckmann hat eine ganze Reihe von Büchern über den Krieg gelesen:und fragt „Wie unheroisch ist der Westen?“ David Goodhart hat das Buch von Thilo Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ (München: DVA 2919) gelesen und meint, dass dieses Buch trotz der Provokationen, denen der Autor nicht widerstehen konnte, für Deutschland einen wichtigen Schritt vorwärts bedeutet. Er kritisiert den Zustand in jedem Bereich der Politik. Kaum irgendetwas ist von ihm nicht angegriffen worden. Die Folge war, dass, wie so oft in der Politik, seine Kritiker sich erstmal mit dem Autor ausgiebig beschäftigt haben, als auch nur am Rande auf seine Thesen einzugehen. Sicher es sind keine Leitsätze, sondern Thesen, und über die kann man diskutieren, aber die politische Kultur in diesem Lande wollte das zunächst nicht und versuchte den Autor kaltzustellen. Bei so viel Zahlen entstehen Fehler, auch mal falsche Bewertungen, aber die Nüchternheit, mit der Goodhart über seine Lektüre berichtet, sagt den Kritiker, niedriger hängen aber auch sich über die Inhalte Gedanken machen.

Harald Seubert will wissen „Woher Europa kommt und woraus es lebt“. „Christlich-jüdische Wurzeln?“ – dabei fällt mir ein, dass die Regierung in Berlin ihrer Europapolitik ein solides Fundament verpassen müsste. Es reicht nicht einen oder mehrere Rettungsschirme nacheinander aufzuspannen. Das friedvolle Zusammenleben der Völker unter dem Dach der EU ist ein Erfolgsmodell, vielleicht aus deshalb, weil es für die Mitlebenden so selbstverständlich ist. Fragen nach der Identitität und der historischen Mission helfen aber für Orientierungen und und sind eine Anregung, unsere europäischen Möglichkeiten besser in den Blick zu nehmen. Eine Energiewende ist national alleine nicht mehr möglich. Wenn in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin stehen würde: „Zusammen mit Frankreich haben wir….“; stattdessen kommt „Frankreich“ nicht vor und Europa wird nur genannt, um zu betonen, wie toll wir in Europa sein wollen. Damit sei doch das Interesse, das man dem Beitrag von Harald Seubert entgegenbringen sollte, hinreichend unterstrichen.

Thomas Frahm berichtet aus dem „Kokon der Fremde. Zehn Jahre Bulgarien“. Joaquín García-Huidobro weiß etwas Erhellendes über „Barock und Aufklärung in Lateinamerika“ zu berichten und erzählt, wie dort die europäischer Kultur ankommt. Jochen Rack erzählt über das fröhliche Vielvölkergemisch in München: „Neue Bilder aus der globalisierten Welt“.

> MERKUR Heft 06 / Juni 2011

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