Politik, Geschichte, Soziologie, Kluges übers Internet. Ein Heft so richtig im Geist des MERKUR.
Friedrich Wilhelm Graf diskutiert die Überlegungen der Kirchen zur Sterbehilfe. Sein als Religionskolumne eingereichtes Manuskript zum Umgang »der Kirche« mit Sterbehilfe sei so kämpferisch und aktuell, berichten die Herausgeber des Merkur, so dass sie zum Aufmacher des Maihefts gemacht haben. Graf schreibt: „Die beiden großen deutschen Volkskirchen sind nur noch erschreckend geistlose Organisationen. Und eines habe ich noch nie verstanden: Wieso mein Sterben „den Staat“ und „die Kirche“ überhaupt etwas angeht.“ Ralph Bollmann (> Die Deutsche. Angela Merkel und wir) schriebt unter dem Titel „Das ferne Land“ über die Historisierung der alten Bundesrepublik, die uns heute als weit zurückliegend erscheint. Für einen Bonner der der 70er und 80er Jahre ist diese Entrückung auch mit der Erinnerung an die Umzugsdebatte besonders präsent. Wenn ich mich recht erinnere hatte Wolfgang Schäuble in der denkwürdigen Debatte zur Hauptstadtwahl mit den Ausschlag gegeben und so zur Entrückung der Bundesrepublik und der Gewichtsverlagerung nach Berlin den Ausschlag gegeben. Klar, Bonn war ein Provisorium, immer zu klein, aber auch irgendwie bescheiden und heute ist die Berliner Politik uns allen immer ein wenig, um es nochmal zu sagen, entrückt. Einer meiner akademischen Lehrer sagte mir einmal, vielleicht gebe es die Bundesrepublik (so) bald nicht mehr… das war so um 1985.
Birgit Recki, „Gegen die Absolutismen der Wirklichkeit“, berichtet über Hans Blumenberg in Münster, wo er 15 Jahre lang lehrte: Spannende Wissenschaftsgeschichte. Zu Recht wünscht Recki ihm ein weltweites Auditorium. Hannes Bajohr erinnert unter dem Titel „Der Preis der Wahrheit“ an „Hans Blumenberg über Hannah Arendts ‚Eichmann in Jerusalem'“. Er verdächtigt sie des Platonismus. (S. 56)
Rudolf Stichweh schreibt in seiner Soziologiekolumne über „Religion als globale Kategorie“, eine Verortung der Religion, die lesenswert ist. Niels Werbers Beitrag „Gaias Geopolitik“ fängt mit der Frage „Was macht Carl Schmitt mit Brundo Latour?“ an. Es geht um die ANT (Akteur-Netzwerk-Theorie) und Werber disktuiert den Begriff der „politischen Theologie“, dabei entdeckt er erstaunliche Parallelen zwischen Schmitt und Latour.
Die Marginalien: Günter Hack untersucht die Philosophie des Responsive Design – Gestaltung und Kontrolle: Gut auf den Punkt gebracht. Eine große Suchmaschine, die wir alle ständig benutzen, gibt jetzt Internet-Angeboten, wenn sie für mobile PCs designmäßig responsive optimiert sind und auf mobilen PCs gesucht werden, den Vorrang im Suchergebnis. Je hübscher gemacht, umso mehr nach oben, egal was auf der Seite für ein Stuss gezeigt wird: „Wer die Verhältnisse kontrolliert , der bestimmt die Verhältnisse,“ stellt Hack fest.
Michael Esders beschäftigt sich mit dem ökonomischen Wert, den Wörter im Internet bekommen haben. Max-Otto Baumann nimmt das Datenschutzversagen in den Blick. Man könnte den Eindruck haben, dass Datensammler Datenschutz als Legitimation ihrer Daten (miss-)verstehen. Jochen Thies: „Das Ende der Bescheidenheit: der deutsche Politikbetrieb“. Schon allein der Ausdruck „sichererer Listenplatz“ könnte für uns eine Anregung sein, jeden Volksvertreter in einem Wahlkreis wählen zu lassen. Wir können eine bestimmte Zahl von Politikern einfach nicht abwählen. Begünstigungen, Beziehungen und Lobbyistentum, alles geht ineinander über. Viele Politik suchen nach dem Ende ihres Mandats ihr Heil in der Wirtschaft. Ein Geschmäckle hat das, sagen die Schwaben.
Und Stephan Herczeg hat die nächste Folge seines Journals verfasst.
> Merkur
Jahrgang 69, Heft 792, Heft 05, Mai 2015
broschiert
ISSN: 0026-0096