Gestern abend kam das nächste Buch > Die Vergangenheit von Alan Pauls dran, das ganz oben auf dem > Bücherstapel der Neuerscheinungen liegt, dran. Bisher habe ich schon öfters die ersten drei, vier Seiten eines neuen Buches laut gelesen, sozusagen, um den Stil zu prüfen, in Erinnerung an Flauberts > épreuves de gueuloir. Bei den ersten fünf Seiten blieb es diesmal nicht. Das war mir auch bei > Zwei schwarzen Jäger von Brigitte Kronauer passiert. Aber hier ist das ein ganz anderer Stil. Beim Vorlesen wurden es gestern abend 50 Seiten, die ersten sieben Kapitel, die den Leser mit Rímini und Sofía bekanntmachen. Die wunderbare Schilderung der Ablieferung oder Aushändigung eines Briefes auf den ersten Seiten, geht über in das 2. Kapitel, in dem von Sofías Nachrichten erzählt wird, die sie in jeder Form und überall hinterlegt; viel schöner und aufregender als die heutigen elektronischen SMS. Dann reisen sie nach Europa, nach Wien, wo Sofía eine Grippe überstehen muss. Im Museum suchen sie das Bild von Jeremy Riltse und begegnen Pierre-Gilles.
Die Vergangenheit ist ein wunderbarer Roman über die Aufregungen der Liebe: „Die Risse waren nie groß genug, oder die Membran, die sie schützte, war zu widerstandsfähig, oder – unerhörter Skandal – die Zeit, der klassische Feind aller Dauer in der Liebe, meinte es außergewöhnlich gut mit ihnen, so sehr, dass ihre berühmten Gifte – Erosion, Routine, einschläfernde Vertrautheit ohne Doppelbödigkeit – in Kontakt mit ihnen das Vorzeichen änderten und zu Elixieren wurden, zu seltsamen Zaubergetränken, die, indem sie sich mit der Liebe mischten, sie beharrlich, beständig, unverletzlich machten. Sie hatten die Dauer auf ihrer Seite. Das war das Geheimnis.“ (S. 50 f.) – Christian Hansen hat das Buch übersetzt und beim Vorlesen kann man genau hören, wie gut ihm das gelungen ist. „Mit der Zeit verfügte Rímini über eine beachtliche Sammlung solcher Nachrichten. Er hütete sie an geheimen, regelmäßig wechselnden Orten, aus Furcht, Sofía könne sie entdecken. Nie las er sie zweimal: Ihm genügte es, sie zu besitzen; aber kaum etwas machte ihm größeres Vergnügen, insbesondere wenn er spürte, dass Sofía sich näherte, als in einem alten Schuhkarton, einem Buch oder der Tasche eines selten getragenen Sakkos zu stöbern, um seiner Sammlung ein weiteres Exemplar hinzuzufügen.“ (S. 20) Bis hierhin werden keine intimen Geschichten erzählt, die Schilderung der Gewohnheiten zwischen beiden genügen, um die Intensität ihrer Liebe zu beschreiben. Die Nachrichten von Sofía haben für Rímini eine zentrale Bedeutung: „(Rímini, der Fremdgehen nicht verurteilte, darin jedoch den Gipfel des Abwegigen sah, etwas so Aberwitziges und Abseitiges wie Levitation, Astrologie oder Drogensucht, hatte indes einen einzigartigen Weg gefunden, es zu tun: Er betrog seine Geliebte mit den Liebesbeweisen, die sie selbst ihm verehrt hatte.)“ (ib.) Rímini versucht die Erinnerungen zu behalten und sie nicht einer verlorenen Zeit zu überlassen: „Er bewahrte sie auf > wie andere Leute Fotos, Haarsträhnen, Bierdeckel, Theaterkarten, Bordkarten oder Postkarten aus fernen Ländern, Reliquien, in die Liebende sich von Zeit zu Zeit vergraben, um sich die historische Dimension einer alltäglichen Leidenschaft in Erinnerung zu rufen oder sie wiederzubeleben, ihr Feuer anzufachen, wenn sie in stiller Stagnation erlahmte und mit dem Horizont bloßer Wiederholungen zu verschmelzen drohte.“ (ib.)
Die nächsten Kapitel werden zeigen, wieso der Roman > Die Vergangenheit heißt. Eigentlich ist es schade, dass Verlagstexte oder Klappentexte schon oft so viel über ein Buch verraten. Durch das Schreiben über > Bücher auch anderer Verlage merkt man, dass zur Orientierung die Werbetexte nicht ausreichen. Anfangen zu lesen, das ist es, was zu interessanten Büchern führt. Auf den Ständen der > nächsten Buchmesse kann man wieder beobachten, wie die Leser die Bücher prüfen.
> Gespräch mit Michael Zöllner über Alan Pauls, Die Vergangenheit
Hier können Sie in > Die Vergangenheit blättern.
Alan Pauls
> Die Vergangenheit
Roman
Aus dem Spanischen von Christian Hansen (Orig.: El Pasado)
Auflage: 1. Aufl. 2009
Ausstattung: gebunden mit Schutzumschlag
559 Seiten
ISBN: 978-3-608-93705-3