Wiedergelesen: Julien Gracq, Das Ufer der Syrten

gracq-syrtenAm Beginn meines Studiums hat ein Kommilitone in Paris mir das Buch Les rivages des Syrtes von Julien Gracq geschenkt. Das ist richtig gutes Französisch, ein wunderbarer Stil und ein wichtiges Buch, fügte er hinzu. Auf deutsch ist der Band unter dem Titel Das Ufer der Syrten in der Übersetzung von Friedrich Hagen bei Klett-Cotta erschienen. In diesem Roman geht es um die alte Adelsrepublik Orsenna und Farghestan auf der anderen Küstenseite. Beide gehen auf einen Krieg zu, in dem Orsenna untergehen wird. Der Waffengang ist unaufhaltsam, alles deutet auf ihn hin wie eine Lust am Untergang, die eine Art Sog ausübt. Der Krieg selber wird in diesem Roman nicht mehr beschrieben, aber das Gespräch des Erzählers mit Danielo dem mächtigsten Mann von Orsenna erklärt einige der Umstände und gibt einen Einblick in die Zwangsläufigkeit der Ereignisse: Danielo sagt über den Senat: „Und von ihrer Zungendrescherei kann ich dir leicht eine Idee geben: mit Bedacht und Trefflichkeit von den Toten salbadern, das ist das Abc der Staatslenkerkunst, und sich davon einfangen lassen, das ist das Liebklingslaster Orsennas. Die Stadt findet es immer ein wenig unpassend, wenn einer in er der Wirklichkeitsform der Gegenwart daherredet.“ Der Erzähler antwortet auf Orsenna, der den Untergang Orsennas andeutet: „Eine einzige Geste von Ihnen, eine einzige Geste, die selbst Ihren Stolz nichts kostet, und es wird Frieden sein…“ Aber Danielo hat schon einen Polizeibericht aus Engaddi, einem Dorf inmitten der Syrten in der Hand, der von den Bewegungen der farghestanischen Armee um das Systenmeer ostwärts berichtete. Der Erzähler versucht zuversichtlich zu sein, aber Danielo entgegnet ihm: „Sie werden so wenig Halt machen, wie die Sterne aufhören werden zu kreisen.“

Am 22. Dezember ist Julien Gracq im Alter von 97 Jahren gestorben. Louis Poirier hat sich sein Pseudonym mit Bezug auf Julien Sorel und die Grachen erwählt. Er ging zunächst in Nantes zur Schule (La Forme d’une ville), dann kam er ins Lycée Henri IV nach Paris. 1930 wird er Student an der École libre des Sciences Politiques de Paris und an der Ecole Normale Supérieure. Er wird Lehrer in Nantes und Quimper, tritt der PCF bei. Au château d’Argol erscheint 1939 im Verlag Corti. Seine Kriegserlebnisse erscheinen 1958 in Un balcon en forêt. Später unterrichtet er in Caen und Amiens. 1945 erscheint Un beau ténébreux. Der Graalsmythos wird in einem gelichzeitig erschienen Theaterstück Le Roi pêcheur thatisiert. Von 1947 bis 1970 unterrichtet er Geschichte und Geographie am Gymnasium Claude Bernard in Paris. Im September 1951 erscheint Le Rivages des Syrtes, für den er den Prix Goncourt erhält, den er aber anlehnt. Er hat 19 Bücher veröffentlicht, zuletzt 1992 Carnets du grand chemain.

»Nicht in der Öffentlichkeit, sondern in Romanen und Prosagedichten zündete Gracq ein Feuerwerk der Bilder. Vor allem im „Ufer der Syrten“, seinem herausragenden Buch, manifestiert sich die Magie der Imagination.«
Christiane Schott (Stuttgarter Zeitung, 24.12.2007)

> Julien Gracq La République des lettres

Anläßlich des Geburtstages von Gracq am 27. Juli ist auf diesem Blog schon einmal ein Beitrag zu > Julien Gracq erscheinen.

> L’écrivain Julien Gracq est mort, LE MONDE, 23.12.2007

> Julien Gracq , Verlag José Corti, Paris

Auf deutsch gab es Klett-Cotta von Julien Gracq auch Entdeckungen. Essays zu Literatur und Kritik (Versuche 2) in der Übersetzungen von Michael Fengler und Liselotte Eder.