Lesebericht: Brigitte Kronauer Das Schöne, Schäbige, Schwankende

Brigitte Kronauer, Das Schöne, Schäbige, Schwankende> Brigitte Kronauer (1940-2019) hat für ihr Buch > Das Schöne, Schäbige, Schwankende, das heute bei Klett-Cotta erscheint, Romangeschichten verfasst. So nennt sie die Miniaturen, Kurzgeschichten oder – erzählungen in diesem Band und gibt zu verstehen, dass jede dieser Novellen genug Stoff für einen ganzen Roman bieten würde.

> Brigitte Kronauer (1940-2019)

Die hier versammelten Geschichten würden in einem Roman, an seinem Anfang ihren Platz finden oder mittendrin, möglicherweise auch als Auftakt zu einem neuen Kapitel. Manche dieser Erzählungen sind in sich abgeschlossen. Allen ist der Beweis für die großartige Erzählkunst Brigitte Kronauers gemeinsam. Oft steht eine Einzelperson im Mittelpunkt, deren Verhältnis zu den Mitmenschen die Handlung vorantreibt. Perfekt ausgefeilte Romanfragmente mit dem unverwechselbaren Stil und der so genauen Beobachtungsgabe der Autorin. – Vgl. dazu Vorgelesen: Zwei schwarze Jäger – 31. August 2009 „Dieses Buch habe ich zu Hause ganz vorgelesen.“ – Einige Geschichten berichten ein Schicksal, zuweilen ist das Ende überraschend, das dann noch von der Erzählerin als Auftakt für eine Interpretation des Ereignisses, also dessen Wirkung auf die Protagonisten der Erzählung genutzt wird. So bekommt Franziska Gelegenheit nach ihrer so erotisch aufgeladenen Begegnung mit dem Italiener über die Folgen ihrer Begegnung nachzudenken.

Erlaubt die (An-) Ordnung der Geschichten Rückschlüsse auf die Bedeutung der Sammlung? Man darf hier nicht zu viele Rätsel suchen: Brigitte Kronauer macht es ihren Leser/innen leicht, auf dass sie sich erstmal einem wahren Lesevergnügen hingeben. Aber sehr schnell rücken Nachdenkliches und anrührende Schicksale als Anleitung in den Vordergrund, im Nach-Denken die Geschichten weiterzuführen. Allen Geschichte ist der Blick auf die Wechselfälle des Lebens gemeinsam; kaum eine der Figuren schlittert selbstverschuldet in ihr Unglück. Neben der präzisen Beobachtung der Figuren erscheint dann auch ein scharfer soziologischer Blick auf zwischenmenschliche Verhältnisse: wie reagieren andere auf das Schwankende und Schäbige im Leben? Was treibt Hubertus dazu, immer wieder die neuen Nachbarn aufzusuchen?  Erwartungen werden geweckt und aufgebaut und plötzlich ist alles nur durch einen Satz ganz anders: „Da fallen Sie aus allen Wolken?“ (S. 15)

Die Personen ihrer Erzählungen werden so rapide vertraut, dass man die Kürze der Erzählungen bedauern könnte. Andere Geschichte sind ganz in sich geschlossen, wir nennen sie Miniaturen, die Schicksale berichten, die zuweilen mit dem Tod wie dem von Hubertus enden. Die Erzählung vom Gärtner könnte als gelungene Passage in einem Roman ihren Platz finden. „Von Rameau bis Rihm“ schildert das Ende der Karriere einer Pianistin, ein Ende, das immer irgendwie sich ankündigt und eintritt. Die Orte wechseln. Wir sind in St. Petersburg, die Orte der Handlungen sind so vielfältig wie die auftretenden Personen. Auf nach Rom: „Die Krähe in der ewigen Stadt“ wird unsere bevorzugte Geschichte zum Vorlesen. Manchmal klingt auch Kritik an den Mitmenschen an: „Der Charmeur“: „Wie soll etwas besonderen Wert haben, wenn es soviel davon gibt.“ (S. 90)

Einige Geschichten berichten über ausgeprägte Schrullen ihrer Figuren. Oliver in „Zwerge“ ist so einer, der ungefragt sein Schicksal erzählt. „Kleine Mädchen“ analysiert das Moppen in kleinen Gruppen, ganz so als würde eine Moral dieser Geschichte folgen. Nein, moralisierend sind diese Erzählungen nicht, aber der Leser wird dennoch auch in moralischen Kategorien das Berichtete überdenken. Schicksalsschläge wie der Tod von Dr. Guido Zenk oder das behinderte Kind von Constanze Krekosch werden durch erstaunliche und erfolgreiche Rettungsaktionen durch erstaunliche und gute Fügungen abgelöst. Ob manche Geschichten in der Erinnerung der Autorin, in ihrem Beobachtungsschatz ihren Auftakt finden? Vielleicht hat sie Zwillinge nur einmal so beachtet und ihnen mit „Die Beiden“ ein Schicksal verfasst. Andere wie Kevin fügen sich als Frisör in ihr Schicksal, bis der Moment kommt, in dem sie dann aufgrund neu auftretender Umstände doch alles aus eigenem Antrieb ändern. Sie hätten auch alles beim Alten lassen können: „Und bitte, vermissen Sie mich ein bisschen,“ sagt Kevin beim Abschied.

Die Geschichten sind unterschiedlich lang, einige beschrieben einige Stunden, andere viele Jahre. Manchmal kommt es auch zu einem heftigen Ende, wenn die Protagonisten handgreiflich werden: „Der Förderer“. Manche Geschichten sind so bizarr wie „Murat“, die uns in die Vorstellungswelt eines Zwölfjährigen führt und ihn diese gegen die Älteren verteidigen lässt.

Dann, Kapitel 3, S. 355: „Ich habe Franziska wiedergetroffen.“ Und in diesem Fragment findet sich der Satz „Figuren mitten aus dem Leben, die ich vielleicht für meine Romane verwenden könnte.“ Ganz so, als haben die Autorin hier die Personen und ihre Schicksale daraufhin geprüft, welche Platz sie im nächsten Roman erhalten könnten.

Kapitel 4 „Die Jahre mit Katja“ ist wieder ein Romanfragment, das über Katjas Schicksal berichtet.

Im Kapitel 5 „Grünwald“ berichtet ein 93-jähriger emeritierter Literaturprofessor, wie er seine Tage einrichtet und Frau Schmetz sein Vertrauen gewinnt. Er erzählt von seiner verstorbenen Frau und beichtet auch eine Liaison. Und sein ganzes Denken dreht sich um die Interpretation des > Isenheimers Altars im Museum Unterlinden in Colmar. Teilweise geht die Interpretation der Bilder aus Colmar in die seines eigenen Lebens über: „Vielleicht bin ich allein geboren, um seine Bilder anzusehen mit meinen jungen und meinen alten Augen.“ Seine Schmerzen werden immer größer und der kleine Arya ist seine Augenweide.“ Aber eine seiner Sicherheiten bleibt: „Frauen sind doch immer neu ein Anlaß zum Staunen.“ (S. 559)

Wie gerne hätten wir mit Frau Kronauer über ihr Buch gesprochen: Nachgefragt… Auf dem Stand von Klett-Cotta auf der Frankfurter Buchmesse: „Der Blog von Klett-Cotta ist wieder auf der Frankfurter Buchmesse. Neben uns sitzt…“ Es bleiben die Erinnerung an die wunderbaren Gespräche mit Brigitte Kronauer:

> Vorgefragt: Brigitte Kronauer, Gewäsch und Gewimmel – 14. Oktober 2013

> Nachgefragt: Brigitte Kronauer, Zwei schwarze Jäger – 18. Oktober 2009

Brigitte Kronauer, Das Schöne, Schäbige, Schwankende> Brigitte Kronauer auf dem Stand von Klett-Cotta – 13. Oktober 2007

Brigitte Kronauer,
> Das Schöne, Schäbige, Schwankende. Romangeschichten
2. Druckauflage 2019, 596 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96412-7