Christian Torkler, > Der Platz an der Sonne war ein echtes Leseabenteuer in unserer BlogRedaktion. – Und wie oft kommt eine Kollegin zu mir und sucht eine Lektüre, spannend, eine erzählte Geschichte, so etwas, wo man sich so richtig hineinvertiefen kann. Da hätten wir was für sie. > Der Platz an der Sonne ist für Sie das passende Lesepensum. Fast oder besser noch als Kino. Rasant erzählt, die Handlung mit überraschenden, neuen Perspektiven. Josua Brenner heißt die Hauptfigur.
> Nachgefragt: Christian Torkler, Der Platz an der Sonne
Die Geschichte kennt immer bestimmte Situationen, wo alles hier oder dort hätte abbiegen können, je nachdem wie stark der Zufall regiert. Die amerikanische Luftbrücke hat 1948 Berlin versorgt, als die Sowjets versucht hatten, die Stadt auf dem Landweg zu isolieren. Monatelang wurde die Berlin aus der Luft versorgt, bis die Sowjets schließlich nachgaben. Bei Torkler kommt alles ganz anders. Am 18. Oktober 1948 greift ein russischer Jäger eine amerikanische Transportmaschine an und wird dafür von den Amerikanern abgeschossen. Die Russen zerstören Tempelhof, die Amerikaner greifen sowjetische Stützpunkte in der Ostzone an (vgl. S. 252 f.). Diesen Krieg konnte keiner gewinnen. Die Blöcke zerfielen in Kriegsparteien, erst 1961 kam es zu einem Frieden. Deutschland blieb in mehrere Staaten geteilt, darunter die Neue Preußische Republik, Freie Sozialistische Volksrepublik Mitteldeutschland Bundesrepublik Rheinland, Westphalen und Nassau und der Süddeutsche Bund.
Josua Brenner (jg. 1978) wächst in der Neuen Preußischen Republik auf, eine Diktatur der National-Demokratischen Preußischen Arbeiterpartei NDPAP, die nicht davor zurückschreckt, ihren Machtanspruch mit roher Gewalt durchzusetzen. Bei den Wahlen 1998 gewinnt die NDPAP, die sofort ausbrechenden Unruhen werden mit einer Ausgangssperre beantwortet. Derweil fährt Josua u.a. Taxi, heiratet und 2001 kommt ihr Sohn Martin zur Welt. Josua will sich einen Traum erfüllen und setzt alles daran, Kneipe aufzumachen. Was für ein Geziehe und Gezerre mit dem Amtsschimmel: vgl. S.136-195. Aber erst als 2003 das Bündnis für Freiheit und Demokratie BFD die NDPAP an der Macht ablöst, ist ihm die Schankkonzession sicher. Zwischendurch erreicht ihn eine Karte von seinem Freund Roller, der es geschafft nach nach Matema in Tansania zu fliehen/auszuwandern: „… komm runter und wir machen hier was auf“, verspricht er seinem Freund Josua. Zunächst hat Brenner in Berlin Erfolg mit seiner Kneipe, bis ihn nacheinander drei Schicksalsschläge hart treffen. Die BFD hat die Machtausübung schnell gelernt und macht kaum was besser, sie erliegt den Versuchungen der Macht. Bei den nächsten Wahlen will die Allianz für Wandel und Erneuerung die BFD ablösen, kommt jedoch nur auf 5,4 %. Wieder heftige Zusammenstöße mit der Polizei. Ausnahmezustand. Josua erinnert sich an Roller und macht sich auf den Weg.
Der 2. Teil beschreibt in umgekehrter Richtung, was manche Flüchtlinge erleben, die sich auf den Weg nach Europa machen. Hier ist Afrika das gelobte Land, das nur mit der (unbarmherzigen) Hilfe von Schleusern erreicht werden kann. Erst durch die deutschen Staaten, durch die Schweiz und Italien, es ist ein Horrortrip und mancher bleibt dabei auf der Strecke. Es gibt auch glückliche Fügungen, aber kaum am Ziel ist bald Schluss. Zurück auf LOS.
Ob so oder so rum. Torkler zieht die Aufmerksamkeit auf Migrantenschicksale, an denen sich gerne viele um vieles bereichern. Die wirklichen Helfer sind in geringer Zahl, aber sie sichern das Überleben der Migranten. Für Josua Brenner und seine Reisegefährten kommt es besonders dicke und Christian Torkler gelingt es, mit einer atemlosen Erzählung – die bei der Maulprobe, beim Vorlesen, besonders gut rüberkommt, weil sie wie laut erzählt und mit dem Tonband aufgenommen wirkt – seine Leser für die Geschichte Jousas bedingungslos einzunehmen. Es sind immer Situationen, in denen es um Alles oder Nichts geht und Josua gestählt durch seine Biographie sich nicht unterkriegen lässt und immer irgendwie wie durch ein Wunder den Kopf oben behält. Zuerst zeigt er, dass man sich gegenüber der Verwaltungsdiktatur doch irgendwie durchsetzen kann, auch wenn ihm der Machtwechsel zugutekommt. Dann beweist er Geschick bei seiner Kneipenführung, bei der er mit Unterstützung von seinen Freunden alle Untiefen und Riffe geschickt umschifft.
Viel Zeit, um nachzudenken, bleibt ihm nicht. Manchmal muss er sofort eine Entscheidung treffen, manchmal geht es gar tatsächlich um Leben oder Tod. Die Umstände treiben ihn, aber er ist auch Handelnder, und diese Gemeinsamkeit bestimmt das Tempo der Geschichte. Er muss zwar auf die Ereignisse reagieren, lässt sich dann aber doch nicht von ihnen treiben, sonder entwickelt seine eigene Initiative, schade, wir würden gerne den Artikel Nachgefragt mit einem Interview mit Josua Brenner selbst machen, um herauszufinden, ob unsere Interpretation seiner Person halbwegs richtig ist. Man vergisst auf den 570 Seiten, dass er nur in der Imagination seines Autors Torkler existiert.
Man könnte sich viele andere Situationen in der jüngsten Geschichte Deutschlands vorstellen, die, wären sie anders verlaufen, alles auf den Kopf gestellt hätten. Bei Torkler kommen die sechs deutschen Staaten nicht so recht auf die Beine, weit vom bundesdeutschen Wirtschaftswunder der 50er Jahre entfernt. Und Diktaturen und die Versuchung, die Macht grenzenlos auzunutzen, haben wir mit der DDR kennengelernt. Wie war das 1989, als bei den Demonstrationen keine Schüsse fielen? Und wenn dich, wenn die Aufstände niedergeschlagen worden wären? Torkler lässt die Luftbrücke scheitern und den Kalten Krieg in einen Dritten Krieg umschlagen. Die Welt war damals wirklich nicht weit davon entfernt.
Immer wieder geht es um Macht, die die Großen und Kleinen so schnell lernen und ausleben wollen. Kaum ist Josua am Ziel seiner Träume gibt es wieder neue Hürden, Grüne, Blaue, Gelbe Scheine…
Christian Torkler
> Der Platz an der Sonne
1. Aufl. 2018, 592 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96290-1