Lesebericht: Christian Tsiolkas, Nur eine Ohrfeige

Gerade ist das Buch von Christos Tsiolkas >Nur eine Ohrfeige bei Klett-Cotta erschienen. Tsiolkas wird sein Buch im > Literaturhaus Stuttgart am Dienstag, 6. März 2012 um 20 Uhr vorstellen.

Ein mehr oder weniger beschaulicher Barbecue-Empfang bei Hector und seiner Frau Aishia im Garten. Viele Freunde und Gäste sind gekommen. Die Kinder spielen Kricket. Plötzlich dringt von ihnen Geschrei herüber.

Rocco meint, Hugo müsse ausscheiden, weil er getroffen wurde. Hugo sieht das ganz anders, fängt an zu schreien, will seinen Kricket-Schläger um nichts in der Welt hergeben. Hector schaltet sich ein, aber der Junge reagiert nicht, hebt drohend den Schläger über Roccos Kopf. Gleich würde der Schläger… Harry, sein Vater und Hectors Cousin, war auf die unmittelbare Gefahr aufmerksam geworden, springt mit einem Schritt herbei, hebt Hugo in die Luft, der den Schläger nun endlich fallen lässt. Als Harry ihn wieder auf den Rasen gestellt hat, tritt Hugo mit aller Macht gegen sein Schienbein, worauf Harry dem Jungen eine klebt. Die Partystimmung ist weg, nachdem alle den Knall der Ohrfeige gehört haben.

Dieses Ereignis, das diesem Buch den Titel gegeben hat, wird zum Brennpunkt für den ganzen Roman, der aus acht Perspektiven der Hauptbeteiligten erzählt, wie die Ohrfeige das Verhältnis aller zueinander erheblich stört. Tsiolkas hat aus diesem Stoff einen spannenden Roman geschrieben, der mit Einfühlung und guter Beobachtungsgabe wiedergibt, wie Harry, der erfolgreiche Unternehmer mit seinem Haus am Strand mit Pool durch eine einzige Ohrfeige, seine ganze Existenz aufs Spiel setzt. Die Begleitumstände werden von den Beteiligten schnell vergessen. Nur die Erinnerung an den dreijährigen Hugo, der immer noch die Brust bekommt und sich beim Barbecue Harrys Ohrfeige einfängt, bleibt allen im Gedächtnis. Eine Entschuldigung reicht nicht aus. Hugos Mutter Rosie bleibt unerbittlich, eine Bestrafung Harrys muss her. Ihre Sturheit treibt einen Keil zwischen alle Freundschaften. Es kommt zum Verfahren, und sie kann der Realität nicht akzeptieren. Maolios kam aus Griechenland und steht auf der Seite der Verteidiger von Hugo. Aber das Gerichtsverfahren hält er für völlig überzogen. Die Unbeherrschtheit seines Neffens Harry kann er nicht gutheißen.

Neben der Affäre um die Ohrfeige gibt es auch eine richtige Affäre. Connie ist 17 und hat einen schwulen Freund Richie, den sie in arge Schwierigkeiten bringt, als sie ihm das Verhältnis zu Hector beichtet. Alle acht Personen, die hier ein Stück der Geschichte erzählen, haben eigene Interessen und können sich nie aus dem Verhältnis zu den anderen lösen, die meisten reagieren nur auf die anderen. Vielleicht hat auch die Overprotection von Hugo Harry irgendwie gereizt. Anouk ist 41 hat einen viel jüngeren Liebhaber Rhys. Sie ist mit Rosie und Aishia befreundet, im Gegensatz zu Aishia ist findet sie aber, Hugo müsse endlich mal seine Grenzen kennenlernen.

Bevor das Fest losgeht liegen sich die Kinder von Hector und Aishia schon mit lautem Geschrei in den Haaren. Melissa ist erbost, weil Adam sie ein fettes Schwein genannt hat und der parteiliche Erzähler, findet das auch. Der erste Teil des Festes verläuft so wie überall, wenn erwachsene Freunde mit ihren Kindern zum Sommerfest aufeinandertreffen. Nach der Ohrfeige darf Hector wieder an die Brust und in einer Nuckelpause macht er Hector eine klare Ansage, niemand dürfe ihn ohne Erlaubnis anfassen. Harry wird sich allmählich darüber im klaren, dass er wie seine Frau ihm das vorausgesagt hat, seinen Anwalt anrufen muss. Der Versuch einer Entschuldigung schlägt fehl. Der kleine Hugo wird zur treibenden Kraft, den er erklärt seiner Mutter, dass der Böse Mann, der ihn gehauen hat, sicher ins Gefängnis komme. Da aber schon die Verhältnisse zwischen allen so aufgewühlt sind, kommt auch gleich wie schon angedeutet, noch viel mehr raus. Und Connie weiß unter Tränen ihrem Freund zu berichten, dass Hector sie vor einem Jahr vergewaltigt habe.

Eine Zugfahrt nach Hannover hin und zurück. Dieses Buch aufschlagen und bei der Lektüre verschwinden die lauten Mitreisenden. Wird Harry verurteilt? Alles verrate ich nicht. Rosie wird auf ihre Weise schon dafür sorgen, dass ihrem Kleinen und auf Harry Gerechtigkeit widerfahren werden. Der Stoff für eine Fernsehserie ist komplett, nur der Roman wird mit seiner spannenden Vielfalt einem TV-Spektakel bestimmt überlegen bleiben. Findet man mit dem Roman seine Vorurteile über solche Familienkonstellationen bestätigt? Alle leben für sich und sind mit den anderen nur um den Willen des Vergleichs beschäftigt. Wie bei Hector geht es auch mal um einen Seitensprung. Aishia und Hector machen eine Fernreise nach Bangkok, die nicht so richtig erholsam ist und Aishia denkt sich, „Du hast mich an dich und dein Leben gekettet.“ Zu Hause hält sie Adam und Melissa wieder in ihren Armen: „Das war das Leben, das war es , was wirklich zählte…“ Niemand entkommt seinem Schicksal? Keine der Personen stellt sich dies Frage ernsthaft: „Innerhalb von ein paar Tagen war sie wieder in ihrem geregelten Vorstadtleben angekommen.“

Bleibt die Frage, ob man den Protagonisten dieses Romans zusammenleben möchte. Eher vielleicht doch nicht. Aber Tsiolkas ist es gelungen, mit der Konstruktion seines Romans eine spannende Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln zu schreiben.

Christian Tsiolkas
> Nur eine Ohrfeige
Roman, aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner (Orig.: The Slap)
2. Aufl. 2012, 510 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-93902-6