Am Di, 23.02. um 19.30 Uhr in der Café LesBar > Stuttgarter Stadtbliothek am Mailänder Platz hat Jan Snela sein Buch vorgestellt:
Man kann Literatur nicht einfach so photographieren, aber dennoch, die Stimmung wird auch durch lautlose Fotos eingefangen und der Blick in das folgende Fotoalbum – bitte erst mit einem Doppelklick auf ein Foto öffnen, wenn diese Seite ganz geladen ist – zeigt, wie spannend diese Lesung war. Julia Schröder, sehr gut vorbereitet, fragte präzise und Jan Snela antwortete manchmal sogar bedächtig, seiner Sache sehr sicher, und ließ die Zuschauer in seine Schreibwerkstatt blicken. Wie entstehen solche Texte? Beim Zuschauen, seinen Gesten, seine Blicke verrieten einiges darüber, wie er als junger Autor diesen Abend erlebte, und wie er sein eigenes Buch vorstellte. Das hat er nicht eben mal geschrieben, das ist schon echt harte Arbeit, da wurde gefeilt und gehobelt und dieses Werkeln am Text, davon hat Snela gestern abend viel erzählt. Es lohnt sich, ihm zuzuzuhören.
Er wußte auch schon, dass unser Blog mit ihm auf der Leipziger Buchmesse #lbm16 einen Video-Termin hat, wenn > www.france-blog.info uns wieder sein Stativ leihen wird. Warum hat Snela aber den wunderbaren Umschlag vor dem beim Lesen von seinem Exemplar entfernt? Den muss er aber vor der nächsten Lesung wieder drummachen:
Buchpremiere | Moderation: Julia Schröder, STZ | Jan Snela erzählt von rauchenden Drittklässlern, Katzenfutter essenden Zimmermännern und in Milch badenden, gehörnten Wellnessmaniacs. Mit viel Liebe zum Detail, Sinn fürs Grobe und ohne Höhenangst spaziert er durch einen merkwürdig fremden Kosmos. Die Protagonisten in Milchgesicht sind moderne Nomaden in einem zur Wüste gewordenen Alltag. Völlig aus der Welt gefallen, schaffen sie sich ihre eigenen Mythen. Bastelnd und hinkend, stolpernd und stotternd kommen sie in triumphaler Selbstauflösung an den Rand dessen, was man eine ‚Existenz‘ nennt.
Jan Snela gewann 2010 den Open-Mike-Wettbewerb und war in 2012 bei der Mikrolesung bei uns zu Gast. Milchgesicht ist sein Debüt.
Eintritt: EUR 5 | Ermäßigt EUR 3 | In Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Schriftstellerhaus
Jan Snelas > Milchgesicht trägt den Untertitel Ein Bestiarium der Liebe. Jan Snela ist > Gewinner des Literatur-Nachwuchswettbewerbs Open Mike.
Ein Bestiarium (kommt von bestia – wildes Tier) ist „eine mittelalterliche Tierdichtung, die moralisierend tatsächliche oder vermutete Eigenschaften von Tieren, auch Fabelwesen, allegorisch mit der christlichen Heilslehre verbindet. Bestiarien sind oft reich illustriert.“ Das steht so in Wikipedia. Und dessen meist anonyme Autoren wissen auch: „Mit Richard de Fournivals in Prosa verfasstem „Bestiaire d’amour“, das die Liebe Fournivals zu einer Dame allegorisch schildert, entstand das erste weltliche Bestiarium.“ > Richard de Fournivals (1201-1260) stammt aus Amiens. Er ist der Autor eines Liebesbestiarium (Le Bestiaire d’Amour) mit 60 Tierbeispielen, aus denen er ein Traktat über die Liebe herstellte, das ihm Zugang bei einer Dame verschaffen sollte.
Guillaume Apollinaires „Le bestiaire ou le cortège d’Orphée“ (1911) Franz Bleis „Großes Bestiarium der modernen Literatur“ (1924) sind Beispiele aus dem 20. Jahrhundert.
Ob wir so auf dem richtigen Weg sind? Immerhin heißt eine der Geschichten in der Sammlung > Milchgesicht Das Wiesel, das Henri zwischen zwei Gehwegplatten zuläuft. Wiesel oder Hermine? Zu kurz, das wird der Geschichte nicht gerecht.
Fangen wir vorne an. 10 Kurzgeschichten, kurze und längere Miniaturen hat Snela uns mitgebracht. Und da wir zu Hause neue Bücher oft par une épreuve du gueuloir (Flaubert) testen, altdeutsch vorlesen, ob die Geschichte rollt, so haben wir auch „Milchgesicht“ laut vorgelesen. Muss das wirklich soviel Milch sein? Ein Milchbad. Also auf zur Tankstelle. Wenn Sie diese Geschichte gelesen haben, werden Sie in jeder Tankstelle unwillkürlich danach gucken, ob noch genug Milch im Regal steht.
SPOOK SPEAKER in der U-Bahn lesen, die Schöne drei Sitzgruppen weiter: „Ich war ihr bereits verfallen.“ – „Gehn wir zu Dir?“ Und er nannte sie einfach mal Ruth, die sich durchs Fenster rettete, als Kirstin schon zu hören war.
„Eine Vigilie“. Amalie. Über ihre Nacht mit dem Erzähler habe ich schon andeutungsweise getwittert:
Diese Geschichte würde ich jetzt gerne nochmal vorlesen. Schließlich war es doch nicht so schwer, Amalie rumzukriegen, sie trug ihr per (Liebes)Briefchen dazu bei „Und bist du prêt?“ DAS WIESEL wird für Hermine zur Konkurrenz, weil es alle Aufmerksamkeit bekommt und schließlich auch mal weg ist, dann wieder kommt, und dem Erzähler fürs Leben sinnstiftend erscheint, so dass Henris Doktorarbeit bleibt, wo sie gerade ist. DAS KIND hat seinen eigenen Willen und setzt sich durch. DER LEHRLING. Und was ist mit Maren? Sie hat nur einen Zettel hinterlassen und ihren Zimmerschlüssel per Tesastreifen angebunden. Bei MIRIAM gab es kleine Mäuse in der Küche, in einem mit angetackertem Maschendraht-Verlies. Und dann noch KLOPSTOCK mit dem Klöppeln des Jäckleins. Und zuletzt Erzählt GRUNDIEREN von einem Maler.
Snelas Schreibtstil verleitet zum Vorlesen. Die Maulprobe hatte die erste Geschichte Milchgesicht bestens passieren lassen. Manchmal bekommt dann doch wieder das nüchterne Erzählen die Oberhand über seinen skurrilen Stil, der bestens zur Marotte von Amalie passt, mit der sie ihren Freund auszieht, aber dann erstmal per Kerzenschein da sitzen lässt: „Wir schluchzten gemeinsam.“ und dann: „unserer Leiber wurden … hinfortgerissen.“ „Das war’s“. Am frühen Abend kann der Protagonist wieder zur Ringvorlesung über Michel Foucault in die Uni schlendern.
Wie funktioniert die Aneignung dieses Buches? Zuerst ein wenig Stirnrunzeln, der Stil ist wirklich sehr recherchiert, Wortneubildungen und intensive Gefühlsduseln, aber dann der Lesebericht. Das Entdecken der guten Wirkung des Wiederlesens, so wie man einen Film mehrmals anguckt, um die letzten Einzelheiten zu genießen. Nicht alle Bücher haben bisher diese hohe Blogauszeichnung bekommen: Dieses hier geb‘ ich nicht wieder her. Vorlesen? Ja das würde ich damit machen und mich wieder an den vergleichen freuen: „Henri schwankte durch die Morgensonne, die sich verausgabt wie keine Sparglühbirne.“
Jan Snela
> Milchgesicht
Ein Bestiarium der Liebe
ISBN: 978-3-608-98307-4
Erscheinungsdatum: 20.02.2016