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Raphaela Edelbauer: Dave. Lesebericht und Interview

23.1.2021

Raphaela Edelbauer, schreibt in ihrem neuen Roman eine Geschichte über »DAVE« und die künstliche Intelligenz. »DAVE« ist eine Maschine, noch mehr als ein Hochleistungscomputer, dem ein menschliches Bewusstsein eingepflanzt werden soll. Damit fangen alle Schwierigkeiten schon an. Geht das überhaupt? Heute sprechen ja viele oder träumen viele von kollektiver Intelligenz, mit der das Schwarmwissen elegant und klug handelt und zu neuen Bewusstseinsphären durchdringen kann. Wikipedia, Facebook, Twitter und Instagramm u v. m. sind solche mehr oder weniger sozialen Marktplätze, wo das Wissen vieler mit ihren Verbindungen untereinander, das kollektive Miteinander fördern soll, digital zusammen sind wir intelligenter, lautet die Botschaft, der Wunschtraum oder die Hoffnung vor allem der Werbetreibenden, die sich zielexakte Botschaften ohne nennenswerte Streuverluste versprechen.

Raphaela Edelbauer: Dave. Lesebericht und Interview
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So nach und nach erfährt der Leser, dass anscheinend eine Welt-Katastrophe heute ungeahnten Ausmaßes, die Menschen in ein Labor gezwungen hat, aus dem es wohl kein Entrinnen gibt. Im Labor ist eine ganze Stadtstruktur entstanden, noch hierarchischer als da draußen.  Um alle Probleme in den Griff zu bekommen, hat  Prof. Fröhlich sich in den Kopf gesetzt, eine denkende Maschine mit allen Segnungen der Künstlichen Intelligenz auszustatten, um die Welt wieder bewohnbar zu machen (vgl. S. 95, 149, 187-190)  In einem Großraumbüro sitzen die Programmierer und erstellen unendliche Skripts, mit deren Hilfe »DAVE« sich eine Vorstellung vom menschlichen Bewusstsein machen oder erhalten soll. Syz, einer der Programmierer erklärt Khatun Mnajouri, die Organisation, die Sektoren, die Zuständigkeitsbereiche. Syz schient ziemlich stolz auf sein Werk zu sein: „Er kann eben alle Fragen beantworten, das ist der Punkt. Zweifelst Du an künstlicher Intelligenz?“ will er von Khatun wissen ( S. 15) – „Ich zweifle sogar an natürlicher,“ antwortet sie selbstsicher Und legt so treffsicher den Daumen auf die Wunde: „Kann es nicht sein, dass in unserem Fall die Technologie den Problemen vorausgeht?“ So resümiert sie die Stoßrichtung dieses spannenden Buches in einem Satz. Klar und präzise.

Gefahren drohen aber von einer anderen ganz praktischen Seite. Jeder Laptop wird warm beim Arbeiten, Wenn »DAVE mal ein bisschen mehr denkt oder gar angegriffen wird, gerät er buchstäblich ins Schwitzen: „Zentralalarm“, der das ganze Labor in große Gefahr bringt. 4135 Menschen flüchten in die unteren Etagen. Chaos überall. Ein erstes Zeichen dafür, dass die Technik sich verselbständigen kann, aber nicht in die gewünschte Richtung. Nicht nur das Labor ist erschüttert auch Syz‘ Zuversicht in die Technik; es bekommt Risse mit schwerwiegenden Folgen.

Edelbauer gelingt es auch, eine Geschichte der KI (S. 31-40, 47 et passim) mitzuliefern, die etwas von ihrem Zukunftsversprechen ahnen lässt und gleichzeitig legt sie die Stolpersteine auf dem Weg zu einer Verpflanzung des menschlichen Bewusstseins offen. KI ist eben nicht intelligent.

Transhumanisten und Neoterraner (vgl.S. 40 f.) streiten um die besten Konzepte und programmieren eigentlich den eigenen Untergang. Im Gespräch mit Kollegen schärft Syz sein Wissen über »DAVE«. Seine so erhoffte Beförderung beginnt mit seiner Entführung, die ihn zu Prof. Fröhlich bringt, der das ganze Projekt um »DAVE«  leitet: „Sie und »DAVE«  müssen eins werden,“ (S. 70) lautet sein Auftrag. Also erzählt Syz aus seinem Leben und die Forscher, – Prof. Fröhlich („Es geht nicht um Wissen, es geht um Erzählen…“ S. 79)  – und »DAVE«  hören zu. „Kopiesitzungen“ wird das Verfahren genannt, mit dem »DAVE« eine Art Kopie von Syz werden soll. Ein erstes Eingeständnis, dass Bewusstsein nicht verpflanzbar ist, sondern dass dessen Übertragung eine Bildungsfrage ist. Syz Vorgänger Witteg ist auf mysteriöse Weise verschwunden und Syz findet Mittel und Wege mehr über ihn herauszufinden, erkennt er an ihm sein eigenes Schicksal.

Beeindruckend sind die Fakten und Geschichten rund um die KI (vgl. S. 161-164) , die Edelbauer während der Kopiesitzungen und  mit den Gesprächen zwischen Syz und seinen Kollegen in diesem Roman ausbreitet und zur Diskussion stellt. Und immer wieder geht es um das Prinzip eine künstliche Intelligenz herzustellen. Ist das überhaupt möglich? »DAVE« und die Absicht seine Erbauer, menschliches Denken, Fühlen und Handeln einer Maschine zu übergeben, mit der Hoffnung…. ja mit welcher Hoffnung eigentlich, diese Hoffnung bleibt seltsam diffus uns scheint sich auf die Freude an der machbaren Technik zu reduzieren. Was technisch möglich scheint, macht auch Sinn, so könnte das Resümee an dieser Stelle lauten. Schon ist die Totalüberwachung der Normalzustand, jeden Morgen, werden die Programmierergebnisse bewertet und die Mitarbeiter mit den letzten 20 % fliegen raus.

Geht es auch um totalitäre Ideologien mit ihren Gefahren? Draußen könne man nicht überleben, wird den Bewohnern immer wieder eingetrichtert: eine Atmosphäre mit Todesbazillen?  Es kommt zur 200. Kopiesitzung und interpretiert das bisher Erlebte: „DAVE ist das Labor und das Labor ist DAVE.“ (S. 317) Fake news, Syz überwindet sie und überlebt bei seiner Exkursion im das Umland des Labors.

Der blinde Prof. Fröhlich ist vielleicht eine Ausnahme, aber alle anderen Kollegen glauben vielleicht nur an das Projekt, weil die anderen auch daran zu glauben scheinen. Eine obskure Kraft versucht, sie zu einem Schwarmwissen zu verbinden, das Beste aus ihnen herauszuholen und in eine neue Umgebung zu packen, die mächtiger als alle ihre Gründer zusammen ist. Was blieb, war die allgemeine Unterordnung aller unter ein mächtiges Wesen, das ähnelt dem Idealtraum verrückter Diktatoren, die immer scheitern. Je unzurechnungsfähiger sie waren, ums tiefer und plötzlicher war ihr Sturz. Ein falscher Algorithmus zöge furchtbare Folgen nach sich, weil eine fehlerhafte Verdrahtung das System sprengen wird. Alle Entscheidungen  der Erbauer von »DAVE« belegen, dass sie mit ihren und seinen Unzulänglichkeiten bestens vertraut sind, nicht davor zurückschrecken, ein kurzfristiges Workaround einzubauen, was vielleicht alles nur noch schlimmer macht.

Es ist das Zusammenspiel von Erörterung der KI mit einer spannenden Geschichte des Programmierers Syz, der schneller lernt als »DAVE«, sich Wissen aneignet, mit dem er sich unter großen Gefahren den totalitären Ansprüchen des Systems widersetzen kann, das diesen Roman auszeichnet. Abends schnell nur nach ein Kapitel lesen, geht nicht, es wird ziemlich spät werden. Wir haben das ausprobiert.

Heiner Wittmann

DAVE

Roman

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Beteiligte Personen

© Apollonia Bitzan

Raphaela Edelbauer

Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit de...

Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor-Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Ihr Debütroman »Das flüssige Land« stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, für ihren zweiten Roman »DAVE« erhielt sie den Österreichi...

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