Lesebericht: Simon Sebag Montefiore, Geschichte schreiben. Briefe, die die Welt veränderten

Nehmen Sie mal einen Stapel Briefe zu Hand, nicht die Rechnungen, Ihre  Privatpost. Wie würden Sie diesen Stapel ordnen? Nach den Absendern? Nach Anlass? Nach Datum? Nach der Schwere des Ereignisses? Gar nach Ihrer Länge? Darüber hat sich britische Historiker und Journalist Simon Sebag Montefiore auch Gedanken gemacht und unter dem Titel > Geschichte schreiben eine Sammlung von „Briefe(n verfasst), die die Welt veränderten“ vorgelegt.

> Nachgefragt: Simon Sebag Montefiore, Geschichte schreiben. Briefe, die die Welt veränderten

Er lässt die Chronologie hinter sich und ordnet die vorliegende Briefauswahl unter den Stichworten, Familie, Schöpfungsakt, Mut, Entdeckung, Tourismus, Krieg, Blut, Zerstörung, Katastrophe, Freundschaft, Torheit, Anstand, Befreiung, Schicksal, Macht, Untergang und Abschied. Das Ergebnis ist eine Art Phänomenologie des Briefes und auch der Korrespondenz. Unter welchen Umständen wurden diese Briefe verfasst? Waren Sie darauf angelegt, den Lauf der Dinge zu verändern oder zu beeinflussen? Viele schrieben auch aus Resignation wie Che Guevara an Fidel Castro am 1. April 1965 oder Nikolai Bucharin an Josef Stalin am 10, Dezember 1937, wenn sie den Tod vor Augen hatten.

Kein Wunder, dass die Briefform immer dann gewählt wird, wenn Liebende getrennt sind und nur per Brief sich ihre Zuneigung versichern können und sie werden um so inhaltsschwerer und bedeutungsvoller, je enger sie mit dem politischen Geschehen verbunden sind: Katharina die Große an Fürst Potemkin um den 19. März 1774. Oder Napoleon Bonaparte an Josephine, 24. April 1796.

Jedes Kapitel enthält Briefe aus ganzen unterschiedlichen Epochen, um so deutlicher wird das Anliegen das Autors: die Macht des geschriebenen Wortes zu zeigen, wie Briefeschreiber über sich selbst nachsinnen, aber immer im Verhältnis zum Adressaten, in dem sie ihm Dinge sagen, die sie anderen so wahrscheinlich nicht sagen würden. Es ist die Dialogform des Briefes als eine Literaturgattung, die so verdeutlicht wird. Mit einem Brief kann man das Verhalten des Adressaten beeinflussen, auch wenn es hoffnungslos ist, so dokumentiert der Brief den Mut seines Verfassers und die Torheit des Adressaten: Mahatma Gandhi an Adolf Hitler, 24. Dezember 1940.

Viele dieser Briefe sind für Historiker hochinteressant, weil sie immer wieder von der Frage begleitet werden, wie kann oder kann der Mensch überhaupt in das Rad der Geschichte eingreifen? Macht er es aufgrund der Umstände, die ihm günstig erscheinen oder ist vielmehr sein Charakter, sein Wissen und die Art und Weise, wie er sich persönlich – im Verhältnis zu seinem Adressaten – für etwas einsetzen will?

Briefe besiegeln das eigene Ende. Vielleicht wären sie besser so nicht geschrieben worden? Alexander Puschkin an Jacob von Heeckeren am 25. Januar 1837. Auch wenn Briefe den Autor in Gefahr bringen, so mussten sie dennoch geschrieben werden: Émile Zola an Félix Faure, 13. Januar 1898.

Briefe berichten von Ereignissen, die den Lauf der Welt beeinflussen, so Christoph Kolumbus an Ferdinand und Isabella, 29. April 1493 oder sie ermöglichen ein Blick hinter die Kulissen: Karl Marx und Friedrich Engels, Juli 1862- November 1864. Briefe erzählen auch, wie Korrespondenzen sich dramatisch auf Leben und Tod zuspitzen: Alexander Hamilton und Aaron Burr im Juni 1804. Oder wie während des Briefwechsels die Welt den Atem anhielt: Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy am 24. und 25. Oktober 1962.

Nun können Sie Whatsup, Instagram, FB oder alles was es sonst in den sozialen Medien gibt, vergessen, nach der Lektüre dieses Buches werden Sie ganz bestimmt in den nächsten Schreibwarenladen eilen, eine Block bestes Briefpapier und – wenn sie ihn wieder mal verlegt haben- einen Füller mit Tinte oder Patronen und Briefumschläge erwerben. Und schon nach den ersten Briefen werden Sie feststellen, dass ihre Korrespondenzpartner sich nicht mehr – wie im heutigen elektronischen Postverkehr üblich – für die Schnelligkeit Ihrer Antwort, sondern für den Inhalt ihres Briefes und die Qualität ihrer Zeilen bedanken werden.

Simon Sebag Montefiore,
> Geschichte schreiben.
Briefe, die die Welt veränderten
Aus dem Englischen von Maria Zettner (Orig.: Written in History/Letters that Changed the World)
1. Aufl. 2021, 368 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen
ISBN: 978-3-608-98353-1