Lesebericht: Simon Strauß, Römische Tage

Es gibt eine eigene Gattung, das Stadtporträt. Simon Strauß hat dafür einen bemerkenswerten und wunderbaren Beitrag geleistet: Römische Tage: „Rom, deine Nähe ist heilsam.“ – „Römische Tage. Jenseits aller Wirklichkeit.“ Schon nach einigen Kapiteln und „An Rom immer nur zu denken, ist, wie eine Geliebte im Süden zu haben…“ (S. 125) sind einige Kollegen unserer Redaktion einfach sofort nach Rom gefahren und lesen dort weiter: „Nur hier sein und hier bleiben.“ Man kann eine Stadt nur erforschen und kennenlernen, wenn man dort seine Seele spazierengeführt hat, schreibt Sartre in einem seiner Stadtporträts. So ist das hier auch. Immer wieder mal betritt der Erzähler das Halbdunkel einer Kirche und erzählt über diejenigen, die den Raum gerade wirklich zu einer Kirche machen.

> Nachgefragt: Simon Strauß: Römische Tage – 2. September 2019

Im Juli beginnt die Reise und dann dauert der Aufenthalt zwei Monate in Rom. Ein Zimmer in der Via del Corso. Goethe schräg gegenüber. Glockenläuten: „Das Zusammenspiel von alt und neu.“ Francesca heißt seine Sprachlehrerin. Piazza della Republicca: Basilika Santa Maria degli Angeli. Ein Besuch in der Hertziana. Die Spanische Treppe. Glauben Sie nicht, dass Sie hier nur eine Reiseführer vor sich haben. Piazza Navona. Santa Maria del Popolo: Messe, „Nie ein Ziel vor Augen. Nichts ist wirklich zu erreichen in dieser Stadt, immer leuchtet noch ein anderes Licht, rauscht noch ein zweiter Brunnen.“ So! Also kein Reiseführer. Nicht vom Verweilen erzählt dieses Buch, sondern es geht immer weiter, der Tagebuchschreiber erklärt uns die Stadt mit ihren Bewohnern und ihren Funktionen, die sich mit den Orten, mit denen sie verwachsen erscheinen, vermischen. So wie der Pater in der Kirche auf seine Schäfchen gelassen herabblickt, sie zusammenhält. Besuch bei einem Romhistoriker. Diese Stadt, in der so viele Kuppeln sich in den Himmel recken. Dann ein Besuch in der Bibliothek der Casa di Goethe. In der Borghese-Kapelle beten die flüsternden Lippen. Der Beichtstuhl ist in Betrieb und vergibt die Sünden. Das Forum. Audienz bei einem Kurienkardinal, der den Erzähler in einige Geheimnisse einweiht. Unser Tagebuchschreiber wird auf eine Konferenz vor den Toren der Stadt eingeladen und erzählt von den skurrilen Gästen, die einen entschuldigen sich für ihr missglücktes Philosophieren, ein anderer nutzt die Stunde, um seinen Kritiker endlich mal zu ohrfeigen, einige Frauen tauchen nackt im Pool unter. Stadtsoziologie.

Largo di Torre Argentinia: Mord an Cäsar, 44. v. Chr. Die historische Dimension ist längst schon ein fester Bestandteil dieses Tagebuchs. Ein Restaurant in Monti, Fabio, der Besitzer kommt mit unserem Autor ins Gespräch. Das Forum.  Da ist wieder die junge Frau, sie sitzt am Tiber, nein, sie will ihn nicht küssen. Das Schöne ist so nah. Schade. Das wärs jetzt doch gewesen. Rom und die Frau vom Tiber. Noch ist nichts verloren. Wir sind gottlob in Rom und da ist noch einiges zu erwarten.

Reiseverführer. Nach der Lektüre dieses Tagebuchs werden Sie ihren Koffer packen und daran denken, wie Sie bei ihrem letzten Besuch im Café gegenüber der Spanischen Treppe gesessen haben oder später eine Pizzeria auf der Piazza Navona aufgesucht haben. Mein Lieblingserlebnis war die rasende Fahrt auf einem Moped, vorne eine Italienerin, halt Dich bei mir richtig fest durch, das nächtliche Rom, die wäre noch mit leerem Tank weitergesaust und ich hätte sie (oder mich) weiter festgehalten. Oder der Besuch in der Bibliothek des Vatikans, den wir mit einem Besuch im Eiscafé im Boboli-Garten ausklingen ließen. Abends wartete wieder die Italienerin mit ihrem roten Moped auf mich. Festhalten. Am besten auch die Augen zumachen, jetzt ein wenig fester halten, schneller als der Bus damals von Florenz nach Siena, der die engen Kurven als Schnellstraßen nahm

Für alle Romreisende ist die Stadt eine „Welttatsache“, das ist kurz, knapp und präzise gesagt: „Rom, deine Nähe ist heilsam.“ Es ist auch wahr, dass die schmalen Bände zuweilen viel dicker in punkto Lesegenuss als große Schwarten sind. Bei der Lektüre dieses Buches gucken Sie – wenn überhaupt – zwischendurch mal auf und wundern sich dass Sie in der Straßenbahn in Herne  oder im Bus im Hamburg sitzen. Ein Buch mit dem Sie die Wirkung der Literatur ganz unmittelbar spüren, wenn sie nach der Lektüre das Ticket nach Rom kaufen.

Simon Strauß
Römische Tage
1. Aufl. 2019, ca. 144 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-608-50436-1