Lesebericht: Ulla Lenze, Der Empfänger

Josef Klein wandert 1925 in die USA aus, sein Bruder Carl darf wegen des fehlenden Auges nicht mitkommen. Eigentlich sucht Josef Arbeit und eine neue Existenz. Nach der Machtübernahme von Hitler in Deutschland gerät Josef durch widrige Umstände ins Spionagemilieu, Verstrickungen, aus denen er sich nur sehr schwer befreien kann. Mit ihrem Roman > Der Empfänger erinnert Ulla Lenze an ein vergessenes Kapitel deutsch-amerikanischer Geschichte.

> Nachgefragt: Ulla Lenze, Der Empfänger – 23. April 2020

Bevor die Amerikaner in den Krieg in Europa eintreten, versuchen verschiedene deutsche Vereine in den USA durch schrille Propaganda die Aufmerksamkeit der Massen zu erringen. Josef hat einen Job in einer Druckerei und macht sich nicht so viel aus den Broschüren, die dort gedruckt werden. Nachdem er sich ein Amateurfunkgerät zugelegt hat und in den Äther hinauslauscht, macht er per Funk Bekanntschaft mit Lauren. Aber auch andere, eher obskure Männer wollen Josef kennenlernen und gewinnen ihn, ohne dass er es so recht will und versteht, für eine Spionagetätigkeit zugunsten des Reiches.

„Er (.i.d. Klein, W.) hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Die Demonstranten schrien „Boycott Nazi Germany“, die Polizisten drängten sie immer wieder ab, Schlagstöcke baumelten von ihren Gürteln. Die Polizeipferde bäumten sich auf, die Demonstranten wichen kurz zurück, Die Transparente hingen nun schief in der Luft, Faschisten raus wackelte über ihren Gesichtern, und die Pferde glänzten im Blitzlicht der Fotografen.“ (S. 67)

Absätze wie diese, die vielen Bewegungen, belegen, wie Ulla Lenze ihren Stil beherrscht und wie gut es ihr gelingt, einen historischen Stoff zu erzählen.

Wie bei der Druckerei ist Klein der Inhalt ziemlich egal, er guckt nur auf den Lohn, der hereinkommt. So ist das auch mit den Männern, die zu ihm kommen, sie zahlen und dürfen sein Funkgerät benutzen. Sie nutzen lange Zahlenreihen und Funkfenster.

Die Geschichte beginnt für den Leser in José, Costa Rica, im Mai 1953. Für Josef hat sie wie gesagt 1925 mit der Ausreise in Richtung der USA begonnen. Was nun bleibt sind Erinnerungen, die sich gegenseitig bedingen. In Südamerika, in der Hoffnung, wieder in die USA zu gelangen, öffnet Josef 1953 eine Postsendung von seinem Bruder, die eine Ausgabe des Sterns enthält, in dem über den deutschen Geheimdienst in den USA berichtet wird. Josef erinnert sich an seine Rückkehr nach Neuss im Juni 1949. Er darf Carl auf Kundenbesuchen begleiten. Viel hat sich nicht geändert. In New-York war Josef auch unterwegs zu Kunden, viele von ihnen waren in der rechten Schmuddelszene wie die Amerikanische Nazipartei oder die Amerikanischen Patrioten.

Die Idee und der Stoff zu diesem Roman
stammt aus der Erinnerung der Autorin an ihren Großonkel Josef Klein, der als literarische Figur aber, so versichert uns die Autorin ihre Erfindung sei: Damit werden auch die Zeitsprünge im Roman erklärt, denn so setzt Josef Klein seine Erinnerung zusammen. Nach dem Krieg zurück in Neuss spricht er allmählich über seine Internierung auf Ellis Island, dann wird davon berichtet, wie es dazu kam, so als ob Josef in seiner eigenen Erinnerung bohren würde. Die Verhaftung will er lieber übergehen. Dadurch bekommen die Kapitel neben dem Berichts- auch einen Erklärungswert, warum Josef in diese Verstrickungen geraten konnte. Irgendwie fühlte er, dass der Besuch der beiden Männer bei ihm und ihr Funken nichts Gutes für ohne bedeuten konnte. Sie packen ihn bei seiner Funkerehre und er baut einen transportablen Sender / Empfänger, den er aber eigentlich lieber verschwinden lassen möchte.

So wie andere ihn ausnutzen, so hält Lauren indirekt zu ihm und versucht, ihn vor noch größeren Schwierigkeiten zu bewahren. Ihr mutiger Kontakt mit dem FBI ist für diesen nur eine Bestätigung. Die Szene wird schon längst beobachtet, und statt Josef festzunehmen, geben die Agenten des FBI ihm Aufgaben und lassen ihn im Unklaren, wann er verhaftet wird. Nach dem Internierungslager und der Rückkehr nach Neuss, macht sich Josef wieder auf den Weg. Über Belgien, Le Havre, Casa Blanca, gelangt er nach Buenos Aires. In Argentinien denkt er über seine Verhaftung nach. Zusammen mit 33 anderen Agenten. Ist er nun wirklich frei? Er gerät durch alte Bekannte in neue Versuchungen.

 

Ulla Lenze
> Der Empfänger
Roman
1. Aufl. 2020, ca. 304 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96463-9