Elisabeth R. Hager berichtet in ihrem Roman Der tanzende Berg, wie es Marie Scheringer gelingt, in ganz kurzer Zeit, einen gerade verstorbenen Hund auszustopfen, damit die Tochter des Hauses ihn ihrem Vater, also dem Besitzer des Hundes King und nunmehr Jubilar des Abends zum Geburtstag überreichen kann.
Die Kapitelbezeichnungen sind nicht gleich einsichtig, aber der Leser wird erstmal mit Youni bekanntgemacht, der Freund von Marie Scheringer, die nach dem Unfalltod ihrer Eltern von ihrer Tante Hella und ihrem Mann aufgenommen wurde. Eine geheimnisvolle Kiste, die Marie Youni abgenommen und im Wald versteckt hat… und Younis Tod beschäftigen Marie, als Ursula Miller sich nach langer Zeit bei ihr wieder meldet, Ursula wurde Butz von Marie genannt und dabei soll es bleiben.
2600 Euro, das Dreifache des normalen Preises soll die Schnelligkeit des Ausstopfen von King der Auftraggeberin wert sein. Soweit die Rahmenhandlung, die eine präzise Schilderung der beiden Hauptpersonen Marie und Butz umfasst. Sehr geschickt inszeniert Elisabeth R. Hager Rückblenden, die aneinandergereiht, von der Ankunft der Butz – „Die Butz war nicht nur Stark. Sie war ein Bär.“ (S. 125) – ergänzt werden, während detailgenaue Schilderungen das fortschreitende Ausstopfen von King Schritt für Schritt dokumentieren.
Am Ende wird dieser Roman zu einer anderen Gattung. Diese Bemerkung ist kein Freibrief für den Leser, die letzten Kapitel zuerst zu lesen. Er würde sich um ein ganz besonderes Lesevergnügen bringen. Also bitte die Kapitel von vorne nach hinten der Reihe nach lesen. Und wenn man den Gattungswandel verstanden hat, dann müsst man eigentlich das Buch noch einmal lesen, um die Passagen aufzufinden, die den Gattungswechsel ankündigen. Das sind ganz präzise Passagen, in denen die Autorin eindeutige Hinweise offenbart.
Die Gespräche zwischen Marie und der Butz lassen das Dorfleben auferstehen: „Zwei Frauen, die um einen Mann zirkulierten.“ (S. 155). Viele Einzelheiten aus ihren Erinnerungen fügen sich zusammen, Antipathien und Sympathien werden erkennbar, Jogg, Pichler und Baldur erscheinen, die Schlägerei in der Dorfkneipe ist kurz aber heftig. Die Beschreibungen und die Schilderung der Charaktere werden zu einem festen Bestandteil der Handlung. Und wieder wird über Youni gesprochen, Vorurteile haben sie alle, aber Genaues weiß niemand: Die Butz ist sauer: „Und jetzt wo er tot ist, kriegen nur die Besoffenen und die Dodel das Maul auf. Das pack ich nicht.“ (S. 212) Es ist nicht die Lösung, aber Tante Hella bringt das Getratsche auf den Punkt: “ I glaub, die Leut denken noch immer, wenn’s net reden über eine Sache, dann ist’s, als wär sie nie passiert.“ (S. 213)
Das Wiederlesen eines Buches offenbart wie beim erneuten Anschauen eines Kinofilms immer neue Aspekte, aber bei diesem Buch heißt Wiederlesen, einen faszinierenden Einblick in die Schreibwerkstatt dieses so sehr durchinszenierten Roman zu erhalten.
Elisabeth R. Hager
Der tanzende Berg
Roman
1. Auflage 2022, 256 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98488-0
„Die Erinnerung an vergangene Jahre und Jahrzehnte wird meistens von bestimmten Tagen strukturiert, die die eigene Biographie beeinflussen. Besondere Ereignisse verändern den gewohnten Lauf der Dinge, öffnen neue Perspektiven, und manchmal wird ihre Bedeutung erst im Nachhinein erkannt und verstanden,“so fängt unser > Lesebericht, Elisabeth R. Hager, Fünf Tage im Mai auf diesem Blog zu dem Buch von Elisabeth R. Hager > Fünf Tage im Mai an.
> Nachgefragt: Elisabeth R. Hager, Fünf Tage im Mai
Elisabeth R. Hager
> Fünf Tage im Mai
Roman
1. Aufl. 2019, 221 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96264-2