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Lesebericht: Torsten Schulz, Öl und Bienen

Verfasst von Heiner Wittmann
27.5.2022

Ob Adalbert Wutzner damals nach dem Ersten Weltkrieg wirklich Erdöl im Havelland gefunden hat? Wäre dann die deutsche Geschichte zumindest in dieser Provinz ganz anders verlaufen? 1968 fällt sein Sohn Lothar Ihm von einem Baugerüst in die Tiefe und kehrt nach diesem Unfall wieder zu seiner Mutter nach Beutenberge zurück. In »Öl und Bienen« beschreibt Torsten Schulz DDR-Geschichte in einem kleinen Dorf bis zur Wende und ein wenig darüber hinaus.

An jedem Sonntag treffen sich alte Freunde unter ihnen Blutblase und Krücke in Schröders Wirtsstube am Stadtrand von Nauen bei Heimatabenden, bei denen Edwin Kronokiewitschky ihnen von Beutenberge vorschwärmt und dafür von der Wirtin Lucy Schröder mit Hellen, genauer Schultheiss-Bier mit dem guten Kräuterlikör bezahlt wird. Erdöl gibt es natürlich keins, hat es vielleicht auch nur als fixe Idee von Adalbert Wutzner gegeben, aber die Schallplatten aus Westproduktion stehen hoch im Kurs. Alles geht seinen Gang, alle leben von Erinnerungen, als wegen einer Heiratsanzeige, eine ganze Gruppe von zugereisten Kandidatinnen das Leben in Beutenberge auf den Kopf stellt.

Lesebericht: Torsten Schulz, Öl und Bienen

Und dann sind da noch die Bienen, die der Ihmsche 1979 unter dem Verputz entdeckt und der Versuch, sie auszuräuchern, kostet ein Teil des Daches. Wohl nicht wegen der Bienen ist der Ihmsche dann irgendwann weg und man meint, er sei dann später 1992 in einer Psychiatrie wieder aufgetaucht.

Aber wie angedeutet ließ der Erdöl-Hype die Siedlung Beutenberge entstehen, die sich nach dem dann doch abgesagten Erscheinen des Erdöls nicht mehr weiterentwickelte, sondern eher nur von den Bewohnern nur mehr schlecht als recht verwaltet wurde.

Es ist der Sohn der Witwe von Adalbert Wutzner, die mehrmals verheiratet war, aber ihrem Sohn Egon Simmel berichtet, dass sein Vater eben dieser Adalbert war und nicht der zuletzt geehelichte Diethard Simmel. Nun heißt er Diethard Wutzner und nimmt auch die Spürnase seines Papas an – Verwandtschaft verpflichtet- und macht sich auf, um im Havelland Öl zu suchen. Er nimmt in Beutenberge Quatier bei Eldegard Nickel. Als er erschöpft von tagelanger Suche ins Krankenhaus muss, bürgen die Nachbarinnen Lucinde Ihm und Elfriede Schrebnitz. Er hat ein Techtelmechtel mit Lucinde Ihm und fällt kurz darauf im Krieg. Lothar wird das Kind heißen und später gehört er mit Heiner Schmidtke und Edwin Kronokiewitschky zu dem Trio der Heimatabende bei Lucy Schröder. Das alles ist nur der Rahmen der Geschichte, die mit einer Heiratsannonce so richtig Fahrt aufnimmt, immer verwickelter wird und nebenbei die Chronologie von Beutenberge en détail präsentiert. Als später die Bewohner wegsterben, löst sich auch der Ort auf, die Erinnerungen an Beutenberge werden aber von den Zurückgebliebenen weiter gepflegt.

Was bleibt ist eine spannende Dorfgeschichte mit vielen Rückblenden („Genug nach hinten gedacht, sagte sich der Ihmsche…“), die ihre Existenzberechtigung aus der Vergangenheit zieht. Die vergangenen Ereignisse sind wie ein Theaterdekor immer präsent und werden mal und mal so interpretiert. Und dann taucht Agnes von früher wieder auf und sucht den Ihmschen: „Totstellen, dachte er, bis der Orkan vorüber ist.“ Frau Simsig vom Krämerladen empfängt, sortiert und beantwortet die Antwortbriefe auf die Heiratsannonce: Jedenfalls wählt sie schließlich drei Frauen aus, von denen sie den Eindruck hat, sie würden es mit einer Lusche wie dem Ihmschen halbwegs aushalten.“ (S. 157) Mit den ersten eingeladenen Damen kehrt richtig Leben in Beuteberge ein: „… die kleine dralle Gabi Schmidt aus Neustrelitz…..“ aber Agnes erklärt ihnen „Der Drops ist leider gelutscht, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Heiner Wittmann

Öl und Bienen

Roman

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Beteiligte Personen

Torsten Schulz

Torsten Schulz, geboren 1959, ist Autor preisgekrönter Spielfilme, Regisseur von Dokumentarfilmen und Professor für Dramaturgie an der Filmhochschule Babe...

Torsten Schulz, geboren 1959, ist Autor preisgekrönter Spielfilme, Regisseur von Dokumentarfilmen und Professor für Dramaturgie an der Filmhochschule Babelsberg. Sein Debütroman »Boxhagener Platz« wurde in mehrere Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Die Hörspieladaption erhielt diverse Preise. Torsten Schulz lebt in Berlin.

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