Bin als > Vorkoster mit meinem Wochenpensum schon durch. Am Wochenende > Glückseligkeit und dann der der neue Roman von Michael Wildenhain, > Träumer des Absoluten der von der Freundschaft zwischen Tariq, Jochen und Judith erzählt. Sie kennen sich aus Schultagen, haben zusammen Sport gemacht. Später während des Studiums oder als Studienunterbrecher schließen sie sich mit unterschiedlichen Motiven der Hausbesetzerszene an. Judith kann sich zwischen beiden nicht so recht entscheiden. Später bleibt sie bei Jochen. Tariq muß vor Gericht erscheinen und nutzt die Kronzeugenregelung.
Der Roman sucht nach den Gründen für die Gewaltbereitschaft. Tariq widerspricht beim Turnen: „Bock ist kein olympisches Gerät.“ (S. 32) Der Trainer zieht gleich die Meldung Tariqs für die Bezirksmeisterschaft zurück. Später hält Tariq Jochen ein Buch hin: Die Stadtguerilla. Zwischendurch geht Tariq nach Hamburg, kommt dann an Jochens Schule und wird kurz darauf zum Schulsprecher gewählt. In ihren Gesprächen miteinander verraten Jochen und Tariq ziemlich gründliche Kenntnisse in Mathe und Physik. Und Tariq berichtet seinem Freund über die Anti-AKW-Gruppen in Hamburg, wo er mit Kampfsport begonnen hat. Der Schulleiter Herr Schwaerdtfeger wird Tariqs Opfer; der Schüler widerspricht ihm und deckt schließlich dessen Vergangenheit auf. Es kommt zum Eklat, Tariq kehrt wieder nach Hamburg zurück. Jochen beginnt lustlos ein Praktikum bei Siemens. Später wird der Mathe studieren und fängt an zu schreiben. In die Hausbesetzerszene kommt Jochen, weil er Leute wie Tariq und andere kennt, viel Überzeugung bringt er nicht mit: „Wir kämpfen militant und empfinden moralisch,“ (S. 181) ohne näher zu erläutern, was er damit meint. Er weiß aber auch, „Die „Theorie, der wir folgen, ist nicht nur politisch, sondern logisch unhaltbar: sich aus der Gesellschaft an einen Ort zurückziehen, der nichts mehr mit ihr gemein haben soll.“ (S. 182) Alle anderen Personen, die beim Besetzen mitmachen, bleiben merkwürdig unscharf und verschwinden in der Szene. Um so mehr konzentriert sich der Roman auf die Entwicklung der der drei Freunde. Nur über sehr wenige wie Diddi (Selbstmord), Môht und ihren Untergang wird mehr erzählt. Die kurzen Begegnungen mit früheren Lehrern wirken wir Rückblenden, auch als Anregung, den Weg seit der Schulzeit zumindest unbewusst zu überprüfen. Das sind dann auch Bausteine, um eine Erklärung zu finden, wie sie in die Situation hineingeraten konnten, ohne dass explizit danach gefragt wird, das ist aber auch das Thema des ganzen Romans.
Jochen distanziert sich von der Szene, kann sich aber nicht ganz von ihr lösen, während Tariq zum Kleinkriminellen avanciert. Judith hat ihm wohl einiges abgeguckt, die Einladung in ein Nobelrestaurant, die Jochen gilt, endet mit ihrer wilden Flucht als Zechpreller. Die Einkesselung durch die Polizei bei einer anderen Gelegenheit und der gewalttätige Ausbruch ist für Jochen das Signal die Szene aufzugeben. Jochen wird Professor in Tübingen und Tariq landet auf dem Weg über die Revolutionären Zellen vor Gericht.
Der Erzählstil dieses Buches hat mich beeindruckt. Rund dreißig bis vierzig Jahre umfasst der Roman. Die relativ kurzen Erzählabschnitte, die schnell wechselnden Orte der Handlung, die Zeitsprünge einschließlich der kurzen Rückblenden, die Teil der Handlung werden, die Charakterisierung der Hauptpersonen im wesentlichen durch direkte Rede und das Reagieren auf die Anderen, die knappen Ortsbeschreibungen und die rasant geschrieben Erzählpassagen, wie beim Turnen, treiben die Handlung voran. Dieser Spannung kann der Leser sich kaum entziehen: Lesetip für eine Zugreise: Hin und Zurück. Die Mathekenntnisse verleihen Jochen und auch seinem Freund Tariq beinahe eine gewissen Autorität, man möchte meinen, daraus hätten sie mehr machen können, was Jochen ja auch gelingen wird. Ist Tariq alleine daran schuld, dass die drei in der Szene mitmachen? Hat er sie beeindruckt, obwohl sie manche seiner Aktionen gar nicht gut heißen? Eine echte Protesthaltung ist bei Jochen gar nicht so recht zu erkennen. Tariqs Ausflüge werden für ihn zu „negativen“ Bildungserlebnissen, wo er mit Leuten zusammentrifft, über die nicht genauer berichtet wird. Und doch wird deutlich, wie sehr kurze und prägnante Einflüsse über Lebensjahre entscheiden können. Der Roman ist gleichzeitig ein Erinnerungsbericht, er erzählt die vergangenen Jahre und lässt doch den Leser unmittelbar am Geschehen teilhaben. Das ist es, was ihn so spannend macht.
Michael Wildenhain,
> Träumer des Absoluten
1. Aufl. 2008
335 Seiten
ISBN: 978-3-608-93757-2