Bei Klett-Cotta sind gerade die Kriegstagebücher von Ernst Jünger, zum ersten Mal erschienen. Helmuth Kiesel hat den Band mit präzisen Anmerkungen versehen und herausgegeben.
Bei Ausbruch des Krieges meldet sich der 19-jährige Ernst Jünger als Kriegsfreiwilliger und wird Soldat des Hannoverschen Füsilier oder Infanterie-Regiment Nr. 73. Er wird die großen Schlachten in Flandern, an der Somme und bei Cambrai mitmachen und beginnt sogleich ein Tagebuch. Am 4. Januar 1915 schreibt er: „Ich bin sehr neugierig, wie sich ein Shrapnellbeschießung ausmacht. Im allgemeinen ist mir der Krieg schrecklicher vorgekommen als er ist.“
Jünger protokolliert sachlich das Töten und Sterben um ihn herum. Entschlossenheit ist sein bester Schutz. Dann aber lässt er doch auch offenkundige Betroffenheit erkennen: Am 24. April entdeckt er kurz vor dem eigenen Graben drei tote Franzosen: „Im übrigen ertrugen meine Nerven den Anblick ohne Erregung; aber der Gedanke, dass in diesen Köpfen auch Gedanken, Wünsche und Hoffnungen lebendig gewesen waren, erweckte in mir dieselbe Rührung, die man beim Anblick alter Burgruinen empfindet.“ Trotz der genauen, bisweilen nüchternen Beschreibungen der Gefechte, bleibt auch Jünger von dem Grauen nicht unberührt. Dann ändert er den Ton, und das Tagebuch wird ihm eine Hilfe, den Wahnsinn zu ertragen: Manchmal drückt er sein Bedauern aus, wenn eine Gelegenheit zu einem Gefecht verstreicht: „Leider konnten wir keinen von ihnen erlegen.“ (6.Okt. 15)
Manchmal macht ihm die militärische Hierarchie zu schaffen, der er durch seine Beförderung zum Leutnant etwas entkommen kann: Hin und wieder kriegt er einen Rüffel und verspricht dann zu seinem eigenen Schutz seinem Tagebuch, seine „Heldenbrust gegen künftige Angriffe von Vorgesetzten mit einer dreifachen Schicht Gleichgültigkeit zu Panzern.“ (26. Okt. 15).
Er ist ein genauer Beobachter, notiert viele Einzelheiten analysiert präzise die Geräuscharten der herumfliegenden Projektile. (10.1.61) Er sammelt trotz Beschießung in Monchy Käfer (3.11.16) und freut sich an den ersten Faltern (12.III. 16). Natur und Krieg. Manchen Fidelitäten fällt schon mal die Einrichtung eines Kasinos zum Opfer das sind Gelage, bei denen viel Alkohol fließt.
Ernst Jünger Dann kommen die ersten Einsätze mit Gas (Juni 1916) und am 29. Juni 1916 notiert er „Wenn die Schweinerei, wie wahrscheinlich, noch viel länger dauert, wird zuletzt überhaupt niemand mehr am Leben sein.“ Langsam deuten sich auf diese Weise hin und wieder mal kritische Töne an. Dann aber am 3. August schreibt er wieder: „So fremd es klingt, hier lernt man wieder Ideale kennen, die volle Hingabe bis zum grausamen Schlachtentode.“ Wenn er als Kompanieführer seine Truppe führt, notiert er: „Welche Lust eine Truppe durch solches Gelände zu führen.
Da zeigt sich der wahre Soldat.“ (28.4.17), und er freut sich, wenn seine Leute sich in verzweifelten Lagen an ihn klammern. (19.6.17).
Am Ende des Krieges lässt Jünger Enttäuschungen erkennen und ärgert sich, wenn seine Leute nicht erwähnt werden: „Die Füsiliere der 7/73 und die Leute, die die Sache geführt (nicht geleitet) haben, zu erwähnen, lohnt sich nicht der Mühe. Die Lorbeeren ernten andere Leute. Das bin ich seit 3 1/2 Jahren gewöhnt.“ (23.8.18)
Heute hat Michael Klett mir die Gelegenheit gegeben, ihm, von meinem „Leseerlebnis“ zu berichten und einige Fragen zu Jüngers Kriegstagebuch zu stellen.
Gespräch mit Michael Klett über die Kriegstagebücher 1914-1918 von Ernst Jünger:
ca. 22 Minuten
> Ernst Jünger
> Kriegstagebuch 1914-1918
Herausgegeben von Helmuth Kiesel
Auflage: 1. Aufl. 2010
655 Seiten
ISBN: 978-3-608-93843-2
Zur Buchmesse 2010 erscheint als vollständig überarbeitete Neuausgabe mit bisher unveröffentlichten Dokumenten und Fotos der Band von von Heimo Schwilk (Hrsg.), Ernst Jünger, Leben und Werk in Bildern und Texten.
Auflage: 1. Aufl. 2010
336 Seiten
ISBN: 978-3-608-93842-5
Veranstaltungshinweis:
> Große Jünger-> Ausstellung in Marbach (November 2010 bis Februar 2011