„Im ihrem neuen Roman > Die Unschärfe der Welt erzählt Iris Wolff die Geschichte einer Familie vier Generationen lang aus dem Banat, deren Mitglieder trotz Trennungen über Grenzen eng zusammenhalten. Sie stellt ihre Protagonisten in Situationen, in denen alles auf dem Spiel oder auf Messers Schneide steht, in denen es um die Existenz geht, die Wahl entscheidet über das Leben, ja es sind die Werte, die Erinnerungen, die Wünsche, die die Existenz aller in dieser Familie prägen und aufgrund derer sie immer wieder neue Entscheidungen treffen müssen. Aber über Generationen hinweg ändern sich auch für die Einzelnen die Umstände, aber es gibt auch Kontinuitäten….“ so beginnt unser > Lesebericht: Iris Wolff, Die Unschärfe der Welt.
Schon vor dem Erscheinen des Buches konnten wir Iris Wolff per Fernübertragung in unserem Büro empfangen:
Wir haben sie gefragt, was bedeuten Erinnerungen für sie bedeuten?
Gibt es über Generationen hinweg auch Kontinuitäten? Verhaltensmuster, gleichbleibende Werte, Gewohnheiten, Bindungsformen?
Aber „Doch wie leicht täuschte man sich, weil das, was man glaubte und wünschte, unterdessen längst zu etwas anderem geworden war.“
Hannes und Karline sprechen über die Schule: Hannes hat dazu dezidierte Ansichten: Mut für etwas Neues. Tische fortschaffen, die klassischen Fächer auflösen und alle jene entlassen, die keine anderen Ideen haben als Aufgaben und Strafen zu verteilen.“ Die modernen Ansichten von Hannes stehen im Kontrast zur Einsamkeit seiner Pfarrei dahinten am Ende des Banats, wo Karline leidet?
„Utopien seien nicht dazu da, erfüllt zu werden, sondern eine Richtung vorzugeben…“, erklärt Hannes, ist das auch ein Motto für Ihren Roman?
Hinzukommt noch der wunderbare Stil von Iris Wolff, mit dem sie ihre Leser/innen so bedingungslos in die hier versammelten Geschichten hineinzieht. „Es gab eine Zeit, die vorwärts eilte, und eine Zeit, die rückwärts lief. Eine Zeit, die im Kreis ging, und eine, die sich nicht bewegte, nie mehr war als ein einzelner Augenblick.“ (S. 41) Ruth und Severin betrauern den Tod ihres ertrunkenen Sohnes Echo.
Stana hatte gebadet und beim Abtrocknen stand plötzlich Samuel vor ihr: „‚Dreh dich um‘, sagte Stana.“ (S. 98) – Sie waren immer zusammen gewesen: „Samuel hatte, ohne es zu wissen, die Landkarte ihres Körpers für sich eingenommen… “ (S. 101)…
Personen, wie Bene, die von außen in diesen Kreis dazu kommen, eine Zeitlang abwesend sind und später wieder auftauchen, ganz vertraut, werden ein Teil der Gemeinschaft. Obwohl sie von außen kommen, werden diese Personen auch ein Teil der Identität…
Die Art und Weise, wie die einzelnen Geschichten dieses Bandes dazu drängen, insgesamt als eine Einheit wahrgenommen und verstanden zu werden, macht den ganzen Reiz dieses Romans aus. Samuel steht im Mittelpunkt aber in einem engen Beziehungsgeflecht mit seinen Eltern und Freunden. Ein bisschen auch ein Erziehungsroman?,
Nicht nur die Geschichte mit Samuels Freund Oz ist in diesem Buch eine Abrechnung mit der Diktatur in Rumänien: „Jedes System ist ein Phantasieprodukt.“ (S. 129) Samuel besorgte das Flugzeug…
Im vorletzten Kapitel „Jupiter“, der von Benes Tante und ihrem Buchladen erzählt, steht eine kleine, leicht verständliche Apologie des Buches: da heißt es u. a.: verschwindet ein Buch, findet man es nicht mehr, kauft man es noch einmal, aber man muss es erst ganz lesen, damit es einem wieder gehört. Es geht um Bücher rund Gedächtnis (S. 155), so wie in diesem ganzen Roman. Was ist für Sie die Hauptaufgabe der Literatur?
In > Die Unschärfe der Welt wird manches nur angedeutet und lebt von der Imagination des Lesers, der, wie oben gesagt, selber die Geschichte zusammenfügt. Wozu möchten Sie Ihre Leser anregen?
Iris Wolff
> Die Unschärfe der Welt
Roman
1. Aufl. 2020, ca. 216 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98326-5