„Natürlich fragen wir Kai Wieland, warum die Wildschweine als Namenspaten für den Titel seines neuen Romans dienen. Die Worte des Titels sollen eigentlich in knapper Form sagen, worum es geht. Sicher, die Wildschweine sind mit dabei, auch wenn sie nicht die Erzählung dominieren, so gehören sie doch dazu,“ so begann unser > Lesebericht: Kai Wieland. Zeit der Wildschweine. Roman
Umständehalber, weil unsere Redaktion zur Zeit wenig reist, wurde wieder mit Fernübertragung gefilmt, technisch nicht so schön wie sonst, dafür hat Kai Wieland uns in diesem Gespräch mit seinen souveränen Antworten einen interessanten Aus- und Einblick auf und in seinen Roman geliefert.
Die Worte des Titels sollen eigentlich in knapper Form, sagen, worum es geht. Sicher, die Wildschweine sind mit dabei, auch wenn sie nicht die Erzählung dominieren, so gehören sie doch irgendwie dazu. Und das haben wir in unserem Gespräch näher erörtert.
Mit wem identifizieren Sie sich mehr? Mit dem Erzähler Leon oder mit Janko?
Welche Niemandsorte/Lost places haben Sie schon mal besucht? Das ist eine pfiffige Idee, die Verlorenen Orte als Schauplätze in diesen Roman aufzunehmen, weil sich daraus spannende Erzählkonstellationen in Hinsicht auf Zeit, Ort, vergessen und Erinnerung ergeben. Unsere Gegenwart, in der wir diese Orte wieder durchschreiten, erwecken sie für ein paar Stunden zum Leben.
Charakterisiert die Kampfsportschule Janko? – Warum ist Janko so verschlossen? – Und Fotos. Was haben die für eine Bedeutung? Jankos Kamera „Das Licht verschwindet in meinem Apparat…“ – Sie finden in diesem Buch gar eine Ästhetik der Fotografie: Leon begnügt sich mit dem Speichern von Worten: „Wer hat überhaupt gesagt,“ murmelte er nach einer langen Kunstpause plötzlich, „dass wir beide Künstler sind.“ ( S. 106) Janko ist doch nicht so wortkarg. Sie sprechen von Kriegsfotografen-Veteranen: „Vereinfacht ausgedrückt hatte Jankos verwitterte Herkunft, gleichwohl er sich gegen ihr Aufbrechen sperrte, Assoziationen in mir geweckt, wie es sonst nur vergilbte Fotografien taten…“ (S. 127)
Leon kann mit seiner Familie, einem Vater und Jana seiner Schwester, die dauernd Henry vor dem Bauch trägt – und dabei dauernd diese bekannte Zappelbewegung macht- und die von ihren Söhnen Torben und Ben begleitet wird relativ wenig anfangen.
Leon weiß kaum, was Janko im Schilde führt, das scheint ihn nicht so zu stören? – Muss man sein Selbstbild dauernd hinterfragen?
Seine Reise mit Janko, die gedanklichen Besuche beim Vater oder der Schwester – die Erinnerung an die verstorbene Mutter – verweben die Familiengeschichte und seine beruflichen Ausflüge miteinander und – wir sind auf der Bedeutungssuche des Titels – die Wildschweine, die immer wieder an Gelenkstellen der Geschichte auftauchen, so als wenn sie der Geschichte ein Struktur verleihen würden.
Kompliziert wird es, wenn auf der Suche nach einem Lost Place, Seibold, der Nachbar, ihnen plötzlich im Weg steht.
Es geht ins Nord-Pas-de-de-Calais. Saroncourt. Nicht suchen. Den Ort finden Sie nicht: aber Janko fotografiert. Kai Wieland: „Eine ganze Serie von Alptraumbildern verschwand ratternd in seiner Apparatur, um an anderer Stelle und zu einem anderen Zeitpunkt wieder auf Hochglanzpapier zu erschienen.“ (S. 85) und das Eindringen in die alten Häuser des Dorfes erinnert daran, wie Leon das eigene vom Vater überlassene Haus auf der Reise in seine Kindheit wiederentdeckt.
Das ist Zahra, die in ihrem Volvo lebt. In Nortzeel finden sie die alte aufgegeben Buchhandlung, deren Inhaber der Vater von Zohra gewesen war. Wieder ein Spaziergang durch die Vergangenheit, der heute stattfindet.
Kai Wieland
> Zeit der Wildschweine
Roman
1. Aufl. 2020, 271 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98225-1
> Nachgefragt: Kai Wieland, Amerika
„Der Erzählstil. Immer wieder gelingt es dem Autor, in wenigen Sätzen, frühere Epochen und Entwicklungen (das Dorf, S. 7, Kriegsende, S. 74 ff, Schattenbach und Mangelhardt, S. 114 ff) des Dorfes Rillingsbach plastisch vorzuführen. Nacheinander lässt der Chronist unter seiner Feder aufgrund der Erinnerungen der Kneipenbesucher alte Geschichten wiederauferstehen, verdrängte Geschichten, die aber die heutigen Verhältnisse in Rillingsbach erklären. Und der Chronist hat sich dafür entschieden, mit den teils parallel verlaufenden Geschichten Episoden zu schaffen, die nacheinander erzählt werden: Der Schippen, Erwin und Elisabeth, Hilde, die Entnazifizierung der Dorfbibliothek, Alfred und Erna in Amerika, u. a….“ > Lesebericht: Kai Wieland, Amerika
Kai Wieland
> Amerika
Roman
1. Aufl. 2018, 240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96261-1