> > Devons-nous retourner à la nature? Un entretien avec Jean-Jacques Rousseau – www.france-blog.info – 21. Februar 2012
Über kleine Bücher kann man leicht leicht die längsten Beiträge schreiben. Der gerade erschienene Band von Robert Spaemann über Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) enthält seinen Habilitationsvortag vom Januar 1962 in Münster über das Thema „Natürliche Existenz und politische Existenz“ bei Rousseau. Dann folgt sein 1973 publizierter Vortrag über den ersten „Discours“, den Rousseau 1750 mit dem Titel „Über den Einfluß der schönen Künste auf den Staat“ verfasste. Der Aufsatz von 1967 zur „Vorgeschichte des Naturbegriffs im 18. Jahrhundert“, systematisiert die Überlegungen der ersten beiden Beiträge und verdeutlicht die Implikationen des Naturbegriffs. Der letzte Beitrag (1978) dieses Bandes fragt, ob Rousseaus Emile ein Traktakt über die Erziehung war oder nur Träume eines Visionärs enthielt?
Rousseau ist für > Robert Spaemann eine „exemplarische Existenz“ und somit ein „Signum der Moderne“ (S. 9, 15). Rousseau hat den „neuzeitlichen, nichtteleologischen Naturbegriff“ (S. 17) untersucht, also eine Natur als Anfang, der kein Ende vorherbestimmt ist. Daraus ergibt sich die permanente Revolte gegen jede Art von Institution, da diese die Natur immer unterdrückt. Oder es geht darum, die Natur den Bedingungen ihrer Erhaltung zu unterwerfen. Das ist Spaemanns Ansatz, mit dem er wichtige Werke Rousseaus untersucht. Rousseau hat die eben genannten beiden Ansätze zugleich verfolgt, ohne ihre Synthese zu versuchen. Dadurch wird er auch zum Intellektuellen par excellence, der nicht auf eine Aussage festzulegen ist, den man gerne in eine bestimmte Schublade steckt, oder rechts oder links einordnet. Das geht mit Rousseau nicht: Folglich bezeichnet Spaemann Rousseau als „Vater aller modernen Modernisme und Antimodernismen“. (S. 17)
Spaemanns Aufsätze können auch als eine spannende, politische und philosophische Biographie Rousseaus gelesen werden. Er erinnert daran, auf welche Kritik sein Werk noch 1912 bei seinem 200. Geburtstag stieß. Spaemanns Habilitationsvortrag berichtet zunächst von der Rezeptionsgeschichte und erklärt dann die die Dissoziation von Bürger und Mensch. In mehreren Passagen wird deutlich, dass die Rousseau immer mal wieder zugeschriebene Forderung > „Zurück zur Natur“ mit Rousseau nichts zu tun hat. Rousseau entwickelt den „homme naturel“ in seiner zweiten Preisschrift über den „Ursprung der Ungegelichheit unter den Menschen.“ (cf. S. 36 f.) Natur wird von ihm nach Aristoteles mit Asozialität und Sprachlosigkeit gleichgesetzt. Die „Denaturierung“ des Menschen erfolgt durch seine politische Existenz. Eine Rückkehr ist überhaupt nicht im Sinne Rousseaus, wohl aber eine tiefgreifende Reflexion über die negativen und positiven Entwicklungsbedingungen in der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang sind seine beiden Werke Über den Gesellschaftsvertrag (1754, ersch. 1762) und „Emile oder Über die Erziehung“ (1762) wieder neu zu lesen.
Wolmar in der Nouvelle Héloïse (1758, ersch. 1761) sagt, dass alle natürlichen Fähigkeiten des Menschen sich erst im „état civil“ sich entfalten könnten. (S. 40). – Blogbeiträge haben den Nachteil, nicht zu lang sein zu dürfen. Wenn ich aber alle Lesefrüchte, die hier zu pflücken sind, vortragen würde, dürfte ich an diese Regel nicht denken. Am meisten gefällt mir die Verbindung zwischen den Beiträgen Spaemanns, womit die Entwicklung des Denkens Rousseaus und sein Einfluß auf die Moderne so eindrucksvoll demonstriert wird. – „Emile oder Über die Erziehung“ ist für Spaemann zu Recht eine „unerschöpfliche Quelle der Inspiration“. Beobachtung des Kindes, die Erfahrungen des Kindes, das Kennenlernen der eigenen Kompetenzen, „die Erfahrung der Freiheit“ (S. 126) stehen hier im Vordergrund (S. 144). Und sie erfahren hier, wieso Rousseau der „Erfinder der antiautoritären Erziehung“ (S. 132) ist. Rousseau hatte das Kind „als eine eigenständige, in sich selbst gerechtfertigte Gestalt des Menschseins“ (S. 138) entdeckt, und damit ist er heute so manchen Pädagogiktrakten immer noch weit überlegen.
> Robert Spaemann
> Rousseau – Mensch oder Bürger
Das Dilemma der Moderne
Auflage: 1. Aufl. 2008
156 Seiten
ISBN: 978-3-608-94245-3