Lesebericht: Walter Veltroni, Die Entdeckung des Sonnenaufgangs

Der frühere Bürgermeister von Rom, Walter Veltroni, legt mit
> Die Entdeckung des Sonnenaufgangs uns seinen ersten Roman vor. Mein PC war am Freitagmorgen kaputt, und als der Techniker kam, hatte ich erst 14 Seiten gelesen. Soviel kann ich guten Gewissens verraten. Sie werden auch auf Seite 20, 30, 40 usw. merken, dass dieser Roman keine Unterbrechung duldet. Der Autor zieht Sie in das Geschehen hinein. Eine Lesepause ist nicht angesagt. Soviel zum Inhalt.
Veltroni kann nicht nur schön erzählen, er hat auch skurrile Einfälle. Nein, ich verrate nichts über den Hergang, Verlauf noch über das Ende der Geschichte. Aber man kann auf diesen 152 Seiten wunderbar herausfinden, wie Veltroni die Spannung aufbaut. Wie macht er das? Jedenfalls werden Sie merken, dieses Buch legen sie nicht gleich wieder aus der Hand. „Damals lebten die Menschen kürzer, und die Dinge währten länger,“ heißt es einmal, und das ist ein Hinweis darauf, dass es hier um die Erinnerung geht. Auch bei Proust lösen Dinge die unwillkürliche Erinnerung aus.
„Und dann dieses Gefühlt unterdrückt und kontrolliert zu werden,“ lässt mit wenigen Worten die Angst erscheinen. Der Satz „Doch an diesem Tag lernte ich die Zähigkeit der Zeit kennen,“ ist ein weiterer Hinweis auf die Zeit, die hier in ihrem Ablauf unter verschiedenen Perspektiven untersucht wird. Und dann kommt so ein Satz: „Man hat uns jede Hoffnung genommen, die wir noch teilen könnten, und uns in einen glitzernden Supermarkt eingeschlossen, wo man alles kaufen kann, aus dem man aber nicht mehr herauskommt.“ Soviel zum Konsum, der überall auf uns lauert.
Vielleicht verrate ich doch etwas. Dieses Buch ist ein Roman, aber es hält auch weitere literarische Genres, die durch die Zeit und ihre Darstellung fest miteinander verbunden sind. S. 47- 60 eignen sich vielleicht am besten für eine Lesestunde. Beim Vorlesen kommt man Veltroni am besten auf die Spur. Wie hat er das gemacht? Er verleiht seiner Geschichte eine gewisse Strenge und liefert die Emotionen gleich mit. Das Spiel mit der Zeit ist auch ein Spiel mit der Erinnerung und ihrem Gewicht. Was war früher, und welche kleinen Entscheidungen hätten manches anders verlaufen lassen? Lesen Sie auf keinen Fall den Klappentext, die erste Umschlagseite. Sie verrät ein kleines Detail, was ich hier auch für mich behalte. Lesen Sie das Buch, und dann meinetwegen den Klappentext. Hab ich Recht?
Es ist überhaupt nicht einfach, den Grund für die Lesebegeisterung für dieses Buch wiederzugeben, ohne noch mehr über den Inhalt zu erzählen. Werde ich auch nicht machen. Ein bisschen skurril ist der eine Leseabschnitt. Aber auch wieder so schön in den Verlauf der Geschichte eingebettet, so dass er sehr plausibel erscheint. Man kehrt an einen Ort zurück, wo man früher schon mal länger gewesen ist, um dann in der Vorstellung noch mehr darin zu versinken. Die Dinge, die man dort wiederfindet, geben der Erinnerung ihre Struktur. Aber die Bedeutung der Struktur oder der Dinge wird erst mit dem Andenken, mit dem Nachdenken über die Personen wieder lebendig, die damals mit ihnen umgegangen sind. Und dieses Verhältnis zwischen den Dingen und den Menschen hat Veltroni so meisterlich in Szene gesetzt. Der Titel hat eigentlich nur wenig mit der Geschichte zu tun. Und doch kommt der Morgendämmerung in diesem Roman ein besondere Bedeutung zu, wenn der Sohn des Hauses mit der Lektüre in der Hand auftaucht.

Walter Veltroni
> Die Entdeckung des Sonnenaufgangs
Wollen Sie schon mal probelesen? > Ja!
Roman
Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki (La scoperta dell’alba)

Auflage: 1. Aufl. 2010
Ausstattung: gebunden mit Schutzumschlag
156 Seiten
ISBN: 978-3-608-93704-6