26. April 2009: Tag des geis­ti­gen Ei­gen­tums

Ein Beispiel unter vielen anderen Kritikern des Heidelberger Appells: Gestern hat der Journalist Fritz Effenberger eine > Grundsatzerklärung zum Tag des Geistigen Eigentums veröffentlicht, um auf den > Heidelberger Appell von Roland Reuß zu antworten.

Effenberger schreibt u. a.: „Die Bundesregierung, so fordern Reuß und bisher 1400 Unterzeichner (darunter Teile der nationalen Schriftsteller-Elite) müsse sicherstellen, dass keinerlei private oder suchmaschinen-automatisierte Verbreitung von geistigen Inhalten stattfinden könne, also letztlich ein Verbot von GoogleBooks, YouTube und anderen Internetplattformen dieser Art.“ Mit dieser Zusammenfassung wird der Inhalt des Heidelberger Appells entstellt und folglich stimmt die Schlussfolgerung von Effenberger auch nicht:

Im Heidelberger Appell steht: „Die Unterzeichner appellieren nachdrücklich an die Bundesregierung und die Regierungen der Länder, das bestehende Urheberrecht, die Publikationsfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre entschlossen und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen.“ (Hervorhebung: W.)

Mit keinem Wort wendet sich Reuß im Heidelberger Appell gegen eine Verbreitung von geistigen Inhalten via allen möglichen Internet-Diensten. Er wendet sich auch nicht gegen eine automatisierte Verbreitung. Er will lediglich, dass der Urheber selbst bestimmen kann, wo sein Werk erscheint. Von dieser Forderung ist kein Werk betroffen, dessen Autor der Einstellung in eines dieser Internet-Angebote zustimmt. Gestern habe ich das Beispiel > meines eigenen Buches genannt, dessen Inhalte Google seit längerer Zeit zum Durchsuchen anbietet, ohne dass ich je auch nur einen Cent dafür bekommen hätte. Ich veröffentliche auch Videos auf > Youtube, aber immer mit dem ausdrücklichen Einverständnis der Rechteinhaber > Michel Sicard und > Gilles Floret. Ich habe schon begriffen, dass man gegen den Sammelwahn von Google kaum etwas ausrichten kann, aber meine > Fotos aus Stuttgart unterliegen dennoch dem Urheberrecht, und Google würde nie für deren Anzeige irgendwas zahlen. Google profitiert von meinen Inhalten und meinem Eigentum. Das gilt auch für die > Fotos, die ich auf der Website des > Stuttgarter Literaturhauses veröffentlicht habe. Google zeigt die > Fotos an, holt sie also aus der Website raus, hat nie gefragt, gibt aber wenigstens den Hinweis: „Das Bild ist möglicherweise urheberrechtlich geschützt.“ Möglicherweise… !: das heißt für Google gilt das möglicherweise oder ganz offenbar nicht. Meine > Rezensionen habe ich auf meiner eigenen Seite veröffentlicht, das heißt noch lange nicht, dass sie einfach kopiert werden dürfen und in jedweder anderer Form auf Papier oder elektronisch von anderen verbreitet werden dürfen.

Effenberger schreibt auch: „Heute ist die Lagerung oder Speicherung von geistigen Inhalten (Bücher, Filme, Musik-Alnben etc.) durch Computertechnik innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu kostenlos geworden.“ Effenberger weiß aber auch und schreibt: „Wie Urheber in einem ubiquitären, egalitären Distributionsmodell bezahlt werden, muss erst noch definiert werden.“ Kein Autor kann heute ernsthaft glauben, dass die Lagerung von geistigen Inhalten „nahezu kostenlos“ geworden ist, auch Speicherplatz und die Verwaltung kosten Geld, ganz zu schweigen von der Herstellung geistiger Inhalte, deren Kosten auch durch ein „ubiquitäres, egalitäres Distributionsmodell“ nicht verschwinden werden.

Aber Effenberger schreibt noch mehr: „Digitale Speichermedien schrumpfen von Jahr zu Jahr in der Grösse und im Preis und gewinnen an Kapazität. Beides macht die Weitergabe geistiger Inhalte so problemlos wie noch nie zuvor in der menschlichen Geschichte. Dass Teile dieser kostenlosen Distribution im Moment als illegal gelten, geht am Problem vorbei: Es ist technisch nicht möglich, diese Verbreitung zu verhindern, aber der Urheber erhält keinen Gegenwert für seine geistige Leistung.“ Ob Effenberger auch zustimmen würde, wenn Kunden Bücher im Buchladen einfach einpacken und ohne den Umweg über die Kasse den Laden verlassen würden? Vielleicht kann man sich damit abfinden, beim Veröffentlichen von Fotos zu wissen, das sie nach ein paar Minuten von allen möglichen Diensten kopiert werden, in einem gewissen Sinn hilft Google mir auch, die damit verbundenen Inhalte bekannt zu machen, und ich weiß ja schon vor der Veröffentlichung, welches digitale Schicksal meine Werke erwartet. Dennoch ist die Tatsache, dass „die Weitergabe geistiger Inhalte so problemlos wie noch nie zuvor in der menschlichen Geschichte“ geworden ist – betrachtet man die Hürden jedweder Webprogrammierung so stimmt das gar nicht -, überhaupt kein Grund, das Urheberrecht abzuschaffen. Die Kosten für > mein nächstes Buch können nun mal durch eine illegale Verbreitung nicht gedeckt werden. Eine > Erklärung, wie die von Fritz Effenberger ist ein Anschlag auf die Freiheit der Wissenschaft und auch auf die der Literatur, denn ohne Tantiemen können Autoren nicht arbeiten, oder sollen sie sich mit Adwords herumquälen und mit Cent-Beiträgen ihre Arbeit finanzieren?

Ergänzungen:

Richard Sietmann, > Heidelberger Halali. Streit um Open Access und Urheberrechte ct 10/’09

Hannes Jähnert, > Urheberrecht vs. Open Access