Die Aktualität der Meldungen im Internet
oder: Kann das Internet Aktualität vermitteln?

Beim gestrigen Themenabend von ARTE wurde über Google und sein Buchprojekt berichtet. Es ging immer wieder um das ganze Wissen, das eingescannt werden soll. Als ob das Wissen der Welt lediglich in Büchern sei! Was ist mit den Archiven in allen Orten von allen Institutionen aus allen Zeiten. Da stecken die Informationen, von denen durch Bücher erst ein kleiner Prozentsatz gehoben ist.

Bei diesen Statements über die Qualität des Internets klingt auch immer die Vorstellung mit, im Internet könne alles gefunden werden. Und folglich existiert etwas nicht, was nicht im Internet auffindbar ist. Eben gerade erzählte mir noch ein Freund, Studenten würden heute schon einen großen Teils ihres Wissens aus E-Books und Dokumente ziehen, die über die elektronischen Medien abrufbar seien. Vielleicht ist das ein Grund für ein schwindendes Interesse an der Literatur oder den Literaturwissenschaften. Trotz aller Bewunderung für die Rasanz und die Fülle im Internet, ein Student, der über ein geisteswissenschaftliches Thema schreiben will und nur auf die im Internet verfügbaren Materialien angewiesen ist, bräuchte gar nicht erst anzufangen. Zugegeben es gibt manche Themen, da könnte das Internet als Grundlage heute ausreichen, z. B. in Wirtschaftsinformatik wenn man Forschungen zum Web 2.0 anstellt. Historiker und Literaturwissenschaftler, um ein andere Beispiel zu nehmen, können das Internet bestimmt zum Abfragen bibliographischer Daten ganz gut nutzen, um an den vielen Fehlern und den Riesenlücken in Google-Books irgendwann zu verzweifeln. Ja, wenn man mit > www.gallica.fr – meiner Lieblingsseite – arbeitet, ist das natürlich etwas anderes.

Wie entsteht Wichtiges und Aktuelles im Internet? Die Ergebnislisten bekannter und unbekannter Suchmaschinen gaukeln uns eine Wichtigkeit der gefundenen Seiten, die ihnen nur durch die Suchalgorithmen verliehen wird, vor. Das Ergebnis: > Das Ende der Aktualität, so wie Wolfgang Hagen seinen Beitrag im Merkur (April 2013): „Es (i.e. Das Internet, H. W.) hat zwar ‚Publizität‘ und ‚Universalität‘ (aber nur, wenn die Zugangsfragen geklärt sind), jedoch keine »Periodizität« oder »Aktualität« (außer sie wird per Software simuliert).“ Und: „Durch das lineare Nadelöhr einer massenmedialen Aktualität kommt die vielfach angeschwollene Informationsflut nicht mehr hindurch, und das heißt für jeden Einzelnen: Ihn erreicht nicht mehr der richtige Stoff.“ (S. 314) Wenigen Websites von großen Zeitungen eigentlich keinen gelingt es, durch die Struktur ihrer Website das morgendliche Durchblättern der Zeitung nachzubauen. Websites haben die Eigenart wie das TV dauernd und überall unserer Aufmerksamkeit abzulenken, für etwas anderes zu beanspruchen. Eine Zeitungsseite kann man lesen und umblättern, auf einer Zeitungswebsite sind oft bis zu 78, 80, ja noch mehr Links nach Überall und Nirgendwo. Die Abonnenten von LE MONDE haben es gut, die können ihre Zeitung von morgen um 13 h frisch in HTML gesetzt ohne viel Ablenkung durchblättern und die Artikel in virtuellen Ordnern ablegen. Einfach Spitze.

Würden wir von Wolfgang Hagens Artikel noch mehr berichten, würden unsere Leser möglicherweise zu dem Schluss kommen, das Internet wird überschätzt? Ja, so ist es. Das schon oft geübte Spiel wirkt immer wieder: Die linke Hälfte des Seminars konzentriert sich auf die traditionelle Papierarbeitsweise n und bibliothekarischen Arbeitsmittel, die rechte Seite arbeitet nur „im oder mit dem Internet und den darin gefundenen Informationen.“ Welche Hälfte kann hinterher überzeugender an einer Diskussion teilnehmen? Oder die eine Hälfte liest zwei Tageszeitungen, die andere Hälfte daddelt, wie es ihr beliebt, im Internet. Welche Hälfte weiß hinterher mehr über die aktuellen Ereignisse und ihre Bewertungen oder Einschätzungen? Meine Vermutungen geben der Papiertagespresse den eindeutigen Vorzug. Wieso denn hier eigentlich gebloggt wird? Die Frage ist berechtigt. Weil es Spaß macht zu schreiben und zu veröffentlichen und weil bei dem Gesamtaufwand für diesen Blog nur 2-3 % der Technik zu widmen ist. Und weil es Spaß macht hier einiges auszuprobieren, was mit Büchern nicht möglich ist, was sie bestens ergänzt, aber ohne Bücher gäbe es diesen Blog auch nicht.


> Schreiben Sie mit der Hand oder mit der Tastatur?


Das > Aprilheft des MERKUR enthält noch einen weiteren Artikel von Lothar Müller > „Deadline“ zur wie sein Untertitel lautet lautet „Zur Geschichte der Aktualität“. Zwei interessante Artikel, die, wie es die Autoren vom MERKUR immer so gut können, dieses Thema in Form von Essays von allen Seiten besonders auch in historischer Perspektive betrachten und interessante Schlüsse daraus ziehen. > „Aktuelle Nachtrichten“ steht in der blauen Zeile ganz oben auf dieser Website: > http://tagesschau.de/. Was ist auf dieser Seite wirklich aktuell oder wird nur durch das Medium Internet und Website dazu gemacht?


Nichtsdestotrotz ist der MERKUR überall im Web 2.0 präsent:

> Online! Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken – 2.0


Anke t Heesen berichtet im Aprilheft über eine „Naturgeschichte des Interviews“ – da denken wir auch an die eigenen Interviews: > Blog Klett-Cotta: >
Mehr als fünf Stunden Video in 24 Sendungen oder > Frankreich-Blog: Acht Stunden Video in 42 Sendungen und die > Interviews als Video und nur mit Ton auf diesem Blog, auch schon nach einigen wenigen Jahren gewinnt man beim Wiederbetrachten dieser kleinen Filme einen ganz anderen Eindruck als der der in der Erinnerung geblieben ist.

Niels P. Petersson hat sich mit der „Schifffahrt und der Globalisierung beschäftigt“: Dabei ist ein spannender Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte entstanden.

Kolumnen zur Soziologie und zum Design, ein Aufsatz von Klaus Birnstiel zur Gelehrtenexoterik. Einige akademisch-intellektuelle Erinnerungs- und Notizbücher“ und ein Beitrag Walter Kempowskis frühe Aufzeichnungen von Gerhard Henschel ergänzen die Aprilausgabe des MERKUR. Jens Soentgens Aufsatz „Zur Eschatologie des CO2“, die Rezension von Helmut König des Films über Hannah Arendt und das „Journal II“ von Stephan Herczeg beschließen das Heft.

> MERKUR
Jahrgang 68, Heft 767, Heft 04, April 2013
broschiert
ISSN: 0026-0096