Die Intellektuellen und das Netz

„L’intellectuel est un suspect“, schrieb Jean-Paul Sartre zu Beginn seines Portraits über André Masson (1) und meinte damit, alles was der Intellektuelle hervorbringe, werde gegen ihn verwandt. Dabei geht es nicht um das, was er sagt, sondern seine Gegner haben vor allem seine Unabhängigkeit im Visier. Der Intellektuelle nach Sartres Konzeption lässt sich nicht klassifizieren.

Adam Soboczynski hat sich letzte Woche in einem Artikel der ZEIT über die Beziehungen der Intellektuellen zum Internet geäußert: > Das Netz als Feind (DIE ZEIT, 20.05.2009 Nr. 22).

Seine pessimistische Schlußfolgerung teile ich nicht:

„So untüchtig er scheint – er wird nicht aussterben. Der Intellektuelle wird untertauchen wie der Taucher in die Tiefe, er wird Internetrandzonen bewohnen, Foren, die nur von seinesgleichen aufgesucht werden. Wie ja auch die Bullenzüchter der Welt sich heute in geschlossenen Zirkeln austauschen oder die Hebammen über ihr Wirken. Jedoch als der, der er bislang war, Störenfried des Konsenses, Vermittler von Wissensbeständen, Korrektiv des Staats, wird er verschwinden. Seine Spur ist eine, die bald schon Wellen glätten.“

… wohl aber seine Argumentation, mit der er das Niveau vieler Internetangebote kritisiert und dabei vor allem die Bewertung von Webangeboten qua Anzahl im Auge hat. Eine bekannte Suchmaschine macht uns das allen täglich vor: nur die viel verlinkten Angebote erscheinen oben. Das ist simple und ärgerliche Gleichmacherei durch mathematische Algorithmen, die die kollektive Intelligenz errechnen, ohne dass dabei noch richtig nachgedacht werden darf. Warum lassen wir uns das eigentlich gefallen? Und ich muß der Suchmaschine sogar noch Nachhilfe geben, damit sie in ihrer französischen Version unseren > Frankreich-Blog zur Kenntnis nimmt. Und dann ist da auch das bekannte Schlagwort von der „Demokratisierung des Wissens“, das vorgaukeln will, erst das Internet könne Informationen an alle vermitteln, und gleichzeitig soll dadurch die Qualität des Wissens aufgewertet werden. Zugleich schleicht sich so eine Legitimierung von Informationen oder Wissen ein, deren schlimme Folgen noch kaum in den Blick geraten sind.

Man darf das Internet auch nicht überschätzen. Es ist ein Hilfsmittel, ein sehr gutes Hilfsmittel – von oft sehr unterschiedlicher Qualität. Der Hype um Google-Books wird stillschweigend von der > französischen Nationalbibliothek getoppt. Für mein neues Buch war das Internet nur ein Auskunftsmedium für englischsprachige Bibliographien, nicht mehr. Es gibt eben immer noch manche Bereiche des wissenschaftlichen Austauschs, die sich nicht im Internet abspielen. Zum Beispiel kann auf der einer Website die > Veranstaltungen des Stuttgarter Literaturhauses prima dokumentieren und zeigen, mit wie vielen Themen die riesige Zahl aller Besuche seit 2001 erreicht worden sind, ohne dass das Internet eine besonders nennenswerte Rolle dabei gespielt hat.

Soboczynskis Bemerkungen lassen erahnen, wohin die Reise gehen könnte:

„Nun herrscht das Diktat der Mehrheit ausgerechnet im Mantel des Demokratiezugewinns: Breite Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs sei egalitär, ergo sei sie demokratisch. Wer so argumentiert, übt Verrat am formalistischen Kern der Demokratie: Er hat weder die Übertragung von Souveränität auf Vertreter im Blick noch robuste Institutionen, die Partizipation strukturieren und begrenzen. Vielmehr wird das Mehrheitsprinzip nach marktwirtschaftlichem Vorbild geltend gemacht.“

Ich denke immer noch an meinen ersten Wikipedia-Versuch, einen Artikel zu verfassen, der von fachfremden Korrektoren nach einer Löschdiskussion (sic!) schließlich dann auch gelöscht wurde, das Ziel hatte ja schon vorher einen Namen. Verfasst man einen Beitrag für einen Sammelband, kennt man den Verlag, den Herausgeber und oft auch die Mitautoren. Jeder Beteiligte an einem solchen Buchprojekt hat eine bestimmte verantwortliche Rolle. Bei Wikipedia ist das anders, dort möchte die anonyme Mehrheit dem Autor die Verantwortung abnehmen, löscht seinen Beitrag oder schreibt ihn um. Der intellektuelle wird in ein Schema gepresst, so wie bei uns im Versand Briefgrößen mit einer Schablone gemessen werden. Passt der Brief nicht durch, bleibt er eben liegen. > Soziale Netzwerke sind manchmal auch mehr vernetzt als sozial, weil sie ihren Anhängern eine unendliche Bewegungsfreiheit auch eher nur vortäuschen.

Ulrike AckermannEingangs schrieb ich, die Schlußfolgerung Soboczynskis nicht zu teilen. Er schreibt: „Jedoch als der, der er bislang war, Störenfried des Konsenses, Vermittler von Wissensbeständen, Korrektiv des Staats, wird er (i. e. der Intellektuelle, W.) verschwinden.“ Das ist nicht wahr, und das wird auch so nicht kommen. Seine Aufgaben werden bleiben: protestieren, nicht alles einfach hinnehmen, neue und auch mal unbequeme Gedanken in die Diskussion miteinbringen, sich keinesfalls vereinnahmen zu lassen, unabhängig und frei zu bleiben. Niemand braucht von ihm zu verlangen, er solle sich der Mehrheit beugen. Er wird es nicht tun. Und Wikipedia wird auch weiterhin funktionieren, weil vielleicht mehr Intellektuelle dort mitarbeiten, als seine Ansätze zum Mehrheitsprinzip dies vermuten lassen. Das eigentliche Problem von Wikipedia ist es, dass ein Autor der dort publiziert, nicht mehr frei ist, gibt er doch seinen Text mit der Veröffentlichung in andere Hände, nicht nur zum lesen, sondern auch zum Überarbeiten.

(1) Jean-Paul Sartre, Masson, in: ders., Situations IV, Portaits, Paris 1964, S. 387. Vgl. dazu das Kaiptel über Sartres Defnition des intellektuellen: Heiner Wittmann, Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Tübingen: Gunter Narr, 1996, S. 165-180.