Schon wieder ein massiver Angriff auf das Urheberrecht. Wenn auch das Urteil, über das hier berichtet wird, wohl zuerst nur die USA betrifft, so ist doch eine Entwicklung absehbar, der es zu widersprechen gilt. Doch der Reihe nach…
Vor zwei Jahren habe ich durch einen Zufall bemerkt, dass Google sich mit seinem Angebot Google Books nicht an vereinbarte Regeln gehalten hat. Der Verlag Gunter Narr hatte offenkundig zugestimmt, dass Google mein Buch Sartre und die Kunst in Auszügen anzeigen darf. Durch die Suche nach einem Zitat von Sartre stieß ich durch Zufall um 2011 auf mein eigenes Buch, von dem die Hälfte im Internet auf der Seite von Google Books zu lesen war. Ein Kollege von mir konnte mit seinem PC das Angebot das Zitat in meinem Buch nicht finden, weil auf seinem PC die andere Hälfte meines Buches angezeigt wurde. Wer also nur die IP-Nr. seines PCs wechseln konnte, hatte Einblick in mein ganzes Buch. Mehrere Jahre lang hatte Google unrechtmäßig mein Buch in ganzer Länge angezeigt. Ein Mail genügte, und das Buch war nach 12 Stunden aus Google Books verschwunden.
![]() > Johann Friedrich Cotta und die Rechte der Autoren |
Durch das am Ende der letzten Woche gefällte > Urteil des Richters Denny Chin wird Google das Einscannen auch von urheberrechtgeschützten Büchern im Rahmen des „Fair Use“, einer Ausnahmeregelung im US-Urheberrecht, das die nicht genehmigte Nutzung von geschütztem Material gestattet, wenn sie der öffentlichen Bildung und Diskussion dient. Das Urteil gilt wohl nur für Google Books in den USA. Wie Google woanders verfahren darf, wird in dem Urteil nicht gesagt.
Richter Chin schätzt offenbar Google Books als ein besonderes „Recherche-Instrument“, das Lesern hilft, Bücher zu finden. Richter Chin geht davon aus, dass Google das Lesen der Bücher verhindere. Nichtlesende Staatsbürger sind auch recht ungefährlich. Google wird sicher eines Tages einen Weg finden, sich am Gewinn zu beteiligen, wenn die Suchkunden von Google wirklich auf die Idee kommen sollten, das Buch lesen zu wollen, müsste man dem Richter antworten. Nochmal. Der Reihe nach.
Der Autorenverband Authors Guild will zu Recht gegen dieses Urteil den Rechtsweg beschreiten : > Round One to Google: Judge Chin Finds Mass Book Digitization a Fair Use. Guild Plans Appeal
Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass auch > meine Bücher von Google ohne meine Erlaubnis digitalisiert werden, und den durchsuchbaren Fundus von Google Books -ohne ein Honorar zu meinen Gunsten – vergrößern. Mit der Anzeige der Fundstellen in meinen Büchern bereichert sich Google an meinen Büchern. Außerdem wird Google allein schon durch die undurchschaubare Anordnung in den Suchergebnissen irgendwie eine Bewertung vorlegen, die jeder Grundlage entbehrt.
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Die Befürworter von Google werden sofort entgegnen, ich solle mich freuen, wenn Google so nett (und völlig uneigennützig) ist und mir hilft, meine Bücher bekanntzumachen. Klar, das Verfassen von Seminararbeiten wird noch leichter, man sucht hier, man sucht dort und pickt hier und da ein Zitat heraus, mit dem man seine Arbeit „anrühren“ kann. Vergleichen wir Google Books mit Gallica, so fällt auf, wie gut es > Gallica gelingt, den Besucher online wie in einer Bibliothek arbeiten zu lassen: auf die bibliographischen Angaben ist Verlass, die online eingestellten Reihen > Revue des deux mondes sind vollständig. Vgl. > https://www.google.fr/#q=editions:KvT4o-67pLwC&tbm=bks Google Books hat hier und dort mal eingescannt, „bibliographische Angaben“ als Begriff werden bei Google Books anders gehandhabt als in der realen Welt. Scrollt man auf der Seite mit > meinem Buch in Google-Books nach unten, gibt es einen Eintrag mit ähnliche Bücher: da werden in diesem Fall auch Bücher angezeigt, die mit mit meinem Buch gar nichts zu tun haben, aber Google wird wohl wissen, dass ich den Autor dieses Buches kenne: > Riskomanagement Im Strategischen Fit. Bald wird man in Google bestimmt nachlesen können, wer welche Bücher in Google-Books gesucht, und welche Seiten er angeguckt hat.
Das Urteil, und damit stimme ich Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat – der vom Buchreport zitiert wird: Richter erlaubt Buchdigitalisierung von Google in Bibliotheken > „Unschätzbares Recherche-Werkzeug“ – Buchreport 15. November 2013 – zu, ist eine Mahnung an die Europäer jetzt endlich den Ausbau der EUROPEANA nach dem glänzenden Vorbild von Gallica voranzutreiben. Im Moment sind wir jeder wieder auf LOS, an dem Punkt, wo damals Jean Noël Jeanneney sein Buch Jean Noël Jeanneney > Quand Google défie l’Europe. Plaidoyer pour un sursaut, Editions Mille et une nuits, Paris 2005 (Dt. Fassung: Jean-Noël Jeanneney, Googles Herausforderung. Für eine europäische Bibliothek, Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger und Sonja Fink. Wagenbach Verlag, Berlin 2006) vor den Google-Auswüchsen so nachdrücklich warnte. Der damalige Direktor der Französischen Nationalbibliothek gab damit den Startschuss für Google, das als Online-Angebot ein Erfolg geworden ist, der seinesgleichen sucht.
![]() > Die Aktualität der Meldungen im Internet oder: Kann das Internet Aktualität vermitteln? |
Wir in Europa haben etwas verpasst. Wir lassen es uns gefallen, dass ein amerikanischer Konzern zur Online-Bibliothek unserer Literaturen werden will. Und er wird speichern, was, wer, wann, wo recherchiert, welche Seiten wer, wie lange betrachtet, und er wird das komplette Profile seiner Besucher erstellen, um sich immer weiter an den Werbeeinnahmen bereichern können, nur weil die Europäer die Entwicklung verschlafene haben. Google wird den Besuchern die Bücher anzeigen, die zu seinem Suchprofil passen und wer die falschen Bücher aufruft, darf in die USA nicht mehr einreisen, weil sein politisches Profil unerwünscht ist. Wie leicht kann Google in die Versuchung kommen, wissenschaftliche Arbeit zu steuern, indem bestimmte Texte den Lesern unterschlagen werden; Texte z. B., die ein schlechtes politisches Profil generieren. Karrierechancen werden gekappt, weil das Leseprofil eines Kandidaten, das politische Lese-Führungszeugnis irgendwelche dummen Bemerkungen enthält. Sicher, solche Praktiken sind auch in anderen Bibliotheken mit jeder Art von Online-Ausleihe möglich, aber Google kann das mit der Vielfalt seines schon beinahe Monopol-artigen Angebots besonders gut. Google wir eines Tages einen eigenen Verlag gründen, in dem es seine Suchkunden nach Vorgaben, die von den Leseprofilen gefüttert werden, Texte schreiben lässt, die dem Lesegeschmack 100%ig entsprechen und in der hauseigenen Suchmaschine ganz oben angezeigt werden.
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Am 9. September 2013 haben der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V., der Deutsche Kulturrat, das Syndicat National de l’Edition, und der Sybdicat de la Librairie française in ihrer Erklärung > „Zukunft des Buches – Zukunft Europas“ an die fundamentale Bedeutung des Urheberrechts errinnert: Darin heißt es u.a.: „Das Autorenrecht ist der Kern des europäischen Urheberrechts. Der Urheber steht im Mittelpunkt dieses Rechts, er allein entscheidet, ob und wie sein Werk veröffentlicht wird. Dieser Grundsatz des europäischen Urheberrechts muss auch in der digitalen Welt mit ihren neuen Publikationsmöglichkeiten Bestand haben und darf nicht durch Anpassungen an die digitalen Gegebenheiten aufgeweicht werden.“
Mit allen Videos der Konferenz am 9. September 2013 in Berlin:
> Französische Botschaft lud zum Forum „Zukunft des Buches, Zukunft Europas“ – Frankreich-Blog
United State District Court Filed Souther District of New York: > Authors Guild v. Google Decision
Richter erlaubt Buchdigitalisierung von Google in Bibliotheken > „Unschätzbares Recherche-Werkzeug“ – Buchreport 15. November 2013.
> Google darf Millionen Bücher ins Internet stellen – FAZ, 14.11.2013
Ergänzung:
Michael Roesler-Graichen, > Verbeugung vor dem Monopolisten – boersenblatt.net – 19.11.2013
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Blogrückblick:
> Nicolas Sarkozy und das Urheberrecht 21. Januar 2011
> Sollen öffentlich geförderte Forschungsergebnisse wirklich kostenlos sein? – 7. Dezember 2009
> Der Google-Welt-Buchladen und das Urheberrecht – 31. Juli 2009
> Leser, Autoren, Verleger und Herausgeber – 22. Juli 2009
> Urheberrecht: Digital heißt nicht rechtlos – 26. April 2009
> Pause vom Internet: Netzstille oder Hilft das Internet beim Bücherschreiben? – 21. Januar 2010
> Web 2.0 – 38 Artikel auf unserem Blog