Lesebericht: Daniel Goetsch, Fünfers Schatten

Daniel Goetsch, > Fünfers Schatten erzählt von dem Dramatiker Maxim Diehl, der, jetzt richtig gut bekannt, sich auf die Insel > Porquerolles zurückzieht, um dort seine Autobiographie zu verfassen. Er hofft darauf, dass die mediterrane Umgebung ihn dabei unterstützt, wenn er sich an seine Kindheit zurückerinnert. Der schwierige Vater, die etwas verträumte Mutter.

EINLADUNG ZUR LESUNG
»Fünfers Schatten«
Donnerstag, 26. April 2018 | 19: 30 Uhr
Café LesBar | Stadtbibliothek Stuttgart
Mailänder Platz 1 | 70173 Stuttgart
Daniel Goetsch im Gespräch mit Julia Schröder
Eintritt: € 5,- / € 3,- (ermäßigt)

Manchmal ist der Titel eines Buches ein Rätsel. Irgendwie ist man doch neugierig, aber der Titel will nicht so recht zur Geschichte passen. Sicher ist nur, es gibt ein Geheimnis und Maxim Diehl ist ihm auf der Spur. Es geht nicht nur um seine eigene Geschichte als Dramatiker, auch wenn sein eigenes Leben so verworren wie seine Stücke sind. Und dabei ist es gar nicht einmal so klar, was in den Stücken sein Leben bestimmt und was von seinem Leben sich in seinen Stücken wiederfindet. Ein Roman um das Schreiben einer Biographie, das in verschiedenen Ansätzen untersucht wird.

Erst einmal will Maxim Diehl versuchen, die Seele baumeln zu lassen, sich zu beruhigen, sich an die Kindheit erinnern. Dafür reist er auf die Insel Porquerolles  findet eine ruhige Pension und macht sich ans Schreiben. Trotz der ersehnten Ruhe gelingen ihm die erwünschten Seiten nicht so recht. Er trifft auf einen Amerikaner, einen regelmäßigen Sommergast auf der Insel, Jack Quintin, der ihm nach und nach sein Leben erzählt. Nicht alles, aber sehr viel. Besatzungsoffizier, sei er in Deutschland gewesen, Wiesbaden Nürnberg, Verhöre, eine unglückliche Liebschaft mit Paula. Diehl erfährt immer mehr und ist fasziniert. Macht sich Notizen und beginnt eine Biographie über Quintin zu verfassen, ganz so, als ob er durch das Schreiben, die losen Fäden in dessen Erzählungen ordnen und zusammenknüpfen möchte oder könnte. Ob die typographisch abgesetzten Berichte Quentins dessen Wortlaut oder schon Notizen von Diehl sind, das geht ineinander über, ganz so, als ob es in diesem Buch einen zweiten Roman gebe.

Quintin dreht den Spieß zuweilen herum und fragt Diehl nach dessen Herkunft: „Vielleicht musste ich sagen. Ich bin ein Schweizer.“ (S. 37 ) Und dann sind da noch die Schatten, wegen seines früheren Verhältnisses mit Bettina. Ihr gemeinsamer Sohn Jan hat Gesundheitsprobleme. Nein, er, Maxim Diehl,  will nicht nach Berlin kommen und zieht es vor, den Geschichten von Quintin zu lauschen, der  von den Deutschen berichtet, wie sie die Amis gesehen hätten: „Für die Deutschen waren wir ein Haufen unkultivierter Geschäftemacher, Aufschneider und Tagebiebe. Der Ami war in ihrem Verständnis ein durch und durch oberflächliches Wesen. Keine Wurzeln, keine Geschichte, also keine Seele. Das war der deutsche Dreisatz.“ (S. 75) Der verstörte Blick auf seine eigenen Landsleute verrät Quentins eigentümliche Distanz zu ihnen.

Spätestens auf diesen Seiten ist der Spannungsbogen aufgestellt. Es geht um Eigeneinschätzungen, um die der Anderen, das Verhältnis der Deutschen zu den Nazis unter ihnen oder umgekehrt, und alles im Rückblick, weil die Geschichte immer ihre Wirkungen zeigt. Wie macht man das, eine Biographie zu verfassen, schreibt man immer mehr über seinen eigenen Horizont als über den, den man erforschen will? Wieviel muss man wissen, um Beweggründe, Haltungen,  Entscheidungen, Reaktionen der anderen verstehen zu können? Diese Doppelbiographie, Maxim Diehl über sich, Maxim Diehl über Jack Quintin enthält auch die Diskussion über methodische Fragen. Dann gibt es noch den Erzähler, der berichtet mit Vor- und Rückblenden, wie Diehl sich den beiden Biographien nähert, wie beide etwas ineinanderübergehen, wie seine eigen Geschichte die beiden biographischen Ansätze bestimmen.

Ist Maxim Diehl als Dramatiker, der Mitte der neunziger Jahre so überaus erfolgreich war, doch noch gescheitert? „Es war im Grunde, als würde er bloß seine pubertäre Befindlichkeitslyrik breitwälzen.“ (S. 85) Begierig greift Diehl jedes Detail über Quintin auf: „Die Nacht wurde um Tag, und die Stunde Null begann stets von Neuem. Im Grunde war Maxim Diehl selig.“ (S. 124)

Sind die beiden Biographien auch eine Analyse des eigenen Scheiterns? Hatte sich Diehls Schreiben verändert? Gab es da einen Einfluss durch seine gescheiterten Beziehungen? Viv oder Bettina? Das Gespräch mit einer Journalistin des WDR über sein Theaterstück Einladung zum Bürgerkrieg (1997) erhellt Diehls dramaturgische Ansätze, der sie daran erinnert: „Wir sind im Theater.“ (S. 158) und  „Hätten Sie das Stück gelesen, wüssten Sie dass in meinem Stück nirgendwo Klarheit herrscht.“ (S. 160).  und „Nur so viel, es gibt Menschen, die ertragen keine Mehrdeutigkeit.“ (S. 161).

Dann wieder Jack Quintin, der vom Umschwung, von der Aufgabe der Reeducation zur Machtpolitik und den Wirtschaftsinteressen berichtet: „Ich war ein Entkommener,“ so bringt Diehl die Identitätsproblem seines Gesrpächspartners auf den Punkt. Es geht hier also auch um Identitäten. Aber > Fünfers Schatten?

Der Schleier um den Titel beginnt sich zu lichten, als jemand anders, vielleicht der Erzähler selbst, beginnt, von seiner Biographie über Diehl zu berichten.

Dieser Roman gehört zu den Büchern, die man im Buchladen in die Hand nimmt die ersten liest, dann die U4 liest: „Kann man heute überhaupt noch eine Biographie haben?“ „Als er im Herbst 1999 mit der Fähre auf Porquerolles übersetzte, fühlte er sich frei.“ (S. 8) Vorher nicht? Nach diesem Auftakt lesen Sie weiter.

Daniel Goetsch,
> Fünfers Schatten
1. Aufl. 2018, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98071-4