Saskia de Costers Roman > Eine echte Mutter erzählt die Identitätsfindung als Mutter unter erschwerten Bedingungen. Saskia und Juli sind ein Paar: „Sie lernten sich auf einer Party in eine rappelvollen Küche kennen.“ (S. 72) Juli möchte gerne ein Kind bekommen („Todernst eröffnete ihr Juli, dass sie irgendwann einmal ein Kind wolle.“ S. 73), vielleicht hat Saskia diesen Wunsch zuerst nicht so richtig ernstgenommen oder verdrängt, („Zum Glück waren sie keine Heteros, es gab kein Risiko, dass es einfach passieren konnte.“ (S. 74), aber dann findet sich Karl als Samenspender und nach einigen Anlaufschwierigkeiten ist Juli schwanger.
Alle Berichte über Julis Empfängnis, die Schwangerschaft, den Kaiserschnitt und die Ankunft von Saul werden in diesem Roman als Rückblendungen erzählt, die, es ist wohl Juli, sie in ihr Notizbuch einträgt. Eingebettet in die Reise, die Saskia, Juli auf die kleine Insel Portes an der Küste Kanadas unternehmen, um dort den biologischen Vater von Saul zu besuchen. Ist Juli insgeheim auf der Suche nach einer heilen Familienwelt, wo der Vater auch eine Rolle spielt oder will sie das Gefühl, eine Familie um sich herum zu haben, nur einmal ausprobieren, so als Ergänzung, zu ihrem neuen Gefühl als Mutter?
Kaum sind sie auf der Insel angekommen, lernt Juli, vielleicht schneller als ihr lieb ist, die verschiedenen Mutterrollen kennen: Karls Mutter „Nana, Mama oder Molly“ (S. 113) hat Zwillinge Thor Thor und Noah und nimmt Juli und Saskia herzlich und gastfreundlich auf; bleibt mehrere Wochen, Monate: „‚Mama'“, Karl starrt ihr in die Augen.“ S. 114 – Juli muss Saul ständig im Auge behalten. Ständig stellt er auf seinen Entdeckungstouren etwas Neues an, immer wieder kommt es zu kleinen Beinahe-Katastrophen. Ob Saskia sich um Juli sorgt, aber ihre Liebe leidet nicht unter der neuen Familienkonstellation: Das Geheimnis jedes Pärchens: Etwas, das stärker ist als die Liebe, hält sie zusammen, es ist der unsichtbare Körper, den sie zusammengeschaffen haben und den sie bewohnen.“ (S. 126) – Aber Karl ist für zwischenmenschliche Beziehungen auch sensibel und erinnert an den Satz von Reiner Maria Rilke, mit dem Juli und er ihre Beziehung definiert hatten: „Weil ich für die höchste Aufgabe einer Verbindung zweier Menschen diese halte: dass einer dem andern seine Einsamkeit überwache.“ (An Paula Becker-Modersohn, Bremen, am 12. Februar 1902)
Juli weiß auch oder besser fürchtet auch das, was auf Saul zukommen wird? Wann wird er sich für seine Herkunft interessieren? Wird er diesen Moment als Riss in seinem Leben in Erinnerung behalten? Juli erinnert sich an ihre eigenen Herkunft. Sie wurde als zweites Kind aus dem Krankenhaus geholt; viel mehr wird darüber nicht erzählt, aber offenbar wurde sie adoptiert und in ihrem Inneren scheint sie so zu vergewissern, dass Saul seine Situation meistern wird. Juli erinnert sich an Strafen, die ihre Schwester Eva nicht bekam. Und dann ist da natürlich die Erinnerung an ihre Mutter, die unweigerlich die Rolle ihrer Tochter beeinflusst und prägt: „Menschen können sich ändern. Aber gilt das auch für Eltern?“ (S. 180) steht in ihrem Notizbuch.
Saul bekommt seinen Willkommensbaum. Die Einbindung in Traditionen ist auch bei den Olsens ein fester Bestandteil des Familienlebens. Aus dem Holz dieses Baumes wird ein Begrüßungsgeschenk für Saul hergestellt. Tradition verbindet und schweißt zusammen. Eigentlich müssten Saskia und Juli sich allmählich Sorgen machen, ob sie dieser Familie hier wieder entkommen können. Es fühlt sich schon so an, als wenn sie eine richtige Familie wären, Saul schläft im Arm bei seinem Vater, der sich dann aber doch schnell verzieht, als Saskia erscheint.
Das Familienleben bekommt Karl nicht. Er ist dann einfach mal weg. Er erinnert Juli noch daran, dass Freund auch bedeute, die Grenzen der Anderen zu respektieren. Er fühlt sich auf der Insel nicht mehr zu Hause. Offensichtlich wird ihm dieses (simulierte) Familienleben zu viel.
Ganz am Ende, als Saul endlich wieder auf Festland und auf der Heimreise ist, wird von seiner Zukunft gesprochen, die ihm gehört.
Saskia de Coster hat einen Roman verfasst, der zum Nachdenken über alle Facetten der Mutterrolle anregt, über das was Mütter beeinflussen können, und wie sie die Klippen der Familienbande umgehen können. Trotz der Abreise oder gar Flucht des biologischen Vaters kommt doch der Schutzcharakter der Familie für ihre Mitglieder hier nicht zu kurz. Es sind Traditionen, gemeinsame Erlebnisse und solidarische Hilfestellungen, die das Familienleben gewähren. Die Art und Weise, wie es Juli gelingt, in dieser Konstellation ihre Rolle als Mutter besser zu verstehen, ist schließlich doch ein Loblied auf die Familie und auf die Mutterrolle allemal
Saskia de Coster
> Eine echte Mutter
Roman
Aus dem Niederländischen von Isabel Hessel
(Orig.: Nachtouders)
1. Aufl. 2020, 348 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50454-5
Aus dem Niederländischen von Isabel Hessel (Orig.: Wij en ik)
1. Aufl. 2016, 409 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50156-8
“ Die Mutter Mike kommt aus betuchtem Geldadel eigentlich ohne jedwede materielle Sorgen, aber alles um sie herum, alle Dinge, alle Verhältnisse zu allen, ihre Familie Vandersanden, alles macht sie total neurotisch…. “ > Bitte weiterlesen.