Alle Welt spricht immer mehr über Digitalisierung. Landauf landab wird die Digitalisierung als Dreh- und Angelpunkt moderner Bildung, als Innovationsmotor für die Wirtschaft und in Form von ambitionierten Regierungsprogrammen gefeiert, mit der sich jeder Staat an die Spitze aller anderen setzen möchte. Am lautesten sind die Forderungen im Bildungsbereich. Der Staat verspricht Milliarden und weiß eigentlich gar nicht so recht wofür, da im Prozess der Digitalisierung auch die Autoren großer Studien nicht so recht wissen, wo die Reise hingeht. Der digitale Hype erinnert an die 90er Jahre und der ungestümen Entwicklung der Lernsoftware, die Schüler/innen die ultimativen Lernergebnisse in Aussicht stellten. Dumm, nur, dass kaum ein Lernprogramm in der Lage war, mit den Antworten der Schüler/innen etwas anzufangen. Heute ist das ähnlich, wenn das Arbeiten mit dem Internet auf dem Stundenplan steht. Das Surfen in die Weite des Internets verlangt die ganze Aufmerksamkeit der Lernenden. Und die wird selten zu einem Gegenstand hingeführt, sondern ständig in die Welt der Hyperlinks verwiesen. Womit wir schon schon bei der Kehrseite der Aufmerksamkeit im digitalen Zeitalter sind, der Vera Ring im neuen Heft der > PSYCHE 8/2018 einen grundlegenden Artikel gewidmet hat: Geteilte Aufmerksamkeit. Kultureller Wandel und psychische Entwicklung in de Zeiten der Digitalisierung (S. 640-665), der auf einem Vortrag am 23.11.2018 anlässlich der DPV-Herbsttagung 2017 in Bad Homburg beruht.
Im Anklang an M. Tomasello nennt sie drei Aktivitäten des Menschen die zu Kooperation und Kommunikation führen: „Auffordern, Informieren und Teilen.“ (S. 640) Im ersten Teil beschreibt sie die Wohltaten digitaler Kommunikation mit Schwerpunkt des Teilens mit leichten kritischen Untertönen: „Das mobile Gerät mit mobilen Daten und Verbindungen kann notfalls als letzte Möglichkeit der Beheimatung. (…) Teilen erscheint insofern auch als ein phantasmatisches Heilmittel für den entwurzelten Menschen der gegenwärtigen Moderne.“ (S. 643) U. a. lenkt sie die Aufmerksamkeit des Leser auf die Beschaffenheit der Meldungen: „Ein Gefühl der Unmittelbarkeit entsteht aber auch die fortwährende Botschaft oder Suggestion persönlicher Adressierung, die im Netz eine große Rolle spielt.“ (S. 647) Stimmt. Immer mehr Jugendliche definieren sich oder ihre Persönlichkeit durch die Zahl der Follower oder Likes, die ihre Befindlichkeitsäußerungen erringen. Die Autorin kann auch einleuchtend erklären, dass den jugendlichen Onlinern ein Gefühl für Nähe und Distanz immer fremder wird. Mit B. Waldenfels erinnert King daran, dass die Zuwendung zu einer Sache immer auch die Abwendung von einer anderen Sache nach sich zieht. (vgl. S. 656) Die Displaygucker in der S-Bahn oder auf der Straße kapseln sich meist noch mit Ohrstöpseln völlig von der Außenwelt ab. Leben sie schon in einer Online-Innenwelt? Wie viel % der Online-auf-das-Display-gucken-verbrachte-Zeit befriedigt wirklich notwendigen Informationsbedarf, wie viel davon wird der Selbstdarstellung gewidmet und welcher Anteil der beobachten oder eingegebenen Inhalt dient Unbekannten zur Profilbildung zugunsten künftiger personalisierter Werbung?
Es ist die fragmentierte Aufmerksamkeit, von der King Bedenken hat: Es ist die Absorption der Aufmerksamkeit durch digitale Geräte, für die King das Bewusstsein ihrer Leser schärfen möchte. Ihre Warnungen sind berechtigt und sie gehen in ihrer Tragweite weit über das Mutter-Kind-Verhältnis, auf das die Autorin am Ende ihres Artikels eingeht hinaus, „Suggestive Aufmerksamkeit“, (S. 659) das gefällt mir als Begriff, denn er weist schon auf einen Kern des Problems für die Bildung hin. Zum Surfen und Suchen nutzen Schüler/innen Suchmaschinen und müssen erst lernen, wie diese das Suchergebnis für sie ordnen. Außerdem sollten sie im Fach Medienkunde lernen, wie Internetseiten oder alle anderen Angebote im Internet, besonders in Angeboten, die man > soziale Medien nennt, ihnen stets (ungefragt) neue Inhalte aufdrücken, und eigentlich alles andere als sozial sind.
Surfen, daddeln, etc. ist eigentlich schlimmer als Fernsehen. Bonanza, Till der Junge von nebenan und Flipper, drei Programme, später kam die Farbe, heute wird zwischen 180 Programmen gezappt, was auch seinen Reiz zunehmend zugunsten der Tiefen des Internets verliert. Geteilte Aufmerksamkeit fängt schon beim Suchen der Buchstaben auf der Tastatur an: > Schreiben Sie mit der Hand oder der Tastatur? – 24. August 2017. Oder man kann auch fragen: > Essai. Lernen und Studieren mit dem Internet? – 30. September 2016.
Früher sprach man noch vom Kontruktivismus, der als Idee den Schüler/innen helfen sollte, ihre Welt zusammenzusetzen und zu verstehen. Heute stehen Kompetenzen im Vordergrund, die Inhalte treten zurück, zuerst muss der Umgang mit den Maschinen gelernt werden, dann gibt es eine Einführung in das was sie bieten und der so vermittelte Einstieg in die Welt des Internets ermöglicht den Kindern keine Landkarte ihres Wissens. Es gibt ja auch Autofahrer, die ohne Navi gar nicht mehr wissen, wo sie sind.
Nur weil sie da sind, gibt es noch lange keinen Grund, die Smartphones der Schüler/innen in den Unterricht miteinzubeziehen. Frankreich hat gerade die Smartphones (mit Ausnahmen – in den Schulen verboten: > Mobile Telefone in der Schule? – 1. August 2018.