MERKUR – August 2011

Gerade ist das neue Heft MERKUR – August 2011 erschienen. In diesem Heft geht es laut den Herausgebern um „Lebenslügen des politischen Moralismus“. Karl Heinz Bohrer beobachtet den um sich greifenden Populismus der deutschen Politik mit allem was dazu gehört und vor allem mit dem bewährten Aussitzen. Dann kommen aber doch wieder plötzliche Entscheidungen, wie das Abschalten der Atomkraftwerke als späte Einsicht. Weniger wagemutig ist die Politik dann wieder in der Libyenfrage, aber den Vorsitz im Sicherheitsrat möchte man doch gerne haben. Ein ziemliches Durcheinander, das von Bohrers Titel Projekt Kleinstaat prima auf den Punkt gebracht wird. Man hat ja schon den Eindruck, dass unsere Regierung uns zuweilen unsere Welt so darstellt, wie sie gerade gar nicht ist. Dazu gehört auch die Beobachtung, dass sich in Berlin kaum jemand mit außenpolitischen Ideen hervortut. (Vgl. S. 665) Der Außenminister hat in seiner Partei jede Basis verloren, und er reist gerade noch geduldet durch die Welt. Bei jedem Gipfel mit Frankreich wir gebetsmühlenartig eine engere Kooperation versprochen, aber bei vielen Themen handelt die Bundesregierung so, als gäbe es Frankreich nicht. In der letzten Zeit scheint sich aber unter dem Druck der Schuldenkrise > ein verstärktes gemeinsames Reagieren zwischen Frankreich und Deutschland anzukündigen, das aber endlich wieder in eine Regieren münden müsste.

Egon Flaig fragt, Warum gibt es kein historisches Traum? und schlägt vor, dieses „Nonsense-Begriff“ zu verabschieden: er fasst mit einem Satz sein Anliegen zusammen: „Eine gigantische Betroffenheitsindustrie ist am Werke, um diese Wunden zu schützen gegen jede heilende Einsicht in die Wahrheit.“ (S. 681)

Konrad Adam hat seinem Beitrag die Überschrift Bildung lässt sich nicht umverteilen gegeben. Seiner Meinung geht es in der Schule nicht um Gleichheit, sondern um Bildung. Sein Beitrag erinnert mich an die fatale ideologische Gründungswelle der Gesamtschulen in NRW während der achtziger Jahre, die schließlich im Einstellungsstopp für Lehrer mündete. Oberstufenreform, Gesamtschulchaos, und später in Baden-Württemberg die Grundschulempfehlung als staatlich wohlgemeinte Lebenssteuerung haben aus meinen Kontakt zur Schule immer einen Schlingerkurs gemacht. Adam erklärt in einem Satz, worum es in der Schule geht: Es kommt auf den Lehrer an. (S. 691) Wie sagte mein Französischlehrer bei meinem ersten Referat? – Es ging um CamusMythos von Sisyphos „Du hast diese und die nächste Stunde…“ und löste damit meine Frankreich-Passion aus. Mein Lehrer wurde von keiner Schulreform je übertroffen.

Nachgefragt :
Robert Spaemann, Nach uns die Kernschmelze

Alfred Gulden hat fünf Skizzen unter dem Titel Müde Krieger versammelt. Sieben Gedichte von Joachim Sartorius: „Ich trat in die Bibliothek der Herzschläge…“ Jens Bisky rezensiert in seiner Architekturkolumne Bücher über Schinkel. David Wagner hat Teju Coles Open City (New York: Random House 2011) gelesen. Peter Brown berichtet über Alana Camerons The last Pagans of Rome. Christian Schröder rezensiert den band von Hartmut Scheible; Giacomo Casanova. Ein Venezianer in Europa (Würzburg: Könighausen & Neumann 2009). Horst Meier fragt, gibt es das „Restrisiko“ nicht tatsächlich? Ja, es wird immer unterschätzt. > Hervé Kempf von Le MONDE meinte auch, dass die Behörden und die Politiker diese Gefahr gerne ausblenden. Wie sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der > Bundestagsdebatte vom 9. Juni 2011? „Das Restrisiko der Kernenergie habe ich vor Fukushima akzeptiert, weil ich überzeugt war, dass es in einem Hochtechnologieland mit hohen Sicherheitsstandards nach menschlichem Ermessen nicht eintritt. Jetzt ist es eingetreten.“ Wir haben also alle gelernt, dass auch ein Restrisiko existiert, das durch Hoffnung oder Statistik nicht ausgeblendet werden kann und irgendwann eintritt.

10 Jahre Bologna ohne Feierlaune

Christoph Markschies hat über das Humboldtsche Universitätsideal und die gegenwärtige Probleme der deutschen Universitäten nachgedacht: Einheit in Vielfalt? Es folgen noch eine psychologischer Artikel über den Schmerz von Wolfgang Marx und Erkundungen (III). Von Lübeck nach München von Hans Dieter Schäfer. Mit einem Besuch bei den Buddenbrooks geht es los nach München in das Deutshe Museum mit seinen Maschinen.

Und jetzt dürfen wir gespannt sein auf das MERKUR-Doppelheft Sag die Wahrheit, das Mitte September eintreffen wird: „Warum jeder ein Nonkonformist sein will, aber nur wenige es sind“, lautet der Untertitel.

MERKUR – August 2011