Nachgefragt: Henning Ahrens, Mitgift

Lesebericht: Henning Ahrens, MitgiftGerade ist der Roman > Mitgift von Henning Ahrens bei Klett-Cotta erschienen.

„Seit sieben Generationen gibt es den Hof der Leebs in der niedersächsischen Provinz. Widrige historische Umstände gelten nicht, das Familienerbe muss gepflegt werden, auch wenn Einzelne dafür zurückstecken müssen. Wie Einzelschicksale das gemeinsame Erleben bestimmen, wie Empfindlichkeiten über Jahrzehnte hinweg Wunden nicht schließen und wie die ländlich-bäuerliche Welt inmitten der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts zu überleben versucht, das sind die Themen dieses Romans….“ so begann unser >Lesebericht: Henning Ahrens, Mitgift.

Gerade wurde bekanntgegeben, dass der Roman von Henning Ahrens auf der Longliste des Deutschen Buchpreises 2021 steht. Wir gratulieren sehr herzlich.

Henning Ahrens stammt aus Niedersachsen und lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt. Er hat u. a. Werke von Jonathan Safran Foer, Colson Whitehead, Meg Wolitzer und Richard Powers ins Deutsche übersetzte. Für sein literarisches Werk erhielt er mehrere Auszeichnungen, zuletzt erschien 2015 »Glantz und Gloria. Ein Trip«, wofür er mit dem Bremer Literaturpreis geehrt wurde.

Heute haben wir Henning Ahrens in unserem Homeoffice per Videofernübertragung empfangen und konnten ihm Fragen zu seinem Buch stellen:

Sieben Generationen haben den Hof der Leebs in der niedersächsischen Provinz geprägt. Es geht um Einzelschicksale und wie Einzelne zugunsten des Familienerbes zurückzustecken haben und wie die die ländlich-bäuerliche Welt inmitten der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts überleben kann und will. In der ersten Szene werden Erinnerungen aller Art evoziert. Wilhelm Leeb senior bittet 1962 die Totenfrau Gerda Denking noch einmal tätig zu werden. Sie weigert sich zunächst, Uns wird nicht gesagt, wer der Tote ist. Es folgen Rück- und Vorblenden. Wir haben Henning Ahrens gefragt, warum gerade diese Romanstruktur für den Aufbau des Romans und das Verständnis der Ereignisse so wichtig ist:

Im Mai 1940 scheint die Welt auf dem Hof der Leebs scheint noch so halbwegs in Ordnung, aber der Schein trügt. Wilhelm ist neun, seine Schwester Gerda ist vier Jahre jünger und da ist noch Bruno ihr kleiner Bruder. Das Gewitter soll mit einem gemeinsamen Gebet gebändigt werden. Statt des Blitzes fährt der alte Leeb dazwischen und erinnert Wilhelm an seine Pflichten als Hitler-Junge. Ein Beispiel, wie die Zeitläufte auch den Hof fest im Griff haben.

Wie so oft möchte ich nicht den Ereignissen des Romans vorausgreifen, denn seine Spannung bestimmt hier in ganz besonderer Weise den Leseanreiz… man könnte vermuten, dass die Ereignisse nicht alle erfunden sind, ist der Zusammenhang zwischen autobiographischen Elementen und der Erzählung für Sie wichtig?

Es nicht nur die Generationen, die aufeinander folgen, die einzelnen Personen sind es, die die Kontinuität, die Familienbande bewahren und die Tradition um welchen Preis auch immer sichern. Schwarze Schafe sind auch unter ihnen, wie der Onkel von Carl Wilhelm Leeb der im 19. Jahrhundert den Hof der Hermannsburger Mission vermachte… geschah das aufgrund verletzter Eitelkeiten oder warum versuchte er die Erbfolge zu durchkreuzen?

Noch weiter zurück. Im Februar 1755 sitzt Hans Wilhelm Leeb bei Kerzenschein und schreibt an seinem christlichen Lehrbuch, das er für seine Nachfahren verfasst. Als seine Tochter Eleonore dem Vater zusehen und wird sie von ihm grob des Raumes verwiesen: der Gegensatz zwischen christlicher Nächstenliebe und harter Disziplin, der die Erinnerung prägt? Wieso war das so?

Zwist, Zwietracht, Eifersucht kommen immer wieder zurück, wenn es um Fortdauer des Hofes geht. Sie geben einen tiefen Einblick in die Seelen und deuten die Beweggründe für Zwänge, denen alle die, die für den Hof verantwortlich zeichnen, unterworfen sind. Manchmal entsteht gar der Eindruck, dass die wirtschaftliche Entwicklung des Hofes hinter die Bedeutung der Charaktere für das Funktionieren des Hofes zurücktritt.

Andererseits werden sehr wohl die Mühen geschildert, mit denen die Familie ohne den Vater während seiner vierjährigen Gefangenschaft, ihr und das Überleben des Hofes inmitten des schwierigen Neuanfangs so erfolgreich sicherte.

Henning Ahrens
> Mitgift
Roman
Klett-Cotta
1. Aufl. 2021, ca. 352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98414-9