Pause vom Internet: Netzstille oder
Hilft das Internet beim Bücherschreiben?

1986 bekam ich meinen ersten Computer als Leihgabe von einer Bonner Firma mit einer riesigen 20 MB-Festplatte und WORD für DOS auf drei 5 1/4 Zoll Disketten, das nie abstürzte und immer schneller als jedes spätere WINDOWS-WORD war. Dann kam das Internet mit den vielen bunten Seiten > www.romanistik-online.de, und vor rund drei Jahren begannen alle von Web 2.0 zu sprechen. Die Besucher der Websites sollten zu Mitmachern werden, und die Unternehmen begannen ihr individuelles Web 2.0 Menü zu konzipieren, das Besucher dazu verleiten soll, zu kommentieren, mitzumachen, zu bewerten und zu empfehlen. Wenn ich mir die Besucherzahlen meines Blogs – > www.france-blog.info – angucke, staune ich immer noch, wie viele Leser mit diesem Medium erreicht werden können. Schneller und aktueller, aber nicht unbedingt qualitativ echt besser als mit einem gedruckten Medium. Die bange Frage an jeder Hotelrezeption: Haben Sie W-Lan? und das Warten vor dem Laptop, bis er wieder irgendwo online ist, kennt jeder, der keine UMTS-Karte hat, die ihn nur dann aufblicken lässt, wenn die Verbindung weg ist.

Internet immer und überall, es unterstützt perfekt die Kommunikation nach allen Richtungen. Wenn es aber darum geht, ein Referat, einen Zeitungsartikel, einen Fachaufsatz oder gar ein Buch zu schreiben, merkt man schnell, dass bekannte Suchmaschinen es immer noch nicht gelernt haben und wohl auch nie lernen werden, Inhalte systematisch zu ordnen. Das können eben doch nur Bibliothekare, die dem Maschinenalgorithmus immer noch haushoch überlegen sind. Bei keiner meiner Sucharbeiten für jede meiner Seminararbeiten, Artikel oder Bücher bieten Suchmaschinen mit ihrer Systematik gegenüber der ordentlichen Bibliotheksarbeit auch nur den geringsten Vorteil. Das Handwerkszeug zum wissenschaftlichen Arbeiten kann nicht mit einer Suchmaschine erworben werden.

Vielleicht hat man die Kommunikations- oder Werbeansprüche im Internet vielleicht doch ein bisschen zu stark in Richtung Information oder Wissen verbogen. Möglicherweise ist da einiges durcheinandergeraten. Meine kummervollen Erfahrungen mit Wikipedia und der seiner kollektiven Intelligenz und den anonymen Korrektoren sind mir noch in schlechter Erinnerung. Beim Schreiben meines letzten Buches brauchte ich das Internet, um Verlagsnamen zu finden und um im Katalog der Landesbibliothek nachzugucken, Bücher zu bestellen. Klar, es gibt auch > www.gallica.fr, meine Lieblingswebsite, aber das ist doch alles nur um Zeit zu sparen, nicht in die Bibliothek fahren zu müssen und andere Anregungen dabei zu verpassen. Das Internet hilft beim Bücherschreiben, aber kein Buch wird dadurch wirklich besser. Manche Informationssuche wird schneller aber nicht unbedingt besser. Mit dem Schreiben ist das ganz genauso. Heute schwört jeder auf seine Tastatur und den Bildschirm, wobei jeder Text von vornherein viel besser wird, wenn er mit Füller bei voller Konzentration auf ein weißes Blatt Papier geschrieben wird, ohne die Sicherheit, ich kann ja doch gleich alles korrigieren. Man bringt einen Gedankenfluß, eine Argumentation zu Papier und hackt nicht hektisch auf die Buchstaben einer Tastatur immer in der Angst, gleich ist alles wieder weg.

Alex Rühle ist Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und hat sich für ein halbes Jahr dazu entschieden, offline zu leben. Keine Mails, kein Internet, kein W-Lan, keine Websites, keine SMS, aus das Handy. Und Klett-Cotta wird sein Buch Das komplett vernetzte Leben herausbringen. Offliner sind heute schon fast Aussteiger, aber es gibt ja das gute alte Fax. Tom Kraushaar, einer der verlegerischen Geschäftsführer von Klett-Cotta, hat einen Stift gesucht und dem maillosen Autor einen Brief per Telekopie übermittelt: > Netzstille. Demnächst mehr.

P.S. Ach, meine gute alte > Schreibmaschine. Ich hatte eine Pappstreifen am Papierhalter angebracht, der die noch zur Verfügung stehenden Zeilen für die Fußnoten anzeigte… Mit der Schreibmaschine ist das so ähnlich wie mit dem weißen Blatt Papier. Man hält ordentlich seine Gedanken zusammen, und bei Fehlern gibt es ein neues Blatt. Ob die heutigen Studenten es glauben oder nicht, damals waren die Seminararbeiten eher fertig als heute.