Wieso wollen E-Books Bücher ersetzen?

David Gelernter, Professor für Computerwissenschaft an der Yale-University in New Haven, Connecticut, hat einen Aufsatz über die > E-Book-Plage – wieso lautet der Titel auf der Website der FAZ nämlich Für ein neues Lesen im Internet-Zeitalter ganz anders als in der Print-Ausgabe? – geschrieben, den die FAZ heute im Feuilleton veröffentlicht hat. Er zählt alle Merkmale und Vorteile, auf die sich mit den Büchern auf unseren Regalen verbinden und die mit der Einförmigkeit der neuen Anzeigegeräte nichts zu tun haben.

Mein erster E-Book-Test war genauso ernüchternd. Durch das Blättern per Klicken oder Tippen auf den Bildschirm geht so ziemlich alles verloren, was eine Lektüre begleitet. Seitenzahlen werden abstrakt gegenüber dem Blick auf die noch ungelesenen Seiten des Buches. Die Elektronik hilft beim Suchen eines bestimmten Wortes, man braucht nicht mehr das Gefühl für die Verdichtung des Textes hin zu einer bestimmten Idee, zu einem Begriff, zu einer bestimmten Aussage. Man verlernt, ein Gefühl für den Text zu bekommen. Hypertextfunktionen verbinden alles mit jedem, jedes Stichwort wird zum Sinnträger des ganzen. Ein elektronisches Gerät assistiert bei einer Daumenprobe gar nicht mehr. Man nimmt das Buch in die Hand, zum Beispiel von einem großen Bücherstapel in der Bibliothek, die Daumenprobe, die kurzen Blicke ins Vorwort, die Stichproben auf den Seiten, der Blick ins Inhaltsverzeichnis, in das Register verraten soviel über das Anliegen des Autors, seine Idee, seinen Ansatz, sein Verfahren und das Ergebnis. Das E-Book als Instrument macht die Daumenprobe kaputt, das Gerät schiebt sich zwischen den Buchinhalt und den Leser.

Aber für manche schnell zu aktualisierende Texte werden diese Lesegeräte – ein Ausdruck, der uns in Aussicht stellt, der Leseprozess werde einfacher , so wie die Waschmaschine Hemden bearbeitet – vielleicht wirklich ihre Nische finden. Auch werden sich diese Geräte eines Tages zum Multimediaalleskönner, Video, Texte, Musik entwickeln. Das können heutige Laptops und Notebooks auch alle schon. Aber keines dieser Geräte, je ausgetüftelter ihre Funktionen und ihre Software auch sein mag, ersetzt die traditionelle Recherche in den Bibliotheken und überhaupt in der Welt. Natürlich ist das Internet ein riesiger Vorratskasten mit tollen und viel zu vielen (beliebigen) Informationen, aber nutzen kann ein Student das nur, wenn er vorher gelernt hat, sich in einer Bibliothek zu bewegen. Ein Romanist, der eine Hauptseminararbeit schreiben will, kommt nicht viel weiter, wenn er noch nie was vom Regal mit den Personalbibliographien, vom Klapp, der Verzeichnisses der Rezensionen und allen sonstigen bibliographischen Hilfsmittel aber von Wikipedia gehört hat. Eine Abschlussarbeit über ein Werk von Albert Camus oder Honoré de Balzac oder Maria de‘ Medici benötigt kein Internet, weil es da schlicht nichts oder kaum etwas dazu gibt, außer so manchem nützlichen Hinweis auf bibliograpische Angaben, womit wir wieder beim Thema des ständigen Abschreibens wären. Mit solchen Verfahren kann man prima beobachten, wie immer die gleiche Sekundärliteratur zitiert wird und wie wenig Neugier am Werke ist.

Werden sich Seminarteilnehmner künftig darauf beschränken, auf die Glasscheibe ihrer Lesehilfe mit dem > Wikipedia-Eintrag zu Camus zu gucken, um zur Sitzung etwas beizutragen?

Die Lesegeräte werden sicherlich eines Tages seine Benutzer mit > Sozialen Netzwerken finden, denn gemeinsam liest sich es schneller. Textfunde können gebookmarkt werden und kreieren mehr oder weniger sinnvolle Links in alle Richtungen. Und Gelernter kennt durchaus die Vorteile des > elektronischen Schweifs, er sagt „leuchtender Schweif“, den das Buch, der Komet durchs Internet hinter sich herzieht. Das sind wertvolle Ergänzungen für Bücher, auf die wir gar nicht mehr verzichten wollen. Aber Buchlesen in elektronischer Form, wo soll den der > Autor nach der Lesung dann noch signieren?

Also, E-Books, werden Bücher nicht ersetzen, weil das Lesen dann schöner, schneller, interessanter, spannender, kurzweiliger, vielfältiger, aufregender oder einfacher wird, sondern weil es die Technik gibt. So wie beim TV, dessen Existenz sein wichtigster Grund ist.