Gestern abend im ICE von Köln nach Stuttgart fragte mich ein junge Frau, ob ich Kritiker sei? Ich würde so konzentriert lesen. Und für wen ich schreiben würde. Jetzt hat unser Blog bestimmt wieder eine neue Leserin. Auf dem Tisch lag Sven Hillenkamps Buch Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit. Ich bin keinesfalls mit allem, was er schreibt, einverstanden. Auch gibt es einige Wiederholungen, die in andere Betrachtungsweisen münden, also die doch zu der Form des Essays, die uns hier angeboten wird, dazugehören. Ich habe auch nicht auf die Seite von Sven Hillenkamp bei Klett-Cotta geguckt, um mir den Blick auf das Buch nicht verstellen zu lassen.
> Nachgefragt: Die unendliche Freiheit und das Ende der Liebe – 17. Oktober 2009
Es geht um die Liebe im Zeitalter der unendlichen Freiheit, und was die Liebe dabei aus uns macht, oder was wir aus ihr zu machen versuchen. Es geht um die Unmöglichkeit einer grenzenlosen Liebe, um all die unerfüllten Wünsche, um das ständige Weitersuchen, um Sex und um das Nachdenken darüber, wie man trotz vieler Erfahrungen und Sehnsüchte da ein wenig Ordnung, Kontinuität hineinbringen kann, soll oder muss, und ob das überhaupt noch möglich ist. Wie bei einem Krimi ist hier die Lösung nicht zu präsentieren und folglich auch nicht zu bewerten. Mit ihr bin ich nebenbei nicht einverstanden, ich hätte dem Buch einen anderen Schluss gewünscht. Aber man muss anerkennen, dass Hillenkamp das Thema von mehreren Seiten, eben wie das einem Essay angemessen ist, einkreist. Und das ist ihm gut gelungen. Und jetzt kommen wir zum zweiten Ansatz der Erklärung, um was es hier geht.
Es ist vielleicht gar ein autobiographisches Buch, da der Autor von einer oder seiner großen Liebe einmal wahnsinnig enttäuscht worden ist, oder das ist noch wahrscheinlicher und würde mit den Thesen in seinem Buch gut zusammenpassen, er ist von mindesten zwei großen Lieben sehr enttäuscht worden. Nr. 1 – pardon ich will sie nicht nummerieren, aber ich weiß nicht wie sie heißt – schien perfekt zu ihm zu passen: „die absolute Gleichheit des Partner“ ist „die größte Bedrohung“ (S. 236) warnt er. Nr. 2. war die totale Herausforderung, und der Autor nahm „Reißaus“ (ebd.) Also drückt das Buch eine Dauerklage über die Verflossenen und zugleich auch den Ärger des Autors über sich selbst aus, der künftig alles anders machen will, sich das alles aber erst ordnend von der Seele schreiben muss. Liebe wird auch unmöglich, so lautet die nächste These, weil man sich über den Anderen und seine Gefühle so schnell wie möglich klar werden will (vgl. S. 242), worin sich die Angst vor jeder Ungewissheit, die als Unfreiheit empfunden wird, ausdrückt. Und Hillenkamp spricht fast nur von den freien Menschen, die so hat er sie definiert, diejenigen sind, die an die Unendlichkeit glauben. „Sie leiden,weil sie hinter den unendlichen Möglichkeiten zurückbleiben.“ (S. 47) Sie sind von ihrer Arbeit „enttäuscht“ (S. 48). Diese Bewertung von > Freiheit muss man nicht verstehen, obwohl mir schon klar ist, dass Sartre die unbedingte Freiheit des Menschen auch als den Ausgangspunkt seiner Unaufrichtigkeit (mauvaise foi), (L’être et le néant, 1943)man könnte sagen als Quell allen Übels versteht oder gar beklagt.
Es gibt viele Sätze, die eine Aphorismenform haben, nicht weil sie nicht in den Zusammenhang passen, sondern weil sie sich für Zitate eignen, aber doch als Thesen explizit für den Fortgang des Essays formuliert wurden: „Auch die Menschen, die nicht in Wirklichkeit mehrere Partner haben, haben im Bewusstsein mehrere Partner gleichzeitig.“ (S. 32) – „Die Geschwindigkeit der Menschen in der Freiheit ist die Geschwindigkeit des freien Falls.“ (S. 35) Sehe ich auch anders. Der Satz über die Menschen ohne Eigenschaften, aus denen einen Welt ohne Eigenschaften geworden sei, (S. 45) klingt doch sehr nach Ulrich und Robert Musil und illustriert möglicherweise den eigenen Ärger oder das Empfinden des Autors über sich und Nr. 1 oder 2. Und dies spricht für meine zweite These hinsichtlich des Inhalts dieses Buches: „Jede Abbruchshoffnung ist begleitet von furchtbarer Abbruchsangst.“ (S. 86)
Hillenkamps Bemerkungen über Öffentlichkeit und Privatheit erinnern an Richard Sennetts Buch Der Tod der der Öffentlichkeit und der Terror der Intimität, das in der Originalausgabe viel besser The Fall of Public Man heißt.
Gucken sie mal unter den Umschlag. =>
Stimmt es, dass die freien Menschen immer weiter suchen? Und was ist mit dem Satz „Sex ist heute der Wartesaal der Liebe“? (S. 190) Und dann kommt Hillenkamp auf die Sache mit den Matchingpunkten, mit der die Onlinebörsen das perfekte und glückliche Zusammenpassen versprechen. Früher wollte man gemeinsam eine Existenz aufbauen, heute vergleicht man Existenzen miteinander , lautet Hillenkamps Schlussfolgerung und kommt zur Gleichheitsenttäuschung (S. 211) und erwähnt die Angewohnheit „alles als eine Eigenschaft des Selbst wahrzunehmen“ (S. 216).
Seine Beispiele aus der Literatur (Nachweise, S. 310 f.), aus > Madame Bovary, aus Goethes Werther begleiten seine Überlegungen in dem Kapitel Die Suche nach dem Passenden. „De l’amour“ (1822) von Stendhal und seine Erklärung des „point de cristallisation“ hätte ich auch zitiert, und vielleicht auch Senancours De l’amour selon les lois primordiales et selon les convenances des sociétés modernes, Paris 3/1829: „Pour que l’union soit bonne, il faut que les êtres soient semblables, et différens.“ (S.11)
Einen Teil der Lösung deute ich mal: Die Menschen, so Hillenkamp, entdecken erst, dass sie unfrei sind. (vgl. S. 253) Stehen sie sich wirklich selbst im Weg? Dann passt ja wieder das, was Roquentin am Ende von „Der Ekel“ (1938) sagt, sein neues Buch müsste so hart wie Stahl sein, dass es den Lesern wegen ihrer Existenz die Schamröte ins Gesicht treibt.“ Sie sollen an ihre verpassten und noch nicht wahrgenommenen Möglichkeiten denken.
Und Hillenkamp sagt auch „Lieben könnten sie dagegen nur das lieben, was sie nicht gesucht haben…“ (S. 258) Und dann ist da noch die Zeit, die unaufhörlich an der Freiheit des Menschen kratzt. (S. 282).
Genug. Ich freue mich auf ein Gespräch mit Sven Hillenkamp, um nachzufragen, vielleicht verrät er mir, welche der ersten beiden Interpretationen, die hier eingangs versucht wurden, die richtige ist. Ich werde ich auch fragen, wieso er gegen Ende seines Buches plötzlich zur Ich-Form kommt.
Als Essay finde ich sein Buch echt spannend, weil es ganz anders als Partnerbücher, wichtige Fragen stellt, die auch ein sich als total harmonisch empfindendes Paar vielleicht doch ganz unterschiedlich beantwortet. Denn die Übereinstimmung, die Hillenkamp nennt, ist ein Modell, die gibt es gar nicht.
Sven Hillenkamp
Das Ende der Liebe
Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit
1. Aufl. 2009
311 Seiten
ISBN: 978-3-608-94608-6