Ein Hoch auf die Melancholie

Eric G. WilsonEric G. Wilson, Jahrgang 1967, ist Professor für Englische Literatur an der Wake Forest University in Winston-Salem, North Carolina. Er hat mit seinem Buch > Unglücklich glücklich ein Loblied auf die („europäische“ – das kommt vom Verlag: der Originaltitel lautet klar und präzise: „Against Happiness. In Praise of Melancholy“) Melancholie und eine scharfe Kritik der American Happiness geschrieben. Wieder ein Ratgeberbüchlein, jedenfalls lag der Band auf meinem Stapel nicht gerade obenauf. Beim Durchblättern hat mich aber die ausführliche kommentierte Bibliographie, mit der Wilson seine Leseschätze erklärt und beschreibt, auf seinen Essay aufmerksam gemacht. Schon das Nachlesen der Quellen, die Wilson angibt, machen seinen Band zu einer kleinen und spannenden Literaturgeschichte.

85 % der Amerikaner sagen, sie seien glücklich – unter „Vernachlässigung der Traurigkeit“, wie Wilson findet. Das alleinige Streben nach Glück führt zu „unrealistischen Abstraktionen“ (S. 13) und zu einem Realitätsverlust. Und er klagt die amerikanische Kultur an, die die Melancholie als eine „Regelverletzung“ (S. 15) behandelt. Und Wilson vermutet: „Der American Dream ist womöglich ein Alptraum.“ (S. 16) Benjamin Franklin, > The Way to Wealth (*.pdf) versuchte, seinen Landsleuten einen ertragreichen Gebrauch ihrer Zeit einzutrichtern: „Eine solche Kontrolle über die Uhr sollte jedes Tick und Tack in Besitz verwandeln.“ (S. 21) Und Wilson klagt, dass der amerikanische Blick den Wald nur als Ressourcenlager, nicht aber in seiner Schönheit wahrnehmen kann. Aber die alleinige Suche nach Glück und Besitz macht blind. Und > Ralph Waldo Emerson ist einer von vielen Autoren, mit deren Werken Wilson die Wiederentdeckung der Melancholie propagiert. Emersons Essay > Exprience in: > Essays: Second Series, 1844, zeigt „ein Gespür für das vitale Zusammenspiel der Gegensätze“ (S. 34).

Selbstzufriedenheit, Glücksempfinden, der Verlust der Traurigkeit können auch politische Folgen haben. An einer Stelle fragt Wilson, ob diese „ihre krasse, erbärmliche Zufriedenheit mit sich un der Welt“ zu einem vor wenigen Jahren begonnenen Krieg geführt hat, der niemals hätte stattfinden dürfen?

Und Wilson nennt auch John Keats mit seiner > Ode on Melancholy, 1819:

„No, no, go not to Lethe, neither twist
Wolf’s-bane, tight-rooted, for its poisonous wine;
Nor suffer thy pale forehead to be kissed
By nightshade, ruby grape of Proserpine;
Make not your rosary of yew-berries,
Nor let the beetle nor the death-moth be
Your mournful Psyche, nor the downy owl
A partner in your sorrow’s mysteries;
For shade to shade will come too drowsily,
And drown the wakeful anguish of the soul.
(…)“

Ohne Wilson hätte ich > John Keats nie entdeckt.

„Melancholie versetzt uns in die Lage, Schönheit zu erfahren,“ heißt es bei Wilson, und damit leitet er ein langes Kapitel über Künstler und ihre Krankheiten ein. Nun, Krankheiten hat jeder, nur wird denen von Künstlern mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Natürlich lauerte ich bei der Lektüre dauernd darauf, ob auch die persönlichen Missgeschicke der Künstler genannt werden, die diese zur Inspirationsquelle für ihre Werke gegen jeden Trend gemacht haben, wie > Sartre dies in vielen Porträtstudien gezeigt hat. Aber auch Sartres „mauvaise foi“, die Unaufrichtigkeit, mit der die Menschen gerne die Realität meist zugunsten des eigenen Wohls umgehen, kommt hier nicht vor. Aber man soll ja auch nicht immer nur danach suchen, was hinreichend bekannt ist. Das Nachlesen von Wilsons Quellen führt den Leser auf ganz neue Pfade. Wilson hat kein Ratgeberbüchlein, sondern einen intelligenten Essay verfasst, in dem er das Glücksstreben umkreist und prüft und seine Defizite und Gefahren offenlegt, um mit Hilfe der Literatur die Melancholie als notwendige Ergänzung des Glücks zu empfehlen.

Eric G. Wilson
> Unglücklich glücklich
Von europäischer Melancholie und American Happiness
Aus dem Amerik. von Susanne Held (Orig.: Against Happiness. In Praise of Melancholy)
Auflage: 1. Aufl. 2009
198 Seiten
ISBN: 978-3-608-94113-5