Ulrike Ackermann hat ein Plädoyer für eine radikale Aufklärung verfaßt, das jetzt unter der Überschrift > Eros der Freiheit bei Klett-Cotta erschienen ist.
Sie hat eine interessante Darstellung der Freiheit mit ihren Fallstricken und Chancen vorgelegt. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum aber auch an Studenten und Schüler, die hier viele Anregungen z.B. für Referate finden werden. Das Buch könnte auch ein Seminar begleiten, in dem die einzelnen Kapitel als Themen abgehandelt werden – und ist wahrscheinlich auch so entstanden?
„Taugt unsere Zivilisationsgeschichte [noch als, w.] Erfolgsmodell?“ fragt sie und verweist im > Prolog auf die Freiheitsmüdigkeit der Bürger. Ihr Essay behandelt die Potentiale der Freiheit aber auch ihr Dilemma, das sich in der Sehnsucht nach und in der Angst vor Freiheit ausdrückt. Es geht um den Eros, den die Vernunft nicht in den Griff kriegt, und der die Freiheit nutzt, um Gutes und Böses anzurichten. (vgl. S. 10) Dieses Doppelgesicht der Freiheit ist das eigentliche Thema ihres Buches. Aus ihm leitet sie die Kritik am Zustand unseres Gemeinwesens ab, aus ihm liest sie unsere nicht immer verfolgten Chancen. „Gottvater Staat“ wird es wohl richten, meinen heute immer noch zu viele, und die Politiker nutzen dieses Gott- oder Staatsvertrauen gerne aus und begnügen sich mit halbherzigen Reformen. Nicht aus der Demokratie, sondern aus dem Sozialstaat beziehen die Deutschen ihre Identität, (vgl. S. 17) lautet eine These der Autorin, mit der sie auch auf die Entmündigung des Bürgers verweist. (vgl. S. 27, bes. S. 31-36): „Indem die Bürger die zunehmende Verrechtlichung privater Freiräume akzeptieren, billigen sie dem Staat die Rolle des Tugendwächters und intervenierenden Pädagogen anstandslos zu,“ so lautet ihr Urteil.
Unter den Überschriften „Renaissance des Religiösen“ und „Herausforderung Islam“ stellt sie kritische Fragen hinsichtlich der geduldeten Abschottung der muslimischen Minderheit, die hierzulande mit jedem Bau einer Moschee zunimmt. In diesem Zusammenhang erinnert sie auch an Ayaan Hirsi Ali und ihre Warnungen vor „der schleichenden Scharia in Europa“ (S. 51): Ackermanns Erklärungen sprechen eine deutliche Sprache: „Ein tiefsitzendes Schuldgefühl angesichts der europäischen Kolonialgeschichte speist den Multikulturalismus und schürt die westlichen Selbstzweifel, die sich bis zum Selbsthaß steigern und die eigenen Werte und Traditionen radikal in Frage stellen.“ (S. 57)
Besonders interessant finde ich ihre Kapitel „Die Wiege der individuellen Freiheit“ und die folgenden, in denen sie die historische Entwicklung der Freiheit ausgehend von Aristoteles über die Renaissance und die Aufklärung bis heute skizziert. Das ist eine gedrängte und zugleich präzise Geschichte der politischen Ideen, die auch wegen der vielen Parallelen zu heutigen Intellektuellen sehr lesenwert ist. Jeder freut sich, wenn seine Denker auch genannt werden, wenn diese fehlen, sollte man sich für die Werke aller anderen aber auch interessieren, die Ackermann nicht ohne Grund als ihre Gewährsleute nennt. Bei ihrem Ansatz, die Entwicklung der Freiheit in einer historischen Perspektive zu zeigen, muß > Jean-Paul Sartre nicht unbedingt genannt werden, wenn es aber um die Chancen und die Angst geht, die die Freiheit mit sich bringt, dürfte sein Werk allerdings nicht fehlen.
Im „Kapitel „Praktische Umsetzung und Ernüchterung“ erzählt Ackermann, wie die Revolutionäre in Frankreich mit der Freiheit umgingen und wie ihre Tugendwächter den Bogen überspannten. Mit ihrem sehr klaren Überblick über die politischen Gruppierungen dieser Epoche zeigt sie, wie wir „das Dilemma zwischen politischer und individueller Aufklärung“ (S. 100) von der Aufklärung geerbt haben, d. h. mit der Aufklärung ist die „abgründige Seite der Vernunft abhanden gekommen“ (S. 102). Nur wenn der Blick auf das Individuum seine „rationale und irrationale“ (S. 153) Seite umfaßt, kann der Kampf um die Freiheit erst wirklich verständlich werden. Erst dann sieht man, daß die Freiheit in unserer Zeit immer in Gefahr ist, wegen der Angst vor ihr nicht gesehen und nicht wahrgenommen zu werden. In Ackermanns schönen Worten: „Eros… wird überrumpelt von Bänglichkeit.“ (S. 156) Es ist wahrlich ein Plädoyer, was die Autorin verfaßt hat. Und sie nutzt in vollem Ausmaß das historische Wissen, die Geschichte, um unseren Standort und unsere nicht ausgeschöpften Möglichkeiten zu demonstrieren.
Am nächsten Dienstag, 14.10. 2008 um 20.00 Uhr, wird Ulrike Ackermann im Literaturhaus in Darmstadt ihr Buch vorstellen.
Darmstadt: Buchmessenabend: Lesung und Gespräch
Massimo Carlotto liest im Rahmen des Buchmessenabends aus Die dunkle Unermesslichkeit des Todes,
Ulrike Ackermann stellt ihr neues Buch > Eros der Freiheit – Plädoyer für eine radikale Aufklärung vor.
Im Anschluss findet ein Gespräch mit Tom Kraushaar über den Verlag Klett-Cotta und sein Imprint Tropen statt.
Literaturhaus Darmstadt, Kasinostr. 3, 64293 Darmstadt
> Ackermann, Ulrike
> Eros der Freiheit. Für eine radikale Aufklärung
1. Aufl. 2008, 168 Seiten
ISBN: 978-3-608-94305-4
Ebenfalls von Ulrike Ackermann ist bei Klett-Cotta erschienen:
> Sündenfall der Intellektuellen. Der deutsch-französische Streit nach 1945
Mit einem Vorwort von Francois Bondy, 1. Aufl. 2000, geb. mit Schutzumschlag, zahlr. Abb., 267 Seiten, ISBN: 978-3-608-94278-1
Preis EUR [D] 20.00* / SFr 38.70*