Zu Recht hat diese Biographie den Untertitel Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen erhalten. Erzählt wird seine militärische Laufbahn, seine Ausbildung zum Jagdflieger, viele Details seiner Luftkämpfe, in deren Verlauf er 80 gegnerische Flugzeuge abgeschossen hat, bevor er am 21. April 1918 selbst nach seinem Abschuß den Tod fand.
Noch immer gibt es in bezug auf die Person Richthofen „einen grassierenden Positivsmus“, der aber die Kernfrage unberücksichtigt läßt: „Wodurch wurde Richthofens ungeheuerliche Motivation in seinem Wesenskern letztendlich gespeist?“ (S. 21) Kreise, die Richthofen weiterhin als „‚Ritter der Lüfte'“ feiern wollen, müssen, so der Autor in seinem 1. Kapitel, nicht weiterlesen, bestehe doch die Gefahr, dass die Lektüre seines Buches das überlieferte Richthofen revidieren wird.
Die Frage ist also, was „Heldentum“ mit dem Offizier „Manfred von Richthofen“ zu tun haben könne, der während des Ersten Weltkriegs mit einem rot angestrichenen Jagdflugzeug feindliche Flugzeuge abschoß? Castan geht in seinem Buch der Frage nach, wie Richthofen zum „Helden“ gemacht wurde, wer sich seiner Geschichte bediente, und warum der Mensch Richthofen darüber vergessen wurde. (S. 26)
Die Ausbildung zum Offizier geht für Richthofen in den Ersten Weltkrieg über. Er befreit sich aus dem Stellungskrieg um Verdun durch seinen Eintritt in die Fliegertruppe. 1915 ist Flugbeobachter, darf 15 Flugstunden absolvieren. Es folgt ein Schnellkurs im Fliegen, den er in Großenhain bei Dresden absolviert, und er darf abheben an der Ostfront fliegen und Feindaufklärung betreiben. Ab März 1916 gehört er zur 8. Kampfstaffel des 2. Kampfgeschwaders bei Verdun. das erste Flugzeug schießt er am 26. April 1916 ab. Immer wieder fährt Richthofen nach einem Abschuß zu den Absturzstellen, um sich die Kennungen aus der Bespannung zu schneiden, mit denen er sein heimatliches Jugendzimmer schmückt. Um die Jahreswende´1917 kommt er auf die Idee, sein Flugzeug ganz unmilitärisch rot zu lackieren. Im Verlauf der folgenden Monate werden seine Flugzeuge immer wieder ausgewechselt und umgebaut, technisch verfeinert. Die Propagandamaschine des Kaiserreichs schweigt nicht und bringt das Bild Richthofens millionenfach als Postkarten und Zeitungsbilder unters Volk und schafft so den Richthofen-Mythos.
Am 6. Juli 1917 wird er abgeschossen. Seine Kopfverwundung hinterläßt ihre Spuren auch in seinem Verhalten, was Castan durch seine Schilderungen unterstützt. Als er im Februar 1918 den Fockker-Dreidecker erhält, haben die Deutschen ihre Lufthoheit längst verloren. Was folgt sind Rückzugsgefechte mit dem steigenden Verlust von Menschenleben und hohem Materialeinsatz. Am 20. April schießt er sein 80. und letztes Flugzeug ab. Schon 1917 erscheint in seinen Berichten sein Wunsch, abgeschossene Gegner brennend abstürzen zu sehen: „Wie kann man einen solchen Sadismus psychologisch erklären?“ fragt Castan und deutet dies so: „Hinter diesem durchgedrehten Verhalten stand – psychologisch gesehen – die panische Angst, einmal selbst den grausamen Flammentod zu erleiden.“ (S. 231) Alle Erklärungsversuche auch die verstreuten Geschichte über seine Ritterlichkeit dem Feind gegenüber helfen nicht weiter. Castan: „Auch Richthofens Manie, den Gegner möglichst in Flammen abstürzen zu lassen und auch seine Kameraden auf diese Methode ‚abzurichten‘, kann als ein trauriger Endpunkt einer seelischen Entmenschlichung angesehen werden.“ (S. 231)
Am 21. April 1918 wird er abgeschossen. Die Umstände sind nicht genau geklärt, möglicherweise wurde er durch einen Herzschuß getötet. Ende 1918 war der Richthofen-Mythos weitgehend verschwunden. Im November 1925 werden seine sterblichen Überreste auf dem Berliner Invalidenfriedhof beigesetzt. „Postume Heldenkulte, 1919 bis heute“ ist das vorletzte Kapitel überschreiben, da letzte Kapitel „Richthofen – Held, Mensch und Mythos“ erinnert an seinen „alles dominierenden Jagdinstinkt“, der in der Wahl des Ziels die Unterschiede zunehmend vergaß.
Castans Biographie ist eine spannend erzählte Zeitgeschichte, die ein individuelles Schicksal beschreibt, wie Richthofen in die Ereignisse hineingezogen wird, mit wem er Kontakt hat, welchen Vorbildern er selber nacheifert und wer von dem Mythos des unbesiegbaren Helden und Jagdfliegers profitiert hat. Eine nüchterne Betrachtung, so wie Castan sie verfaßt hat, kann den Wahn des Heldentums nicht erklären, aber zumindest zeigen, wie man während des Ersten Weltkriegs und danach aus blutigen Kriegstaten, wenn man die Person selber vergißt, Heldentaten machen konnte.
Joachim Castan
> Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen
Rezension:
> Kratzer am Mythos des Roten Barons SPIEGEL online