Es gibt keine europäische gemeinsame Initiative für ein europäisches Gedenkjahr 2014, das den Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Erinnerung ruft.
Im November vergangenen Jahres hat Präsident Hollande das
> Gedenkjahr 1918-2014 eröffnet. Gleichzeitig ist eine Website zu diesen vier Gedenkjahren freigeschaltet worden: > 14-18 Mission-Centenaire, die auch auf deutsch angeboten wird > 14-18 Mission-Centenaire dt..
Sitographie und Bibliographie zum Ersten Weltkrieg >>
Auch 100 Jahre nach dem Beginn dieser entsetzlichen Katastrophe lohnt es sich, die Ereignisse, die 1914 zum Kriegsausbruch führten aus dem Blickwinkel der betroffenen Kriegsteilnehmer zu betrachten. > Jean-Noël Jeanneney, der frühere Direktor der Nationalbibliothek in Paris, der auch dem Gedenkjahr zur Französischen Revolution 1989 vorstand, hat in Frankreich eine Fotoband zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht. Die Website > 14-18 Mission-Centenaire dt. dokumentiert auch die deutsche Sicht auf den Weltkrieg > Der 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs in Deutschland. Auf der Website der Bundesregierung steht bis jetzt nur ein Film (über Youtube): > 1914 – 2014: 1. Weltkrieg – heute darüber nachdenken?. Der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta hat in seiner Biographie > Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. Siedler, München 2007, gezeigt, wie Paul von Hindenburg vor dem Hintergrund der Ereignisse des Ersten Weltkriegs seine politische Karriere begründen konnte. Die Untersuchung von Adam Hochschild, > Der Große Krieg. Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg, die Klett-Cotta in der Übersetzung von Hainer Kober vorgelegt hat, stellt die Geschichte des Ersten Weltkriegs aus einer europäischen Sicht vor und stellt dabei britische Protagonisten in den Vordergrund. Hochschild ist es gelungen, eine spannende Darstellung dieser viereinhalb Jahre zu verfassen, die die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert mit so weitreichenden Folgen geprägt hat. Man muss immer wieder daran erinnern: 35 Prozent der deutschen Männer, die 1914 zwischen 19 und 22 Jahre alt waren, erlebten das Kriegsende nicht mehr. Auf französischer Seite fielen die Hälfte der Männer, die bei Kriegsbeginn zwischen 20 und 32 Jahre alt waren. (vgl. S. 10)
> „1914 – Versagen der Diplomatie“: Paneldiskussion im Auswärtigen Amt, 28. Januar 2014 via Frank-Walter Steinmeier auf Facebook
> Grußwort von Außenminister Steinmeier zur Veranstaltung „1914 – Versagen der Diplomatie“ – Website des Auswärtigen Amts
Frank-Walter Steinmeier , > 1914 – Vom Versagen und Nutzen der Diplomatie – Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Januar 1914
> WebPortal Europeana 1914-1918 – Seit 29.1.2014
1897 wird das 60. Thronjubiläum Königin Viktorias gefeiert. Großbritannien ist auf dem Zenit seiner Macht, sein Staatsgebiet umfasst ein Viertel der Erde. (vgl. S. 22) Man kennt die Berichte der Zeitgenossen von damals, und man erinnert sich an Fotos der losziehenden Soldaten. Alle glaubten, zur Ernte wieder zu Hause zu sein. Nur wenige konnten sich vorstellen, welch ungeheures Gemetzel z.B. im Stellungskrieg in Nordfrankreich Hunderttausende das Leben kosten würde. Keiner konnte vorhersehen, dass mit diesem Massaker das alte Europa untergehen würde. Niemand ahnte die entsetzlichen Auswirkungen von Giftgasen, von deren Einsatz man sich Geländegewinne versprach, einige hundert Meter, die schnell wieder verloren gingen. Die britische Sicht auf den Krieg, die Hochschild einnimmt (vgl. bsds. S.16 f.), ist ein großer Vorteil für diese Untersuchung, in der auch Einzelschicksale als Kriegsteilnehmer und Kriegsgegner, der Riß ging durch durch Familien, sehr eindrucksvoll erzählt werden. Hochschild erzählt auch, wie Intellektuelle und Schriftsteller sich zu Propagandisten für den Krieg machen ließen. Er berichtet von den Befürwortern des Krieges (u.?a. Rudyard Kipling, H. G. Wells, Conan Doyle und John Galsworthy) wie von der allmählich wachsenden Zahl der Kriegsgegner.
Hochschild erzählt die Erfindung von Hiram Maxims Maschinengewehr (vgl. S. 39), das schon ab 1884 500 Schuss pro Minute verschießen konnte. 1914 haben auch die Truppenführer noch nicht seine verheerende Wirkung und die fruchtbaren Verluste der Infanterie vorhergesehen. Sir John French war 1907 zum Generalinspekteur ernannt worden. Erst als der Krieg immer länger dauerte begann er allmählich einzusehen, dass es für die berittene Kavallerie keine Perspektiven mehr gab. Neben den vielen Einzelschicksalen erzählt Hochschild, die Geschichte der Bündnissysteme vor 1914 (Vgl. S. 70f), deren Schutzfunktion mit den sich gegenseitig überbietenden Kriegserklärungen 1914 einfach in sich zusammenbrach.
In die Geschichte hat Hochschild auch die Biographie von Keir Hardie, dem Mitbegründer der Independant Labour Party, eingewoben. Als der Aufstand in Irland begann, vernahm man die Ende Juni die Nachricht von der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand von Österreich-Este und seiner Frau Sophie in Sarajewo am 28. Juni. Zunächst wurde diesem Doppelmord in England keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. „Die Eigendynamik der Mobilmachungen und Ulimaten war nicht mehr aufzuhalten…“ (S. 125) Österreich-Ungarn erklärte am 28. Juli Serbien den Krieg, am 3. August erklärte das Deutsche Reich Frankreich den Krieg, am 4. August erklärte Großbritannien Deutschland den Krieg… Nach anfänglichen Erfolgen kamen die Deutschen bis auf 37 km an Paris heran. (vgl. S. 168) Die Franzosen drängten sie – das Wunder an Marne mit vielen hundert Paris Taxis für den Truppentransport – auf 70 km zurück. Bald darauf erstarrte die Front in einem zermürbenden Grabenkrieg, den > Ernst Jünger in seinem > Kriegstagebuch 1914–1918 oder In Stahlgewittern geschildert hat. Bis Ende 1918 bewegte sich die Front manchmal nur um ein paar hundert Meter hin und her, die Granatrichter pflügten das Land mehrmals um.
Hochschilds Buch hatten den großen Vorzug, die Art und Weise, wie in England die öffentliche Unterstützung zugunsten des Krieges mobilisiert wurde, in allen Einzelheiten zu schildern. Am Anfang des Krieges wurden Nachrichten von der Front wie so oft mit Erfolgen, die sich bald in Nichts auflösten geschönt. Die hohen Verluste führten 1916 in England zur Einführung der Wehrpflicht (vgl. S. 239), der Widerstand wurde verschärft.
Mit der Parallelbiographie eines Geschwisterpaars, des Feldmarschalls John French und der Frauenrechtlerin Charlotte Despard gelingt Hochschild ein Meisterwerk, Ereignisgeschichte verbunden mit der Militärgeschichte und der Geschichte der politischen Ideen bewirken ein Spannung, die in Büchern zum Ersten Weltkrieg ihresgleichen sucht.
Und immer wieder neue mörderische Schlachten, in denen sich die traditionelle Militärtaktik als überholt erweist. Beinahe soll, als wenn die Technik der menschlichen Beherrschung entglitten wäre. Der Aussicht, ein wenig Gelände zu erobern fallen Tausende zum Opfer. Keine Seite will von den großen Verlusten reden, sondern lobt Tapferkeit und Kühnheit der eigenen Soldaten. (Vgl. S. 271) Nicht in Nordfrankreich wird gekämpft, deutsche U-Boote versenkten 5282 Handelsschiffe (vgl. S. 284), auch im Kaukasus fielen womöglich anderthalb Millionen Armenier den Türken zum Opfer. (vgl. S. 257) Den Wahnsinn beenden? Könnte ein Superwaffe den Durchbruch bringen? Die ersten langsamen und schwerfälligen Panzer tauchten auf. Die Medien in den am Krieg beteiligten Staaten bekamen eine neue Rolle im Rahmen der Kriegsgpropaganda. In England wurde die Battle of Somme mit 100 Kopien noch vor Ende der Schlacht in die englischen Kinos gebracht. (vgl. S. 297)
Mit seiner Darstellung stellt Hochschild implizit die Frage, ob es Europa und der Welt künftig gelingen wird, eine Wiederholung dieser Geschichte zu vermeiden?
Klappentext: „Der Erste Weltkrieg bleibt die Chiffre für den ewigen Wahnsinn von Kriegen. Warum gerieten so viele Nationen in einen Rausch der Gewalt? Warum über vier Jahre sinnloses Massensterben? Warum setzten sich kühlere Köpfe nicht durch? Ein fesselndes Buch, das Ereignisgeschichte und große Porträtkunst meisterhaft verbindet.“
Adam Hochschild wurde 1942 in New York City geboren. Er lehrt an der Graduate School of Journalism der University of California, Berkeley. Er lebt als Autor und Journalist in San Francisco und schreibt im »New Yorker«, in »Harper?s Magazine «, »The New York Review of Books«, »The New York Times Magazine«, »Mother Jones« u. a. m. Seine Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt und gewannen zahlreiche Preise, u. a. den Preis des World Affairs Council und der Society of American Travel Writers. »Schatten über dem Kongo« erhielt 1998 die Goldmedaille des California Book Awards für Nonfiction.
Adam Hochschild
> Der Große Krieg. Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober (Orig.: To End All Wars. A Story Of Loyalty And Rebellion, 1914-1918)
2. Aufl. 2013, 525 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, mit zahlreichen Fotos und Illustrationen im Tafelteil, Landkarten und Lesebändchen
ISBN: 978-3-608-94695-6