> Vortrag und Diskussion: Gerhard Schweizer, Syrien verstehen und 2 x Nachgefragt… 24. Februar 2017
Gerhard Schweizer erweitert nach > Syrien verstehen seine Reihe mit dem Band > Islam verstehen. Eigentlich müsste der Band Christentum und Islam verstehen heißen, da Schweizer auch über die Geschichte des Christentums berichtet, insoweit wie sie notwendig ist, um Parallelen, Gegensätzen, gemeinsame Voraussetzungen und Trennendes zwischen ihnen zu erläutern. Da aber doch wieder „Geschichte, Kultur und Politik“ des Islams im Vordergrund stehen, passt der Titel, der eine spannende Lektüre für Neugierige verspricht, die über die Unterschiede zwischen Islam und Islamismus, Sunniten oder Schiiten mehr erfahren wollen.
Schweizer ist ein vorzügliches Buch gelungen, das Grundlagen vermittelt, historische Zusammenhänge sachgerecht erläutert und dazu beitragen könnte, die Diskussion um den Islam zu versachlichen. Schweizer verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz, den er auf seinen Reisen durch die islamische Welt angesammelt hat. Er berichtet über Begegnungen und Ansichten seiner Gesprächspartner. Seine Darstellung hat auch den Vorteil sich auf viele nachprüfbare Quellen zu stützen, zu denen Sachbücher wie auch Werke der Literatur zählen.
Vor seinem Vortrag über Syrien am 23. Februar 2017 hatten wir ein Gelegenheit, Gerhard Schweizer nach seinem Buch > Islam verstehen zu befragen:
Nach der Lektüre orientieren wir unseren Lesebericht an dem Inhaltsverzeichnis des Buches: „Feindbilder – Klischees und Wirklichkeit“: „Den Islam gibt es nicht,“ (S. 17) schreibt Schweizer, „Gegenseitige Vorurteile“, „Was Christen und Muslime gemeinsam haben“ lauten die Überschriften der einleitenden Kapitel, von denen der Abschnitt „Was Christen und Muslime gemeinsam haben“ (S. 44-49) Hinweise auf gemeinsame Wurzeln des Islam und des Christentums enthält, wie Mohammed „die Traditionskette der ‚wahren‘ Propheten von Abraham über Moses noch über Jesus hinaus: zu sich als dem letzten, Höchsten Gottesboten“ (S. 47) verlängert.
Dem Kapitel „Die Zweiteilung der der Menschheit in Gläubige und Ungläubige“ das zugleich auch die Grenzen der islamischen Toleranz (S. 92-95) zeigt, folgt das Kapitel „Als der Islam über das Christentum triumphierte“. Schweizer erinnert daran, dass „Muslime über viel Jahrhunderte hinweg um Vieles toleranter und weltoffener waren als Christen,“ (S. 99) und berichtet über den bemerkenswerten kulturellen Aufschwung im 9. Jh. in den muslimischen Metropolen mit öffentlichen Schulen und Bibliotheken, während im christlichen Abendland noch bis ins 12. Jh. 95 % der Bevölkerung Analphabeten gewesen seien. (vgl. S. 98). Die Muslime wussten, wie sie das Erbe der griechisch-antiken Kultur weiterentwickeln konnten: (vgl. S. 102) Aber erst im Zeitalter der Aufklärung ist im Abendland eine Toleranz entstanden, die die der Muslime übertraf, (vgl. S. 540), nämlich des säkularen Staates.
John Freely
> Platon in Bagdad
Wie das Wissen der Antike zurück nach Europa kam
„Mit dem Islam kam ein Schatz zurück nach Europa: das verlorene Erbe der griechischen Antike.
Ein Who is Who der Denker, Sterndeuter und Naturforscher: von den griechischen Anfängen über die Blütezeit der islamischen Gelehrsamkeit bis ins frühneuzeitliche Westeuropa.“ Klappentext
Aus dem Englischen von Ina Pfitzner (Orig.: Aladdin’s Lamp)
4. Aufl. in dieser Ausgabe 2015, 389 Seiten, broschiert, mit 28 Abbildungen und 2 Karten
ISBN: 978-3-608-94913-1
Dann folgt wieder der Blick zum Westen. Die islamische Toleranz hatte auch ihre Grenzen, „Christen als ‚irrende Schriftbesitzer'“ gehören zu den Stichworten in diesem Abschnitt: Die moderne Toleranz und ihre Vorläufer mit einer Interpretation der Ringparabel in Lessings Nathan der Weise. Zunächst nahm der Islam Impulse auf, bewahrte aber doch Grenzen: „Fortschritt und Rückschritt im Islam.“ Das Verharren des Islam in ganz konservativen Vorstellungen wird mit dem nächsten Kapitel „Kriege der Konfessionen unter den Muslimen“ erklärt. Die Gegensätze zwischen Sunniten und Schiiten gibt es seit dem 8. Jh. (vgl. S. 177): Auslöser war die Nachfolge im Amt Mohammeds. Jeder, der Araber und eine guter Muslim sei, schien den Sunniten als Kalif geeignet zu sine: Sunna = „herkömmlicher Weg“. Andere hielten dafür, nur ein Blutsverwandter des Propheten könne sein Nachfolger werden: also Abi ibn Abi Talib, der Gatte der Tochter Fatima des Propheten. Schiiten <= Schia „Partei“. Zudem bevorzugen Sunniten nur den Koran und Mohammeds mündlich überlieferten Aussagen Mohammeds, während die Schiiten zur Korandeutung auch die Aussagen des Kalifen Ali und seines Sohns hinzuziehen. Alle weiteren Gegensätze, die sich daraus entwickelte, tragen bis heute zu den politischen und sozialen Spannungen in der islamischen Welt bei, so auch in den letzten Jahren im Irak.
Im 16. Jahrhundert stießen Katholiken und Protestanten zusammen und lieferten sich einen erbitterte Krieg: „Krieg der Konfessionen unter Christen“. Die Abschnitte „Spaltungen im frühen Christentum“, „Katholizismus und Protestantismus“ bis zum Nordirland-Konflikt (S. 191-209) enthalten eine spannende Darstellung der Reformation und ihrer Bedeutung bis heute.
Tom Holland,
> Im Schatten des Schwertes
Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreichs
„Tom Holland erzählt den erstaunlichen Aufstieg der Araber im 7. und 8. Jahrhundert n. Chr. zu einer imperialen Macht. Mit stilistischer Brillanz und historischem Scharfsinn schildert er die ungeheure Dynamik, mit der der Islam in religiös-politischen Konflikten mit Juden und Christen die antike Welt von Grund auf veränderte.“ Klappentext
Aus dem Englischen von Susanne Held (Orig.: In the Shadow of the Sword)
3. Aufl. 2013, 532 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 16 S. farbiger Tafelteil, 9 Karten
ISBN: 978-3-608-94380-1
Abtrünnige werden im Islam nicht geduldet. Sie werden auch heute noch bestraft: „‚Abtrünnige‘ und ‚Ketzer‘ im Islam“. „Religiöse Minderheiten als Prüfsteine der Toleranz“: Hier geht es u. a. um „Die Vertreibung der Muslime aus dem christlichen Spanien“, es folgen weitere Kapitel über die Situation der Christen in Saudi-Arabien, im Libanon, in Ägypten, in der Türkei und im Sudan.
Es folgt noch ein eigenes Kapitel über die Juden unter muslimischer und christlicher Herrschaft und zur Geschichte ihrer leidvollen Unterdrückung, die schon im 4. Jh. mit Texten wie von Johannes Chrysostomos, Patriarch von Kontantinopel. (Vgl. S. 263)
Ein Ausgleich unter den Religionen ist schwierig: „Der Wille zum Dialog – und die Barrieren“. Es geht um Positionen der Katholiken und Protestanten sowie um die „politischen Hintergründe für den ‚Dialog'“ (S. 288 ff). Eine weitere große Barriere vor einer Verständigung seitens des Islam sind Materialismus und Atheismus. (Vgl. S. 290): „Moderne Krise: der Fundamentalismus“. Der „Fundamentalismus“ als Begriff sei um 1910 in den USA entstanden, berichtet Schweizer vgl. S. 300 ff) und habe sich als „religiöser Fundamentalismus“ zum Ausdruck einer „Krise der Moderne“ entwickelt, die in sich die Angst vor Orientierungsverlust ausdrücke. Diese Passage zeigt, wie nützlich Schweizers perfekte Kenntnis der arabischen Welt für dieses Buch ist. Er spricht nicht nur, wie dies in unseren Medien oft schablonenhaft passiert vom Fundamentalismus, sondern legt eine kurzgefasste Begriffsgeschichte des Fundamentalismus vor: Er weiß sehr wohl, dass Muslime diese Bezeichnung nicht schätzen Radikale Gruppen, die auf die ursprüngliche Form des Islams pochen, nennen sich „Islamiyun (‚Islamisten‘) und ihre Bewegung Islamiya (‚Islamismus‘)“ (S. 301) Damit wollen sie, so Schweizer, als „‚wahre Gläubige'“ von der der Masse gedankenloser Gläubiger unterscheiden. Dennoch sind Denkansätze, die eine Form des Erkennens als wahr bezeichnen, ohne Widersprüche zu dulden, als fundamentalistisch zu bezeichnen. Vgl. ib.
Den Islam verstehen – www.france-blog.info 2. August 2016 von H. Wittmann
Es geht darum, die Bezüge zwischen dem Islam und dem Dschihadismus zu verstehen. Wie kann man die Radikalisierung Einzelner oder von Gruppen erkennen und verhindern? In seinem Beitrag für das Journal du Dimanche schreibt Premierminister Manuel Valls:…
Danach untersucht Schweizer „Modellfälle des Islam“: Algerien, Iran, Afghanistan, Türkei und Indonesien. Folgt ein „Kampf der Kulturen“ fragt er im folgenden Kapitel „Terrorismus, die andere Art von Krieg“? – In diesem Zusammenhang passt die Erinnerung an eine Vorlesung im Fach Politische Wissenschaften von Professor Hans-Adolf Jacobsen in Bonn, der einmal an die Wandtafel im Hörsaal alle Facetten des Ost-West-Konflikts mit ihren Problemen der gegenseitigen Perzeptionsvorstellungen in einem eindrucksvollen Schaubild darstellte. So trägt auch Schweizer alle Elemente zusammen, wie die Konfessionen im Dialog zwischen christlichem Abendland und der islamischen Welt sich sehen. Es ergibt sich bei der Lektüre seines Buches in der Vorstellung des Lesers ein Panorama der unterschiedlich zu gewichtenden Perzeptionen, wie bestimmte religiöse Interpretationen oder Wahrheiten von der Gegenseite als Bedrohung aufgefasst werden. Versteht man, dass Ultra-Ortodoxe im Islam nichts von Auslegungen der islamischen Wahrheit wissen wollen, sondern Interpretationen des Islams „eher als Auslöser des Niedergangs als de Aufstiegs“ verstehen, können Bedingungen für den Dialog besser eingeschätzt werden. (Vgl. S. 319) Noch ein Beispiel Scharia bedeute „Richtung eines Weges“, erklärt Schweizer, eigentlich „Gesetz“ und komme nur in der 45. Sure vor. Später wurde sie ausdifferenziert, und als Menschenwerk könne sie folglich auch verändert werden, aber in diesem Punkt gibt es erbitterte Gegensätze beispielsweise saudi-arabischen Wahhabiten und türkischen Islamisten. (vg. 321) Die Trennung politischer Funktionen von der religiösen Sphäre erscheint Islamisten als ein besonders schwerer Fehler. (vgl. S. 329)
Vgl. 110. Jahrestag des Gesetzes über die Trennung von Kriche und Staat in Frankreich
> Vorgefragt: Gideon Böss, Deutschland, deine Götter – 21. März 2016 von Heiner Wittmann
„Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern hat Gideon Böss unternommen, und die Ergebnisse stehen in einem Buch > Deutschland, deine Götter, das gerade bei TROPEN erschienen ist. 26 Stationen. 26 Religionsgemeinschaften hat Böss besucht, um herauszufinden, woran sie glauben, und ob man dort sein Seelenheil finden könnte….“ Sattion 22: Schiiten S. 322-334, Station 23: Aleviten, S. 334-348.
Gideon Böss,
> Deutschland, deine Götter
Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern
1. Aufl. 2016, 398 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-608-50230-5
Was macht aber nun den Islam zu einer besonderen Zielscheibe? fragt der Autor, zitiert die Angst vor ‚Überfremdung‘: „Muslimische Zuwanderer in Europa – ein Gefahr?“ Die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung im 21. Jahrhundert sind nicht gut. Irak mit der gescheiterten Strategie der Amerikaner und dem Aufstand der Sunniten, der Bürgerkrieg in Syrien, das Entstehen der Terrororganisation die sich „Islamischer Staat“ nennt, das Scheitern des „Arabischen Frühlings“: „Die gefährliche Dimension des 21. Jahrhunderts“. Danach fragt der Autor, ob eine „islamische Moderne“ möglich sei und nennt die „Reibungspunkte mit der westlichen Moderne.“
Dieses Buch richtet sich an alle, die die Tragweite der politischen Diskussionen von heute um einen Dialog mit dem Islam verstehen wollen. Es geht auch darum, Perspektiven zu erkennen, wie Muslime selber dem Missbrauch ihrer Religion durch fanatisierte Terroristen in ihren Reihen entgegentreten können. Wie kann man mit den betroffenen islamischen Staaten in ein Gespräch über die Radikalisierung einzelner von Gruppen kommen? Grundkenntnisse über die Geschichte des Islams und seine Bedeutung als Religion für die islamische Welt sind dabei unabdingbar. Schweizer liefert dazu eine wichtige Grundlage. Mit Hilfe unzähliger Kurzbiogaphien erläutert er die verschiedenen Strömungen im Islam , erläutert Widerstände und zeigt Perspektiven für Entwicklungen auf.
![]() |
![]() |
![]() |
Gerhard Schweizer, > Islam verstehen. Geschichte, Gesellschaft, Kultur und Politik 1. Aufl. 2016, 610 Seiten, broschiert, mit Register ISBN: 978-3-608-98100-1 |
Gerhard Schweizer, > Syrien verstehen Geschichte, Gesellschaft und Religion 2. Aufl. 2015, 503 Seiten, broschiert ISBN: 978-3-608-94908-7 |
Gerhard Schweizer > Türkei verstehen. Von Atatürk bis Erdogan 1. Aufl. 2016, ca. 480 Seiten, broschiert ISBN: 978-3-608-96201-7 |