Am 22. Februar veröffentlichte die unabhängige Journalistin > Reni Eddo-Lodge auf ihren Blog > Reni Eddo-Lodge unter der Überschrift > Why I’m no longer talking to white people about race ein Statement, in dem sie den strukturellen Rassismus und seine Symptome anklagte. Ihre Schlussfolgerung: Sie könne „nicht länger mit Weißen über Hautfarbe sprechen – wegen der konsequenten Verleugnung , der ungeschickten Räder, die sie schlagen, und der geistigen Akrobatik, die sie vollführen, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden.“ (S. 11) Und sie befürchtet, dass gerade dieser Vorwurf an die Adresse der Weißen, sie als Autorin dieses Textes in die
Gefahr bringe als „Charakterschwein“ gemeuchelt zu werden. (S. 12) Das war viel mehr als ein bloßer Aufruf, in dem sie ihren Frust und auch eine bitterer Enttäuschung mitteilte. Fünf Jahre später erschien das vorliegende Buch, in dem sie ihre Kritik systematisierte und auf die vielen Kommentare zu ihrem Buch, mit dem sie „paradoxerweise“ vor allem in den sozialen Medien wie > twitter.com/renireni reagieren wollte. Und so klagt außer dem strukturellen auch die versteckte Seite des Rassismus an: „Großbritannien tut sich immer noch schwer mit Hautfarbe und Unterschieden.“
Reni Eddo-Lodge wurde 1989 geboren: „Ich bin mir meiner Hautfarbe nur deswegen so akut bewusst, weil ich, seitdem ich mich erinnern kann, von der Welt durchgängig als anders abgestempelt werde.“ (S. 17)
In sieben Kapiteln stellt sie die Ergebnisse ihrer Überlegungen vor. Sie begann mit einem Seminar an der Universität zum Transatlantischen Sklavenhandel, das ihre weiße Freundin aufgab, vielleicht weil sie die brutale Geschichte nicht verkraftete (vgl. S. 21). Die Fernwirkungen der Sklaverei seien nicht abgeklungen: 200 Jahre später sei der Schaden, so Eddo-Lodge noch immer nicht behoben. Auch der Black History Month, der seit Februar 1970 stattfindet, habe daran nichts ändern können. Großbritannien sei nach wie vor eine Monokultur mit einem weltweiten Empire, das Arbeitskräfte gerne rekrutiert aber keine Verantwortung für die Auswirkungen übernehme. 1967 wurde die National Front gegründet, die den Rassismus auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Die Autorin macht in ihrem Buch keinen Hehl daraus, dass sich von hier aus eine direkte Linie zu zu Nigel Farage und seiner UKIP (S. 127 ff.), die die Angst vor der Immigration schürte und so Stimmen für den Brexit fischte, ziehen lasse. Gleich ein Detail: Gerade hat der mögliche künftige PM Boris Johnson den eingeschweißten Fisch von der Isle of Man geschwenkt und sich über die Vorschriften aus Brüssel beklagt, denen man mit dem Brexit entgehen werde – nur ist die Packung um den Fisch eine britische Regierungsvorschrift und die Isle of Man gehört gar nicht zur EU, – noch ein Einschub: > Zur Erinnerung: Boris Johnson, Der Churchill-Faktor -. Solche Details wie Unwahrheiten, mit denen die EU den Briten madig gemacht werden soll wie die überhöhten Angaben zu den Zahlungen an die EU die Nigel Farage immer wieder vorgebracht hat, sind beinahe noch Quisquilien, angesichts der Vorwürfe, die Eddo-Loge an ihre Landsleute richtet.
Sie berichtet im ersten Kapitel detailliert über viele Initiativen, die sich mit dem Thema Rassismus beschäftigten. Nach dem Referendum im Juni 2016, bei dem sich die Mehrheit für den Brexit ausgesprochen hat, wurde gesagt, dass die Hasskriminalität und der Rassismus dem die People of Colour unterworfen sind, wieder auf dem Vormarsch seien. Eddo-Lodge sieht das anders: der Rassismus entstehe nicht aus dem Nichts, sondern er sei in der britischen Gesellschaft verankert: „Er steckt im Kern unserer staatlichen Strukturen. Er ist nichts Externes. Er ist Teil des Systems.“ (S. 69)
Kapitel 2 Das System erzählt die Geschichte vom Mord vom 18-jährigen Stephen Lawrence, der 1993 im Südosten Londons ermordet wurde. Erst 2012 wurden zwei Verdächtige von fünf verurteilt. Dieser lange Zeitraum von der Tat bis zur Verurteilung wird von Eddo-Lodge als ein Beleg für den strukturellen Rassismus in Großbritannien interpretiert, der aufgrund der Hautfarbe „die Chancengleichheit beeinflusst und verzerrt“. (S. 93)
Kapitel 3 Was ist White Privilege? erzählt von der Desillusion der kleinen Eddo-Lodge, deren Mutter ihr erklären musste, dass sie nie weiß werden würde. Ihre Definition ist eindeutig: White Privilege ist die Abwesenheit der negativen Folgen des Rassismus,“ (S. 97) und der Grund, weshalb sie mit Weißen nicht mehr darüber sprechen wolle. Es kommt noch schlimmer:
Kapitel 4 Die Angst vor dem schwarzen Planeten, in dem das Schüren der Bedrohung der weißen Briten durch die Einwanderung in Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum geschildert wird. In diesem Kapitel zitiert Eddo-Lodge ein Gespräch mit Nick Griffin von der British National Party, der ihr gegenüber die „genozidalen Folgen der Massenimmigration“ erwähnt, mit denen die Medien einverstanden seien und er empfiehlt ihr „dass Sie schauen, wie Sie aus diesem Land rauskommen“. > Trump lässt grüßen.
Der Feminismusfrage gehört das Kapitel 5. In ihrer Einleitung S. 151-153 beklagt sie: Feministische Politik in Großbritannien sei eine Initiative des Systems, das nur bereit sei, Weiße zu verteidigen. Das gelte auch für die Popkultur, die sich für de Gleichstellung der Geschlechter einsetzte, die Hautfarbe aber geflissentlich übersah. Aber Rassismus und Sexismus sind zwei Formen der Diskriminierung, die sich überschneiden, dafür haben die schwarzen Feministinnen das Wort Intersektionalität geprägt (S. 163). Bemerkenswert, wie Eddo-Lodge immer wieder in ihrem Buch die Fakten der Geschichte präsent hat und mit ihnen Entwicklungslinien bis zu Gegenwart ziehen kann.
Kapitel 6 Hautfarbe und soziale Klasse analysiert und präsentiert en détail die mehr oder weniger versteckte rassistische Diskriminierung am Arbeitsplatz und beim Wohnungsbau. Was kann getan werden: „Millionen Gedankenblasen, die den Diskurs über Klassenzugehörigkeit in diesem Land dominieren, müssen zum Platzen gebracht werden.“ (S. 211) Hautfarbe und Klasse nicht als getrennte Kategorien zu sehen, verlange harte Arbeit.
Kapitel 7 Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur uns, bestätigt, dass Eddo-Lodge gar nicht auf die Idee kommt aufzugeben. Ihr geht es zu Recht darum, über den offenen und verborgenen Rassismus laut zu sprechen: „In einer Welt, in der unverblümte offensichtliche Akte nur die Spitze des Rassismus-Eisbergs sind, müssen wir den unsichtbaren Monolithen heben.“ (S. 221)
Brexit, Trump, Aufschwung der Rechtsextremisten sind Signale, die die Bedenken und den Frust der Autorin bestätigen. Aber die Reaktionen, von den Eddo-Lodge im „Nachspiel“ berichtet, scheinen ihrem Engagement und ihrer Hoffnung Recht zu geben. Am 30. 7.2017, einen Tag nach Erscheinen ihres Buches veröffentlichte veröffentlichte The Guardian einen langen Auszug aus ihrem Buch: > Why I’m no longer talking to white people about race. Sie wünscht sich nichts mehr, als dass ihre Leser auch ein Teil der Bewegung gegen Rassismus werden, zu der sie mit ihrem Buch aufrufen möchte.
Gerade hat > Ministerpäsident Armin Laschet an die letzte Ansprache von Ronald Reagan erinnert:
Die Gegen-Botschaft zu Rassismus, zu Abgrenzung, zu „Schickt sie zurück“! Ronald Reagan, ein Konservativer, ein Republikaner mit einem beeindruckenden Bekenntnis zu einer toleranten Einwanderungsgesellschaft. https://t.co/rEmYEAXKzE
— Armin Laschet (@ArminLaschet) July 21, 2019
Zu den Menschrechten – auf www.france-blog.info:
> Vor 70 Jahren: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Nachgefragt. Colloque à Sciences-Po: La Présidente de la CNCDH Christine Lazerges répond à nos questions – 19. November 2018
> Die Rede von Präsident Emmanuel Macron vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – 6. November 2017
> Der Vergleich (XIII) : Die Menschenrechte in Frankreich und Deutschland – 19. Juli 2016
Reni Eddo-Lodge
> Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
Aus dem Englischen von Anette Grube
Orig.: Why I‘m No Longer Talking To White People About Race
3. Druckaufl. 2019, 263 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-50419-4