Lesebericht: Tom Holland, Herrschaft. Die Entstehung des Westens

Im Verlag Klett-Cotta ist der Band > Herrschaft. Die Entstehung des Westens von Tom Holland in der Übersetzung von Susanne Held erschienen.

Historische Gesamtdarstellungen sind immer ein großes Wagnis. Tom Holland ist es gelungen, die Geschichte des Westens Von Babylon bis zu den Beatles, von Moses bis #MeToo auf eine packende Weise zu erzählen.

Antike, Christentum und Modernitas lauten die Überschriften der drei Teile dieses Buches, in denen Holland an die Entstehung  des Christentums erinnert und damit das Fundament beschreibt, auf dem christliche Traditionen und Werte bis heute die westlichen Gesellschaften so entscheidend prägen.

Alle Kapitel beginnen mit historischen Szenen oder markanten Personen (u. a. Jesus, Paulus, Abaelard und die Heilige Elisabeth, Spinoza, Darwin, Nietzsche und die Beatles), womit Holland das Vorstellungsvermögen seiner Leser prägt. Seine Leitfrage, die seinen Ansatz in diesem Buch bestimmt, wie kam es dazu, „dass wir im Westen wurden, was wir sind, und so denken, wie wir denken.“ (S. 23) und er präzisiert sein Unternehmen: „Mit Herrschaft möchte ich den Verlauf dessen nachverfolgen, was ein Christ im 3. Jahrhundert als die ‚Flut Christi‘ (Verweis: Tomasakten 31) bezeichnete, wie der Glaube, dass der Sohn des einen Gottes der Juden an einem Kreuze zu Tode gefoltert worden war, so nachhaltig und weit verbreitet werden konnte, dass heute die meisten Menschen im Westen die Wahrnehmung dafür verloren haben, wie skandalös dieser Glaube zu Beginn war.“ (S. 27) Holland zeigt uns also die Entstehung des Christentums, wie es sich trotz allen Anfeindungen durchsetzen konnte.  Und er will zeigen, „Wodurch das Christentum so subversiv und revolutionär wurde“ (ib.).

Holland beginnt seine Geschichte 480 v. Chr. als der Perserkönig auf Ponton-Brücken den Hellespont überquerte. Weiter als bis Athen kam er aber nicht. Sein General Arayktes und sein Sohn fielen dem  Feind in die Hände und wurden unter fürchterlichen Qualen hingerichtet. Xerxes Vater Dareios war wie andere auch schon vor ihm davon überzeugt dass die Herrschaft eines Königs, der eines Gottes gleiche. Ein Angriff auf das Reich wurde auch als „Angriff auf das Universum“ (S. 36) verstanden. Das musste auch ein Armenier namens Arakha erfahren, den die Perser als Lügner bezeichneten, (vgl. S. 35 f.).

50 Jahre später verarbeitet Aristophanes 425 v. Chr, in seinem Stück Die Archaner, das den ersten Preis gewinnen sollte, diesen Stoff und machte sich über die universelle Stellung des persischen Königs lustig.

Herrschaftsansprüche, Macht und Glaube waren die Faktoren, die künftig die westliche Geschichte in ihrer Auseinandersetzung mit dem Osten prägen sollte. Ein Jahrhundert vor den Archanern war in Griechenland, das Recht des Volkes, an der Gesetzgebung teilzunehmen durchgesetzt worden. Die Volksherrschaft war entstanden und konkurrierte künftig mit dem der unumschränkten Herrscher. (vgl. S. 43 f.)

Dieser Lesebericht würde mehrere Seiten füllen, würde unsere Redaktion jedes Kapitel in der hier eben skizzierten Weise prägnant zusammenfassen, um die Etappen auf dem Weg zum christlichen Glauben und wie er in den ersten Jahrhunderten so grausame Verfolgungen erlitt und sich schließlich gegen sie durchsetzen konnte, aufzuzeigen. Daraus entsteht aber auch der Leseanreiz für dieses Buch. Individuelle Schicksale werden mit Ereignissen verknüpft und zeigen, wie es besonderen Persönlichkeiten immer wieder gelingen konnte, in das Rad der Geschichte einzugreifen.

Die Lektüre dieses Buches vermittelt auch ein Bewusstsein für historische Abläufe und stellt für den Leser ein historisches Fundament bereit, auf das sich Epochen und historische Großereignisse wie herausragende Persönlichkeiten einordnen lassen. In diesem Sinne wird dieses Buch auch zu einem Lehrbuch, da es didaktisch klug aufgebaut ist: Holland beherrscht sein Metier, Geschichte und ihre handelnden Personen geschickt so zu inszenieren, dass dem Leser ihre Einordnung in historische Abläufe gelingt. Darüberhinaus kann der Leser anhand der gut gewählten Erzählungen Muster der Erringung von Herrschaft, ihrer Bewahrung und ihres Verlusts erkennen. Diese Zusammenhänge sind immer wieder neue Gelegenheiten, die Tragweite des  Einflusses von Persönlichkeiten auf Ereignisse zu untersuchen. Und da dieses Buch vor dem Hintergrund der Geschichte des christlichen Glaubens geschrieben wurde, wird der Leser sich auch die Frage nach dem Einfluss des Christentums auf die Geschichte stellen. Wie wirken Werte? Bestimmten christliche Werte die Entwicklung oder waren doch immer wieder mehr oder weniger weltliche Herrschaftsansprüche, aus denen sich in bestimmten Momenten neue Machtansprüche herauskristallisierten?

Zu unserem Lektürevorschlag für dieses Buch gehört auch die Frage, wie wurde christliches Gedankengut durch die Jahrhundert vornehmlich genutzt? In erster Linie zur Herrschaftssicherung und mit einem genauso großen Anspruch für einen Fortschritt des Volkes und der Bürger? Es gibt schon zu denken, dass der Titel dieses > Herrschaft lautet, zudem sich noch ein Kreuz im C von Herrschaft befindet.

Tom Holland
> Herrschaft
Die Entstehung des Westens
Aus dem Englischen von Susanne Held (Orig.: Dominion. The Making of the Western Mind)
1. Aufl. 2021, 624 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, mit einem farbigen Tafelteil, Lesebändchen
ISBN: 978-3-608-98356-2