Lesebericht: Ulinka Rublack, Der Astronom und die Hexe Johannes Kepler und seine Zeit

Man weiß, dass Johannes Kepler (1571-1630) das kopernikanische Weltbild, die Planeten drehen sich um die Sonne,  verteidigte. Er wies nach, dass sie die Sonne in Ellipsen umrunden und formulierte die drei Gesetze der Planetenbewegung. Sein Werk steht in 25 großformatigen Bänden und er setzte alles daran, wie Rublack schreibt: „Glaube und Vernunft miteinander zu versöhnen.“ S. 27

 

Am 29. Dezember 1615 erhält Kepler die Nachricht, dass seine Mutter bereits im August der Hexerei angeklagt worden worden war und ihrerseits die Ankläger wegen Verleumderei angezeigt hatte. Sechs Jahre lang sollte ihn der Strafprozess beschäftigen. Gerade als er die Weltharmonik (1619) veröffentlichte, in der vorgab, Gott habe sechstausend Jahre auf einen Betrachter gewartet, der seine Baupläne verstehen könne. 1620 wird seine Mutter Katharina verhaftet. Kepler war als Lutheraner erzogen, doch er unterzeichnete die Konkordienformel von 1577 nicht… und bekam auch keine Stelle an der Universität Tübingen. Kaiser Rudolf II., der ihn 1602 zum kaiserlichen Mathematiker ernannt hatte, starb 1612. Sein Nachfolger Matthias sorgte die die Durchsetzung des Katholizismus in den Habsburger Ländern: Kepler konnte als Protestant nicht in Prag leben. Er kam 1612 an eine kleine Schule nach Linz. 1616 bekam er einen Ruf an die Universität Bologna, den er aber nicht annehmen wird. In großer Sorge um seine Mutter und sein eigenes Lebenswerk will er nach Württemberg reisen, um seine Mutter zu verteidigen.

Eine Biographie mit Krimizügen in der Welt der Hexenverfolgungen zwischen 1580 und 1650. Ihr Pakt mit dem Teufel war das Ergebnis der Angst in der Bevölkerung z. T. aufgrund der Missernten: Heinrich Kramer mit seinem Hexenhammer (1486) hatte die Hexenverhöre initiiert.

Die Rekonstruktion des Falles der Katharina Kepler führt das Leben in einem lutherischen Herzogtum und einiger seiner Städte vor. Und zugleich kann man die Beweggründe Keplers, sein Wissen über Mensch und Natur, für sein eigenes Werk besser verstehen. In Stella nova (1606) hatte er versucht, die Beeinflussung der Menschen durch die Planetenkonstellationen nachzuweisen. S. 42-52: der Widerstreit zwischen pessimistischen lutherischen Theologie und einer zukunftsorientierten Geisteshaltung. Wenn Sie diese Seiten gelesen haben, klappen Sie das Buch vor der S. 365 nicht mehr zu.

Die Erzählung von Katharinas Leben geht in die Schilderung des Lutherischen Hoflebens vor allem mit Herzogin Sibylla von Württemberg über. Im 3. Kapitel „Das Jahr der Hexen“ wird Katharina Kepler von ihrem eigenen Sohn, der nach 35 Jahren Kriegsdienst wieder nach Hause nach Leonberg zurückkehrt, kurz vor seinem Tod als Hexe bezeichnet. Die Dinge nahmen ihren Lauf.

Das Kapitel Keplers Strategien enthält in präziser Form spannende Wissenschaftsgeschichte: Naturphilosophie und Keplers Erklärungen seiner vernünftigen Schlussfolgerungen, so z. B. in Neue Astronomie (1609), ging es ihm darum, Gottesfrucht und Wahrheit in Einklang zu bringen. Dabei waren ihm die Gefahren, in die ihn seine Deutungen brachten nur allzu gut bewusst. Es ist gerade die nun anstehende Verteidigung seiner Mutter, die die Ergebnisse seiner Arbeit in einem neuen Licht erscheinen lassen. Kapitel 5: Die Familie reagiert und Kepler bittet den Herzog darum, zu intervenieren, es gehe um den guten Ruf seiner Mutter; S. 164 f.

Katharina reist zu ihrem Sohn nach Linz. Kepler beschäftigte sich wieder mit der Astrologie und wieder beharrte er darauf, als Prophet zu handeln, der im Auftrag Gottes die kosmische Harmonie zum Wohle der Menschen offenbare: vgl. S. 200 f. Seelenbewegungen und Astrologie lautet die Überschrift über diesem Kapitel, in dem Rublack die wissenschaftliche Entwicklung von Kepler darlegt. Am 9. November 1619 begann in Leonberg der Prozess, sie wird verhaftet und Kepler verlässt Linz kehrt nach Hause zurück. Besonders spannend wird es jetzt, wenn der Astronom Kepler sein Wissen zur Verteidigung seiner Mutter einsetzte: S. 178 ff. Es klingt heute wie eine Persiflage auf das Rechtssystem, zu Keplers Zeit war es ein äußerst geschickter Schachzug, die Justiz mit ihren eigenen Waffen zu begegnen, in dem er ihre Rechtssicherheit in Zweifel zog: Finsternis und Missbrauch seien das Resultat, vor dem Kepler, der sich auch namhafte Freunde stützen konnte, nachdrücklich die Territorialregierung warnte. Keplers Verteidigungsschrift (heute im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv) vereinigte Naturphilosophie und rechtswissenschaftliche Methoden: sind die Aussagen der Zeugen verlässlich? Der begründete Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit verhieß einen ersten Hoffnungsschimmer für seine Mutter, die nach 14 Monaten Haft entlassen und dann auch freigesprochen wird.

Ulinka Rublack ist es gelungen, anhand der Biographie der Mutter Katharina, ihrer Anklage, ihrer Verhaftung  und die Verteidigung durch ihren Sohn Johannes Kepler eine spannende Wissenschaftsgeschichte zu schreiben: die Gefahren, der sich Kepler durch seine eigenen Schriften gegenüber der Inquisition aussetzte, wurden durch die Anklage seiner Mutter als Hexe noch einmal gesteigert. Aber Kepler findet die richtige Strategie und setzt die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit erfolgreich zur Verteidigung seiner Mutter ein.

Ulinka Rublack, > Der Astronom und die Hexe Johannes Kepler und seine Zeit
Aus dem Englischen von Hainer Kober (Orig.: The Astronomer and the Witch. Johannes Kepler´s Fight for his Mother)
3. Druckaufl. 2018, 409 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 2 s/w Karten und 41 Abbildungen
ISBN: 978-3-608-98126-1