Für den amerikanischen Präsidenten Donald Trump hätten wir hier ein wichtiges Buch. Unsere Lektüre der letzten Tage: Rainer Hermann, > Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten, gerade erschienen, liegt schon in der 3. Druckauflage vor.
Das Kurzresümee. Die arabische Welt bildet mit dem Nahostkonflikt und dem Bürgerkrieg in Syrien eine explosive Gemengelage, die jeden Tag gefährlicher wird, weil jeglicher Ausgleich, jedwede Mäßigung aller Parteien außer Sicht ist und der Jahrhunderte alte Streit zwischen Sunniten und Schiiten mit jedem Ereignis an Schärfe bedrohlich zunimmt.
Die ganze arabische Welt sitzt auf einem Pulverfass, manchmal verglimmt die Lunte, aber wehe, wenn jemand sie wissentlich und vorsätzlich wider aller besseren Ratschläge sorglos von neuem ohne Not entfacht. Sofort werden alle alten Antagonismen wieder aktiviert. Donald Trump hat gestern das Atom-Abkommen mit dem Iran aufgekündigt. Er meint, es sei ein schlechtes Abkommen, die Europäer, auch Russland, sehen das anders. Hermann fragt, (S. 320 f.), wird der Iran nun wieder Uran anreichern? „Ein kleiner Anstoß würde reichen, um eine Kettenreaktion mit Kriegen in mehreren Ländern auszulösen.“ (S. 320 f.) Und Herman fürchtet, der Iran könne seine Milizen in anderen Ländern mobilisieren. Saudi-Arabien, Syrien, Libanon, Israel, Irak und der Jemen könnten in einen nicht mehr zu kontrollierbaren Flächenbrand hineingezogen werden. Hermann vermutet eine Kriegsgefahr zwischen Israel und Iran, von der Saudi-Aarabien angesteckt werde. Die Aussichten sind wahrlich finster, zumal Hermann sich auf seine sehr gründlichen und umfassenden Kenntnisse der ganzen Region stützen kann.
> Arabisches Beben ist als Titel gut gewählt.Die arabische Welt findet nur schwer einen Ansatz zu ihrer Befriedung, zu heftig sind die eruptiven Ausbrüche, zu lange, zu gefährlich sind die Dauerfehden und zu gewaltsam die Kriege, das alles vor dem Hintergrund des Islams, der in allen betroffenen Staaten die religiösen Grundsätze zur Staatswahrheit erhebt und das Recht des Stärkeren vor jeden Versuch eines Ausgleichs stellt.
Und die Staaten, die von außen zusehen? Keiner hat dort jemals reüssiert. Die Interventionen der europäischen Mächte nach dem Ersten Weltkrieg haben sich als Fiasko erwiesen, weil die willkürlich gezogenen Grenzen auf Dauer keine Heilung ermöglichten, sondern bis heute immer wieder Zündstoff für gewaltsame Konflikte bietet.
Niemandem ist damit gedient, nur die Konflikte zu in der arabischen Welt aufzuzeigen und deren Perspektivlosigkeit zu bedauern. Hermann beschreibt in seinem Ausblick die Vision einer großen Friedenskonferenz zum Nahen Osten (S. 336 ff.), für die er mit seinem Buch „Grundbausteine für eine mögliche Lösung“ zusammentragen möchte. Das ist der Kerngedanke seiner Darstellung des Dauerkonflikts mit immer neuen Kriegsgefahren. Nur das Wissen um die Geschichte dieser Staaten, ihrer Bildung, ihrer Niederlage, die Ursprünge ihrer Konflikte, die religiöse Komponente, die sozialen Beziehungen und die Geschichte der Institutionen dieser Staaten erlaubt es, Lösungsansätze zu skizzieren.
Weichenstellungen, Zerfall und Scheitern lauten die Überschriften der ersten Kapitel, die eine historische Bestandsaufnahme seit dem Ende des Osmanischen Reiches skizzieren.
Der zweite Teil wird mit dem Kapitel „Zukunft“ eingeleitet und beginnt interessanterweise mit dem Abschnitt „Der Westfälische Friede als Denkmodell“. Die „Suche nach einer neuen Ordnung“ setze einen neuen Gesellschaftsvertrag, eine neue politische Kultur und neue territoriale Nationalstaaten voraus. Aber so mahnt der nächste Abschnitt, die Zeitbomben ticken: Die demographische Zeitbombe, das wirtschaftliche Kartenhaus und die drohende ökologische Katastrophe wobei der nahezu unmöglich scheinende religiöse Ausgleich zwischen den religiösen Gruppen ständig präsent ist.
Im zweiten Kapitel geht es um den Westen und den Nahen Osten, um Flüchtlinge und Migranten und das so oft so leicht klingende Projekt der Bekämpfung der Fluchtursachen, die Frage nach Terror und der Verhinderung eines großen Zusammenpralls. Als heute Präsident Macron anlässlich der Entgegennahme des Karlspreises 2018 in Aachen sagte, wirr sollte Mut für Veränderungen und die Aufgabe von Angst vor dem Anderen anmahnte und hinzufügte, der Nahe Osten und Afrika sähen auf uns, dann meinte er damit, dass eine mutige europäische Außenpolitik auch dem Nahen Osten nützen könnte.
Es ist ein Teufelskreis, in dem die Arabische Welt sich befindet. Die Staatsgründungen nach der Auflösung des Omanischen Reiches sind gescheitert. Eine Identitätsbildung in ihren Gesellschaften hat nicht funktioniert, Schutz wird bei konfessionellen Gemeinschaften gesucht. Bürgerkriege sind die Folge. Der Dauerkonflikt um Jerusalem wirkt wie ein ständiger Brandtreiber. Die amerikanische Invasion im Irak und der Sturz Husseins heizten den Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten erst so richtig an. Gibt es heute eine Chance den Konfessionalismus durch einen Arabismus zu ersetzen? Wie können die dafür notwendigen radikalen Reformen in Gang gesetzt werden?
Dieser Band ist ein Sachbuch, zugleich aber auch ein Geschichts- und Politikbuch, das in meinem Geschichtskurs meinen Schüler/innen lehrreichen und spannenden und Stoff für Referate, Aufsätze und Kommentare, also ganz verschiedene Textsorten, bieten würde. Dann würde ich sie dazu animieren, Experten (sei es aus der Politik oder Hochschule) zu suchen, sie einzuladen und sie zu befragen. Sie lernen dabei viel über die arabische Welt, über den Nahen Osten und lernen auch, Haltung der EU zu dieser Region kritisch zu beobachten und Handlungsalternativen zu entwickeln.
Rainer Hermann
> Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten
3. Druckaufl. 2018, 378 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-96211-6