Ulrike Ackermanns Buch erzählt eine faszinierende Episode unserer jüngsten Geschichte, die dem kollektiven Gedächtnis zu entgleiten droht. Im 20. Jahrhundert bekämpften sich Faschismus und Nationalsozialismus mit dem Kommunismus auf Leben und Tod. In den Köpfen deutscher und französischer Intellektueller setzte sich dieser Kampf der totalitären Ideologien auch nach dem Untergang von Hitlers Reich fort, mit traumatischen Konsequenzen bis heute.
Für das Gros der französischen Linksintelligenz Anfang der fünfziger Jahre stand fest, man müsse die Sowjetunion und ihre »Errungenschaften« um jeden Preis verteidigen. Erst Ereignisse wie die von Budapest (1956) und Prag (1968) sowie der »Gulag-Schock« der siebziger Jahre öffneten ihnen die Augen. Französische Intellektuelle begannen einen intensiven Austausch mit den Dissidenzbewegungen Osteuropas und unterstützten sie. SO war auch der Streit zwischen Jean-Paul Sartre und Albert 1952 nach der Veröffentlichung von Camus‘ L’homme révolté ein Ausdruck der Zerrissenheit unter den Intellektuellen. Dabei darf aber nciht übeserseehn, dass politische Aspekte ihrer Zeit diesen Zeit bestimmten, wobei beide nicht auf ihre > Grundsätze der Freiheit und auch der Kunst verzichteten.
Anders die westdeutschen Linksintellektuellen: Ihr „Sündenfall“bestand darin, nach 1968 auf einen politisch blinden Antifaschismus zu setzen, der sie daran hinderte, sich mit der Realität des kommunistischen Totalitarismus angemessen auseinanderzusetzen. Deshalb konnte von tätiger Solidarität mit den verfolgten osteuropäischen Dissidenten keine Rede sein. Vielleicht wird man sich auch deshalb auf Albert Camus wiederbesinnen, der in L’homme révolté klare Worte gegenüber den Ideen der KPF fand.
Auszug aus dem Vorwort von
François Bondy:
„Das Buch von Ulrike Ackermann ist eines der tätigen Erinnerung, ein Buch gegen das Vergessen. Es erinnert an ein heute aus dem öffentlichen Gedächtnis weitgehend verbanntes Kapitel deutsch-französischer Geistesgeschichte, deutsch-französischer Intellektuellendebatten in der zweiten Hälfte des abgelaufenen 20. Jahrhunderts. Diese Debatten – das zeigt nicht zuletzt der Kollaps des kommunistischen Systems in Osteuropa 1989/90 – hatten überaus praktische politische Konsequenzen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, aus dem die Sowjetunion Stalins als einer der Sieger hervorging, erlebte die kommunistische Bewegung in Frankreich ihren unzweifelhaften Höhepunkt („Résistance“). Die meisten der tonangebenden französischen Intellektuellen, von Sartre bis Merleau-Ponty, verteidigten die totalitäre Praxis des Kommunismus auch dann, wenn sie sich keiner Täuschung über den Massenterror, die Existenz eines weitverzweigten Lagersystems und das Gespinst von Lügen und Propaganda hingaben – man war gewissermaßen Kommunist wider Willen.
Ganz anders in Westdeutschland. Nach der Erfahrung von Faschismus und Nationalsozialismus, aber auch belehrt durch die drückenden Erfahrungen der kommunistischen „Renegaten“ (ein Wort, das ich ungern gebrauche) von Silone bis Koestler bestand unter vielen Intellektuellen Einigkeit darin, daß die Ablehnung und Bekämpfung des Totalitarismus unteilbar sei, daß man genauso entschieden Antikommunist wie Antifaschist sein müsse. Vor diesem Erfahrungshintergrund wurde 1950 der „Kongreß für kulturellen Freiheit“ ins Leben gerufen, in dessen Auftrag ich die Zeitschrift Preuves herausgab. Ulrike Ackermann, indem sie die vorhandenen Quellen erschließt und Zeitzeugen befragt, rekonstruiert diese heute fast vergessene Geschichte gegenläufiger Entwicklungen in Frankreich und der Bundesrepublik.
[…]
Wenn ich recht sehe, geht es Ulrike Ackermann in ihrem Buch um eine umfassende europäische Perspektive, die auch die Gesellschaften Ostmitteleuropas einschließt. Der Historiker Fritz Stern schrieb fünf Jahre nach dem Ende der kommunistischen Staatsmacht: „Die vielen Menschen in Frankreich und anderswo, die Kontakte zu osteuropäischen Intellektuellen und Künstlern aufrechterhielten, trugen auf eine Weise, die erst noch in vollem Umfang gewürdigt werden muß, zur schließlichen Wiedervereinigung Europas bei.“
Mir scheint, daß Ulrike Ackermann diese Würdigung überzeugend gelungen ist.“
Ulrike Ackermann
> Sündenfall der Intellektuellen
Der deutsch-französische Streit nach 1945 – Mit einem Vorwort von Francois Bondy
ISBN: 3-608-94278-5