„Die Generation, die zwischen 1905 und 1930 geboren wurde, erlebt nach 1944 in Paris einen fulminanten Aufbruch. Der Krieg war vorbei, nach der Befreiung im August 1944 waren die deutschen Besatzer abgezogen, das intellektuelle Leben bekam wieder die Oberhand. Allen voran > Jean-Paul Sartre (1905-1980) (nicht nur) mit den Temps modernes und > Albert Camus (1913-1960) setzten die Themen und begründeten den Existentialismus (> Vergleich: Sartre oder Camus?) Alles war h
ochpolitisch, man suchte nach einem neuen Gesellschaftsmodell am besten zwischen den beiden großen Lagern, dem Kommunismus und dem Kapitalismus, einen Dritten Weg. Mit Simone de Beauvoir (1908-1986) und etwas später Brigitte Bardot (*1934) begann eine neue Phase des Feminismus, mit dem sie den Frauen eine Befreiung aus allen herkömmlichen Bindungen vorlebten,“ so begann unser > Lesebericht: Agnès Poirier. An den Ufern der Seine.
> Unser Fotoalbum: Agnès Poirier, An den Ufern der Seine
Leider hat unsere Redaktion 2019 keine Gelegenheit gehabt, mit Agnès Poirier über ihr Buch u sprechen. Jetzt aber, nach dem Ministerpräsident Armin Laschet ihr Buch im SPIEGEL Bestseller 2/2021 als seine Sommerlektüre besprochen hat und Agnès Poirier sich dafür auf > Twitter bei ihm bedankt hatte, kam der erneute Kontakt mit ihr zustande und wir haben das Interview verabredet, das gestern aufgezeichnet wurde:
> Unser Fotoalbum: Agnès Poirier, An den Ufern der Seine
Die Generation, die zwischen 1905 und 1930 geboren wurde, erlebt nach 1944 in Paris einen fulminanten Aufbruch. Der Krieg war vorbei, nach der Befreiung im August 1944 waren die deutschen Besatzer abgezogen, das intellektuelle Leben bekam wieder die Oberhand. Allen voran Jean-Paul Sartre (1905-1980) (nicht nur) mit den Temps modernes und und-moral“ rel=“noopener“ target=“_blank“>Albert Camus (1913-1960) setzten die Themen und begründeten den Existentialismus: Alles war hochpolitisch, man suchte nach einem neuen Gesellschaftsmodell am besten zwischen den beiden großen Lagern, dem Kommunismus und dem Kapitalismus, einen Dritten Weg. Mit Simone de Beauvoir (1908-1986) und etwas später Brigitte Bardot (*1934) begann eine neue Phase des Feminismus, mit dem sie den Frauen eine Befreiung aus allen Zwängen versprach.
Wir haben Agnès Poirier gefragt, wieso haben Sie gerade diese Epoche gewählt, sie geht vom Beginn des Drôle de guerre bis zur Nachkriegszeit. Die Wiedergeburt des intellektuellen Lebens im 5. rund um die Sorbonne und 6. Arrondissement rund um die Kirche von Saint-Germain-des-Près in Paris führte zu einer kulturellen Neubestimmung, die alle Lebensbereiche erfasste. Jean-Paul Sartre war mittendrin und hatte schon 1943 den Ton mit seinem philosophische Hauptwerk L’être et le néant. Essai d’ontologie phénoménologique angegeben 722 Seiten, auf denen der Philosoph inmitten der deutschen Besatzung die Grundlagen der menschlichen Freiheit darlegte. Aber sein Vortrag L’existentialisme est un humanisme von 1946 wurde zum Manifest des Existentialismus und prägte eine ganze generation. Um Kreise der Existentialisten rund um die Kirche von Saint Germain gehörte auch Albert Camus.
Er hatte 1942 L’étranger und Le mythe de Sisyphe veröffentlicht. Sartre und er rezensierten sich gegenseitig: Sartre schrieb über L’étranger und Camus über La nausée (1938). Beide haben sich nach ihrem Treffen 1943 anlässlich der Premiere von Sartres Stück Die Fliegen im Théâtre de la Cité Première kennengelernt und angefreundet. Ihre Freundschaft sollte die Auseinandersetzungen (1952) nach dem Erscheinen von L’homme révolté (1951) über die Kritik am Kommunismus besonders stalinistischer Prägung nicht überstehen. Von 1943 bis 1947 schrieb Camus für Combat.
Mit der Besetzung von Paris 14. Juni 1940 begann ein vier Jahre langes Martyrium der Stadt, viele Intellektuelle verließen vorher oder kurz darauf die Stadt. Sartre wird verhaftet und nach Trier gebracht. Anfang April 1941 fand Simone de Beauvoir unter ihrer Hotelzimmertür eine Notiz: „Ich bin im Café des Trois Mousquetaires.“ Sartre war die Flucht gelungen, er war wieder in Paris. Es dauerte zwar noch über drei Jahre bis zur Befreiung, aber das intellektuelle Leben ging doch irgendwie weiter?
Nicht jeder musste sich mit den Besatzern arrangieren… es gab viele Formen, so wie der Widerstand, das Untertauchen oderirgendeiner Form, sich mit den Besatzern zu arrangieren: „Sich für eine Seite entscheiden“ lautet eine Überschrift eines Abschnittes in Ihrem Buch Jean Luchaire, Chefredakteur von Les Nouveaux Temps, wusste, wann er den deutschen Botschafter Otto Abetz anrufen konnte, um jemanden aus einer misslichen Lage zu befreien: Gerhard Heller, der von Abetz der „Gruppe Schrifttum“ zugewiesen worden war: Heller war es, der dafür sorgte, dass Sartres Die Fliegen in Paris aufgeführt werden konnte: Heller hatte erklärt, mit Widerstand hätte das Stück nichts zu tun.
Welche Rolle spielte z. B der Amerikanern Richard Wright? Dieses Kapitel ihres Buches wird zu einer Geschichte französisch-amerikanischen Kulturaustausch vor, dazu gehört auch der 21. Februar 1947, der Tag an dem lernt Simone de Beauvoir Nelson Algren (1909-1981) in Chicago kennenlernt. Es beginnt eine stürmische Liebschaft.
Die Überschrift des Kapitel 6 „Sinneslust und Emanzipation“, ist bestens gewählt, der Ausbruch aus allen Konventionen führte zu unkonventionellen Ideen. Arthur Koestler (1905-1983) und seine Frau Mamein wurde in den Sartre/Beauvoir Kreis im Winter 45/46 aufgenommen: Ihr Gelage am Abend vor Sartres Vortrag über den Existentialismus war ziemlich heftig.
Zu Beginn des Kalten Krieges werden die Auseinandersetzungen mit den Kommunisten immer brisanter. Gab es eine Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, der die Nachteile beider vermied und deren Vorteile teilen konnte? David Rousset schlägt Sartre im Herbst 1948 die Gründung einer Partei vor: Rassemblement Démocratique et Révolutionnaire RDR. Sartre ist zunächst Feuer und Flamme, die Partei wird aber nur eine ephemere Lebensdauer beschieden sein wird, danach wendet sich Sartre von der Partei ab.Ausführlich berichten Sie von Theodore H. White, der als Auslandskorrespondent 1948 nach Paris kommt, um über die Auswirkungen des Marshall-Planes in Frankreich zu berichten.
Wenn die Leser Ihres Buches anhand der Karte alle wichtigen Treffpunkte der Protagonisten dieses Buches im 5./6. Arrondissement in Paris aufsuchen, bekommen Sie ein ganz neues Bild der Stadt:
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In diesem Sinne legt Poirier eine spannende Literaturgeschichte vor, in dem sie wichtige Titel bekannter Romane und Theaterstücke nennt und einordnet. Welche Bücher Romane sollte der Paris-Reisende als Vorbereitung unbedingt mitnehmen?
Simone de Beauvoirs zweibändiges Werk auf Deutsch Das andere Geschlecht liest sich wie ein Resümee dieser Epoche, Beauvoir will zeigen, wie Männer Frauen unterdrücken: Sie merken kritisch an sagt, de Beauvoir nenne viele Beispiel, keine Belege, deshalb sei der Untertitel des 2. Bandes „L’expérience vecue“. Warum sollte das Buch heute wiedergelesen werden?
Agnès Poirier
An den Ufern der Seine
Die magischen Jahre von Paris 1940–50
Aus dem Englischen von Monika Köpfer
Orig.: Left Bank. Art, Passion and the Rebirth of Paris 1940–50
1. Aufl. 2019, ca. 552 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen, Tafelteil
ISBN: 978-3-608-96401-1