„Lehrer aus Überzeugung“ lautet der Untertitel des gerade erschienenen Buches von Albrecht Johann, > Rock´n´Roll und Ramadan.
Von 1977 bis 2011 unterrichtete Albrecht Johann an der Carl-von-Ossietzky-Oberschule in Berlin Kreuzberg, einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, die Fächer, Politik und Geschichte. Nach seiner Pensionierung hat unter dem Titel > Rock´n´Roll und Ramadan die Erinnerung an 30 Jahre in dieser Schule aufgeschrieben.
Alles fing für ihn an, als er am 11. Dezember 1977 in seine neue Schule kam und gleich zum Vertretungsunterricht eingeteilt wird. Eine Mathestunde. E- Kurs. Die Schüler blocken: „Keiner hat hier ein Mathebuch dabei, stimmts?“ ruft einer. Spielen wollen sie. „Irgendwie überleben“, lautet die Überschrift des nächsten Kapitels. Er nimmt die Herausforderung der Schüler an, und Herr Johann darf bald für Kollegen einspringen, die ihr Klasse nicht mehr unter Kontrolle bekommen. Irgendwann ist aber Schluss und alle Nachgiebigkeit hat auch mal ein Ende. Seine Schule ist für den hohen Ausländerteil bekannt. Und er erlebt, wie auch die türkischen Mädchen sich ihre Freiheiten nehmen, oft genug aber auch von der Familie und den Brüdern kontrolliert werden.
Herr Johann macht interkulturellen Unterricht: „Ich erlebe ich persönlich als eine sehr anregende und sinnvolle Herausforderung.“ Ihm gelingt , es das Verstehen und Vertrauen seiner Schüler zu fördern, eine gute Basis auch für die deutsche Geschichte. Sein Tanzkurs aus dem „Ressourcenkästchen“ Rock’n’Roll wird der Hit.
Nach der Generalsanierung der Schule 1975 kommt ein neues Problem auf die Schule zu. Asbest wird entdeckt und dei Stadt weigert sich zunächst das Problem ernstzunehmen. Es folgen Demonstrationen, die Lehrer und Schüler im Sinne eines praktischen SoWi-Unterrichts miteinander vereint: Lernstoff: Demos. Die Stadt gibt nach, es folgt eine grundlegende Sanierung der Schule, die mehrere Jahre dauert.
Französische Revolution. Wieder wird es laut. Der Unterricht scheint auf der Strecke zu bleiben. Wie erklärt man 18 Muslimen, 1 Katholiken und 10 Protestanten das Problem der Abstimmung in den drei Ständen? Nun man simuliert eine Sitzung und diskutiert: Moschee oder Kirche besichtigen. Es wird nach „Ständen“ abgestimmt. Die Muslime haben ein Stimme und die Protestanten und Katholiken zusammen zwei. „Ungerecht,“ rufen die Muslime. Und „Revolution“, sie haben verstanden.
Neue Herausforderung: Thema Kurdistan in einer überwiegend türkischstämmigen Klasse unterrichten. Kurden gegen eine türkisch-nationalistische Front. Schließlich wird der Vater von Emine in der Schule vorstellig: Türkenfeindlicher Unterricht lautet sein Vorwurf. Aber auch das wird zum Lernstoff: Emine wird von Herrn Johann gefragt, ob in der Türkei ein kurdisches Kind mit einem kurdisch geschriebenen Zettel zum Direktor gehen kann und sich über kurdenfeindlichen Unterricht beklagen könne? (vgl. S. 104)
Der Schrei nach Freiheit, lautet die Überschrift über dem nächsten Kapitel. Besonders die türkischstämmigen Mädchen müssen bei Herrn Johann sich mit den Freiheiten auseinandersetzen, die ihnen in Deutschland zustehen.
Renitente, unwillige, disziplinlose Schüler, Herr Johann hat sie alle kennengelernt. Aber er weiß manche Ausraster seiner Schüler auch als gedankenlosen Übermut wegzustecken. Aber in manchen Situationen wirds dann doch brenzlig, und es bleibt ihm nichts übrig, dann doch ein Machtwort zu sprechen, oder auch mal einen Schüler sofort dem Direktor zu übergeben. Dann geht es wieder um Olcay, der immer wieder stört. Zeugniskonferenz. Er darf nicht in die Oberstufe. Ein Punkt fehlt. Die Lehrer beraten, diskutieren und wägen ab. Schließlich legt Herr Johann einen Punkt in Geschichte drauf. Olcay ist in der Oberstufe und macht ein gutes Abitur.
Johanns Erinnerungen sind einspannendes Handbuch für kulturellen Unterricht. Die meisten seiner Schüler sind in Deutschland geboren, aber bleiben oft mit dem Herkunftsland der Eltern eng verbunden. (Vgl. S. 155 ff.) Immer wieder Identitätsfragen, aus denen Johann erfolgreich Unterrichtsstoff macht. Durchhalten und nicht aufgeben ist seine Devise. Unterrichten ist wie Schwerarbeit beim Landen eines Flugzeugs: Kurs, Neigung, Geschwindigkeit müssen stimmen. Immer alle Warnleuchten im Auge behalten, sofort reagieren, wenn es blinkt. 138 Einflussaktoren in Lernsituationen müssen im Blick bleiben. Aber das ist alles nur Theorie: „Die besten Ergebnisse, das merke ich immer wieder, erzielt man sowieso, wenn die Initiative von den Schülern ausgeht.“ Ungläubig setzt er hinzu: „Und das soll der ‚Bodensatz‘ unserer Gesellschaft sein?“ (S. 285)
Die Abirede von Youssef, die letzte in Herrn Johanns Karriere ist ein wahrer Paukenschlag: Die Schüler, die stolzen Abiturienten sind die Sieger. Eine Abiturientin ist erst seit acht Jahren in Deutschland, Hatice hat ihren Kleinen während der Klausuren gestillt, Elena ist Deutsche Meisterin im Judo, Onar ist nebenbei Schauspieler am Naunyntheater, Zafa ist Berliner Juniormeister im Schach. Yunnus ist zum bekannten Rapper avanciert. Youssef lässt die alle nacheinander aufstehen. Und Adil, der „ewige Krawallmacher“ komtm auch mal wieder vorbei. Er ist jetzt im zweiten Jahr bei der Polizei.
Nicht vergessen. Albrecht Johann wünscht, dass sein Buch als ein Appel an die Gesellschaft verstanden wird, Brennpunktschulen wie der Carl-von-Ossietzky-Oberschule mehr Mittel zur Verfügung zu stellen.
Albrecht Johann,
> Rock´n´Roll und Ramadan
1. Aufl. 2015, 295 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-98044-8