Lesebericht: Debretts Ltd. (Hrsg.) Debrett’s. Die feine englische Art von A-Z

Eigentlich tut man das wirklich nicht – und dann noch im Parlament! Es sich bequem machen und ein Nickerchen zu halten – auch wenn man damit lautlos gegen irgendetwas protestieren möchte: > The etiquette of the House of Commons – Website von Debrett’s. „BZZZ“ in der Öffentlichkeit geht gar nicht. Nur im Flugzeug (S. 55) dürfte man öffentlich ruhen, mehr zum Thema „Wachbleiben“ auf S. 367 f. „Dreitagebart“das ist „nur etwas für die Jungen oder extrem Gutaussehende“ (S. 72). Bei Klett-Cotta ist jetzt der > Debrett’s. Die feine englische Art von A-Z in der Übersetzung von Dieter Fuchs und Anja Herre erschienen. Nach dieser Lektüre verringern sich die Zahl der Fettnäpfchen vor ihnen. Nicht nur das Benehmen lernt man hier, wichtige soziologische Beobachtungen werden gemacht, einschließlich kluger Bemerkungen zur Online-Welt.

Bei E-Mails, S. 83, sollte man zum Abwägen auch „Handschriftlich“, S. 134, zu Rate ziehen: „Frischweißes Briefpapier, der elegante Buchstabenfluss, der sich über die Seite ergießt…“. Was es bei Fotos (S. 106) alles zu bedenken gibt. Und denken Sie dran; „Jammern“, S. 156, „ist abscheulich. Und dann gibt es welche, die immer lächeln: „Allzu häufig wird Lächeln als Zynismus aufgefasst, weil es angewandt wird, um negative Gefühle zu kaschieren.“ (S. 187)

So, nach einigen Beispielen wissen wir nun, dass der Debrett’s mehr als nur ein bloßes Benimmbuch ist. Er nimmt die Folgen und die gesellschaftlichen Urteile des Verhaltens in der Öffentlichkeit in den Blick. Und es enthält Hinweise auf Taktiken, mit denen man es etwas erreichen möchte: „Im Kontext der Umgangsformen ist Lächeln oft eine Waffe leutseliger Höflichkeit, die wir anlegen, um durch alle Arten von zwischenmenschlichen Situationen zu manövrieren.“ (S. 187)

Der Klassiker Debrett’s hat sich aber auch modernisiert und geht mit der Zeit: Ratschläge für Blogger: S. 44 f. und einiges über Mobiltelefone, die hierzulande schon auf jedem Handrücken durch die Öffentlichkeit getragen werden… „Menschen aus Fleisch und Blut verdienen mehr Aufmerksamkeit als ein Apparat, also schalten Sie, wann immer möglich, Ihr Handy in sozialen Situationen aus.“ Wunschtraum? Nein, entdecken Sie das urbane Leben wieder. Klar ärgere ich mich, wenn jemand nach dem Weg fragt und ich auch noch das Smartphone zücke… – Zum Online-Dating S. 229 f. hilft Debrett’s auch, damit nichts schief geht, vgl. auch Rendezvous (S. 263 f). „SMS“ sollte man manchmal vielleicht lieber nicht nutzen: S. 295. Auch für Videoanrufe gibt es höfliche Regeln: S. 357. Zu Linkedin S. 195 f. gibts hier auch eine Nettikette 221 f., die gilt auch für den Gebrauch Hashtags: S. 15. Früher ging es in Benimm-Büchern über den Moment, wann man den Hut lupft, heute gibt es auch ein Kapitel über „Google“: sagen Sie lieber „Ich weiß es wirklich nicht,“ als sofort auf Ihrem Smartphone zu suchen. Und mit Kenntnisse aus den sozialen Netzwerken sollte man auch nicht gleich hausieren gehen, verrät man doch, das man, so heißt es in der Offline-Welt, jemanden hinterhergeschnüffelt hat.

Ein großes Thema: „Politische Korrrektheit“ (S. 239 f.) klar und präzise kurzgefasst. Manche Einträge gehen über die bloße Etikette hinaus und begeben sich auf das Feld der Moral: „Toleranz“ (S. 327 f.) Ungünstiges beim gesellschaftliches Verhalten: „Underdressed“ (S. 238) – Immer wieder sucht man sich aus oft misslichen Situationen zu befreien: „Vorwände und Ausreden“ (S. 361 f.) – Und wichtige Ratschläge wie „Zuhören“ (S. 389) sollte man beherzigen.

Ganz aktuell ist die Website von Debrett’s. Gerade war ja St. Valentin: > How to plan a perfect proposal.

Wer soll das lesen? Eigentlich alle, wobei wir niemandem zu nahe treten wollen, denn wir gehen im Prinzip von den guten Sitten aus. Und dennoch gibt es immer wieder Situationen, Gelegenheiten oder Umstände, die vielleicht doch mal zum Nachschlagen anregen. Niemand ist so richtig perfekt und der Debrett’s bietet so mache Anregungen, mal über den Alltag hinauszudenken: Freundschaft, S. 109 f., Humor, 138, Klatsch und Tratsch, S. 170 f.  Geht Ihnen das auch so? Namen vergessen: S. 216. Und Interessantes zur Privatsphäre, S. 242-244.

Benimmbücher waren früher so etwas wie moralische Regeln im Umgang mit den Mitmenschen. Der neue Debrett’s zeigt, wie sich heute die Sphäre der Online-Welt über oder zwischen die alte Offline-Welt gelegt hat. Dadurch entwickeln sich ganz neue Fallstricke und Untiefen, die man nur vermeiden kann, wenn man die Funktionsweisen der neuen Online-Welt kennt, in der die altbekannten Benimmregeln leicht ausgehebelt werden können. Immerhin, es gibt noch einen schwachen Trost: Man sollte beim Eintritt in die Online-Welt die Regeln der alten Welt nicht vergessen, sich nicht durch die Online-Welt verführen lassen, Dinge zu tun, die man in der Offline-Welt nie tun würde, dann dürfte man einigermaßen richtig liegen. Um das Gesagte nochmal zu betonen: Die Offline-Welt verlangt wie oben zitiert eine eigene Netikette, da sie zu neuen Verhaltensweisen führt, wie Liken, Teilen von allerlei Inhalten, Fotos, Videos eingeschlossen, die man in der Online-Welt nie mit jemandem x-beliebigen übermitteln oder ihm zeigen würde. Das Abonnieren von sozialen Medien führt beim Nachdenken oft zu der Erkenntnis, das sie gar nicht sozial sind, sondern nur den Profit ihrer Betreiber auf der Grundlage unserer persönlichen Daten im Auge haben. Und wieviele Regeln werden in der Online-Welt außer Kraft gesetzt!  „Angeberei und Eigenlob“, (S. 17) wie schnell gerät man in der Offline-Welt unter die Räder, das geht in der Offline-Welt noch viel schneller. Lesen Sie dazu auch „Bescheidenheit, falsche“ S. 36. Und manche vorschnelle Kommentatoren haben nicht  „Politik, Reden über“ (S. 238 f.) gelesen.

Debretts Ltd. (Hrsg.)
> Debrett’s. Die feine englische Art von A-Z
Aus dem Englischen von Dieter Fuchs und Anja Herre (Orig.: Debrett‘s A-Z of Modern Manners)
1. Aufl. 2020, 390 Seiten, gebunden mit Lesebändchen, bedrucktes Leinen
ISBN: 978-3-608-98194-0